Egal war es ihr natürlich überhaupt nicht. Das männliche Wesen neben ihr beschäftigte unentwegt ihre Gedanken und lenkten sie etwas vom Unwetter ab. Es kam immer näher und tobte immer heftiger, der Sturm war noch sehr viel stärker geworden und heulte um die Almhütte. Der wolkenbruchartige Regen peitschte an das kleine Fenster. Sie hörte, wie das Vieh im Stall vor Angst immer heftiger schrie und der Hund unentwegt bellte.
Die Gedanken an den Mann neben sich durfte sie ja eigentlich gar nicht haben. Schließlich hatte sie vor Jahren einmal ewige Keuschheit gelobt. „Seltsam, noch nie hatte ich solche Gedanken. Ich schau diesen Kerl an und er mich und denk dabei überhaupt nicht an das, was mir mein Gewissen sofort sagen müsste. Das ist wirklich sehr seltsam. Also, Schwester Margareta, Disziplin, weg mit den zwielichtigen Gedanken!“, dachte sie sich, als sie ihn aus den Augenwinkeln ständig beobachtete. Wichtig war nur, dass sie aus diesem Gewitter wieder heile herauskam.
Obwohl ihr keinerlei unmittelbare Gefahr drohte, fürchtete sie bei jedem Blitz, dass er sie erschlagen könnte. Das war in ihrer Kindheit schon einmal jemand in einem nahe gelegenen Haus passiert. Schon als Kind hatte sie schreckliche Angst …vor Gewittern, die im Hochsommer manchmal fast jeden Tag so gewaltig über das Mittelmeer auf die Steilküste zu trieben und dort über der Küste oft nieder gingen. Das schrecklich laute Donnergrollen schien ihr wie ein Grollen des Himmels ob ihrer doch verbotenen Nähe zu einem Mann, der noch dazu mit nacktem Oberkörper neben ihr im Bett lag.
Mein Gott, wenn das die alte, ehemalige Oberin erfahren würde, wäre das die ganz große Katastrophe. Sie wusste es ganz genau, wenn sie manchmal auf dieses Thema zu sprechen kam „Männer sind wie der personifizierte Leibhaftige, allesamt sind sie schlecht, egal, ob sie einen Talar, eine Kutte oder einen Anzug tragen. Alle wollen sie immer nur an den braven Frauen ihre notorischen geilen Gelüste, ihre teuflischen Triebe nach Unzucht und ihre krankhafte, angeborene Gier nach unkeuschem Tun, ihre ihren ganzen Körper zeitlebens und immer beherrschende, so verhängnisvolle Wollust ausleben. Immer nur wollen sie den Frauen an und in ihren Schoß, an ihre Brüste und an ihr Hinterteil, und vor allem in sie eindringen, eindringen, eindringen und ihren gefährlichen Körpersaft hinterlassen. Sie wollen keine Kinder zeugen. Nein, sie verschleudern ihren heiligen Samen bei der Selbstbefriedigung und in Frauen, die ihre tatsächlichen, schmutzigen Absichten nicht erkennen und in Frauen, die für Geld sich zu Allem benutzen lassen. Schmutzige Reden wollen sie führen, und weil sie selbst immerzu sich in der Wollust ergehen, wollen sie unentwegt auch in jedem Weib diese teuflische Wollust wecken. Dabei schrecken sie natürlich auch vor den frommen Klosterfrauen nicht zurück, begehren diese unschuldigen Wesen ganz besonders und wollen nur Unzüchtiges schrecklich Sündhaftes mit ihnen treiben.“ Männer waren auf jeden Fall nach Einschätzung der alten, ehemaligen Oberin, ob jung oder alt, ausnahmslos triebgesteuerte, höchst gefährliche, geile Monster. „Na ja“, dachte Margareta, „wenn die wüsste, so fromm sind die Mitschwestern im Kloster nämlich bestimmt auch nicht immer alle. Vor allem das Gebot der Keuschheit ist, nach dem, was ich da so manchmal beobachten kann, etlichen Nonnen anscheinend öfters nahezu völlig unbekannt. Das sind auch nur ganz normale Frauen und haben ihre natürlichen Gefühle und Wünsche. Meinetwegen, die Keuschheit ist ganz sicher nicht gottgewollt. Dessen Plan sah und sieht für die Geschlechtsorgane der Menschen ganz anders aus. Sonst hätte er sie ihnen mit der Wollust nicht gegeben.“
Immer wieder hatte die in ihrer Novizenzeit das Regiment führende Oberin ihr und den Mitschwestern eingetrichtert, dass alle Männer fast ausnahmslos Wesen waren, vor denen man sich in Acht nehmen musste, wenn man sich nicht versündigen wollte, vor allem, wenn man ihnen so nahe kam, wie zum Beispiel sie in einem Krankenhaus, sie also gar berührte. Na ja, alles durfte man ihr auch nicht glauben. Oft genug war ihr schon genau das Gegenteil begegnet. Die Oberin war mit den Jahren einfach etwas weltfremd geworden. Sie war ein liebenswerter Mensch, kam aber aus einer anderen Zeit. Ihre Nachfolgerin war nur ein paar Jahre älter als Margareta und sah das alles sehr viel realitätsbezogener.
