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Seine Augen öffneten sich wieder und das Erste, was sie wahrnahmen war Feuer. Instinktiv zuckte er zurück.
„Schon gut, alter Junge. Wir bringen dich durch. Kein Grund zur Beunruhigung.“ Er sah Iredales Gesicht auf sich herab blicken. Hinter Iredale stand Tooshalli. Sein Gesicht war geschwollen. Grimwood erinnerte sich an den Fausthieb.
Der große Mann begann zu weinen.
„Tut noch ganz schön weh – was?“ sagte Iredale mitfühlend. „Hier, nimm noch einen Schluck davon. Das bringt dich ruck zuck wieder auf die Beine.“
Grimwood schluckte den Branntwein hinunter. Er versuchte mit aller Kraft, sich unter Kontrolle zu bringen, aber er konnte die Tränen nicht zurück halten. Er fühlte keine Schmerzen. Es war sein Herz, das schmerzte, obwohl er keine Ahnung hatte warum oder wofür.
Ich fühle mich wie zerschlagen“, murmelte er, beschämt und irgendwie doch nicht beschämt. „Bin völlig runter mit den Nerven. Was ist passiert?“ Er konnte sich an nichts erinnern.
„Ein Bär hat dich umarmt, alter Junge. Aber es ist nichts gebrochen. Tooshalli hat dich gerettet. Er hat gerade noch rechtzeitig geschossen. Ein wirklich glücklicher Schuss, denn er hätte genauso gut dich anstelle des Viehs treffen können.
„Des anderen Viehs“, flüsterte Grimwood, während der Whisky zu wirken begann und seine Erinnerung langsam zurückkehrte.
„Wo sind wir?“, fragte er schließlich und schaute sich um. Er erblickte einen See, Kanus, die am Ufer lagen, zwei Zelte und Gestalten, die sich bewegten. Iredale klärte ihn mit kurzen Worten auf und ließ ihn dann wieder schlafen.
Es stellte sich heraus, dass Tooshalli vierundzwanzig Stunden ohne Rast marschiert war, nachdem er seinen Dienstherrn verlassen und schließlich Iredales Lager erreicht hatte. Es war verlassen, da Iredale und sein Indianer sich auf der Jagd befanden. Als sie bei Einbruch der Dunkelheit zurückkehrten, hatte er auf seine wortkarge indianische Art erklärt, warum er hier war:“ Er schlug mich und ich ging fort. Er jagen jetzt allein in Ishtots Tal der Tiere. Er ist tot, glaube ich. Ich komme, um es euch zu erzählen.“
Iredale und sein Begleiter brachen, mit Tooshalli als Führer, augenblicklich auf, doch Grimwood hatte eine erstaunliche Strecke zurückgelegt, auch wenn er eine Spur hinterlassen hatte, die leicht zu verfolgen war. Es war die Fährte des Elchs und die Blutspuren, denen sie hauptsächlich folgten. Dann sahen sie ihn plötzlich vor sich – in den Tatzen eines riesigen Bären.
Es war Tooshalli, der geschossen hatte.
Der Indianer lebt nun in angenehmen Verhältnissen, für alle seine Bedürfnisse ist gesorgt, während Grimwood, sein Wohltäter und nicht mehr sein Dienstherr, die Jagd aufgegeben hat. Er ist ein ruhiger, umgänglicher, beinahe sanfter Bursche, und die Leute fragen sich gelegentlich, warum er nicht verheiratet ist. „Er wäre sicher ein guter Vater“, sagen sie. „So freundlich, liebevoll und anständig.“
Zwischen seinen Pfeifen, unter einem Glassturz auf dem Kaminsims, liegt ein Totemstab. Er versichert, dass dieser ihm seine Seele gerettet habe, aber was er damit meint hat er nie richtig erklärt.
Manche fantasiebegabten Kinder, mit ihrem sensiblen Wesen und ihren seltsamen Fragen