Margareta hatte bisher solchermaßen beschriebene Unholde noch nie in einer auch nur annähernd den Behauptungen der alten Oberin entsprechenden Situation kennen gelernt. Noch nie hatte ihr gegenüber ein Mann auch nur die Spur einer zweideutigen Bemerkung gemacht. Sie taten zur rechten Zeit halt das, was ihnen die Natur vorgab. Und wenn sie eine Frau nett fanden, sie begehrten und die ihn durch ihr Verhalten ermutigte, sagten und taten sie sicher auch das, was sie beim Überfließen ihrer Gefühle eben tun mussten. Trotzdem, „Die Oberin meiner Novizinnenzeit hätte mich damals dafür glatt sofort im eiskalten Weihwasser gebadet, jeden Tag drei Mal, mindestens!“ Sie musste bei diesen Gedanken grinsen. „Das hätte die damals wahrscheinlich schon vor lauter Missgunst. Strafversetzt hätte sie mich. Für die nächsten zehn Jahre hätte sie jeden Ausflug außerhalb der Klostermauern gestrichen.
Ganz so streng geht es ja heute Gott sei Dank nicht mehr zu. Aber, Keuschheit ist Grundbedingung, und eine Nonne im Bett mit einem offensichtlich besonders gefährlichen, leibhaftigen Pferdefüßigen, also so einem triebbesessenen und ständig geilen Monster, das noch dazu so jung war, das ist doch fast schon ziemlich gefährlich. Das ist schon etwas Außergewöhnliches und sollte nicht sein. Wenn ich zurückkomme, werde ich es den Mitschwestern erzählen. Einen ganzen Roman werde ich erdichten, was alles Schlimmes passiert ist, wie er mich verführen wollte, und wie ich standhaft geblieben bin. Das wird bestimmt ganz lustig. Meine Freundin Felicitas wird mir, wenn wir alleine sind, bestimmt sagen ‚Schön blöd warst du da, so was nimmt man mit, oder willst du wirklich als Jungfrau einmal sterben, ich bestimmt nicht!’ Na ja, die ist ja schließlich auch ein ganz anderer Typ als ich und lässt nichts anbrennen. Feli hat ihre Unschuld bestimmt schon oft verloren. Aber, was sollte ich wohl mit einem Mann anfangen? Außerdem ist mir noch nie einer begegnet, der mein Keuschheitsgelübde in Gefahr gebracht hätte!“
Sie dachte „In solchen Situationen, wenn schon angeblich ein solcher Pferdefüßiger, die angeblich menschgewordene pure Sünde, einem ganz nahe ist, hilft immer Beten am besten. Das gibt Kraft; natürlich auch bei einem Gewitter. Was soll ich sonst auch gegen die Naturgewalten unternehmen. Eben, da hilft sowieso nur noch ein Gebet. Und das kann ich wunderbar. Also wird jetzt brav gebetet.“ Drei Ave Maria schaffte sie, dann musste sie wieder zu ihrem Bettnachbarn sehen und konnte den Blick nicht mehr von ihm wenden. Sie sah zwar nur seine groben Umrisse. Aber das Gefühl, das da ein Mann neben ihr lag, war sehr schweißtreibend und hatte ihren ganzen Kreislauf auf den Kopf gestellt. Ein Gewitter und noch ein solcher Mann, das war offensichtlich zu viel der Ablenkung und Aufregung. Schwer zu sagen, was sie mehr beschäftigte. Das Gewitter schien ihr auf einmal gar nicht mehr so bedrohlich. Die Tatsache, dass dort ein Mann lag, war es auch nicht. Notfalls konnte sie sich schon zur Wehr setzen. Aber sie dachte unentwegt an das, was sie neben sich gesehen hatte, und das war immerhin ein halbnackter, sympathischer und hübscher Mann, der sie in ihrer Angst „so frech, nein so lieb war das!“, angegrinst hatte. „Komisch, seitdem hab ich auch fast keine Angst mehr.“ dachte sie.
Seine Gedanken kreisten ebenfalls nur um das „hilflose, schutzbedürftige und so hübsche Wesen“ neben sich. „Was wäre ich wohl für ein Mann, wenn ich ein solches zartes Wesen völlig schutzlos den Naturgewalten ausgeliefert ließe. Wenn sie mich schon braucht, bin ich da. Der Schlaf ist doch jetzt sowieso völlig unwichtig.“ Seine Gedanken knüpften unbewusst insgeheim schon am Netz für das so ängstliche Wesen, das seinen Schutz gesucht hatte. Sie hatte auf ihn geradezu wie ein Magnet gewirkt. So was war ihm noch nie passiert, oder besser gesagt unter gekommen.
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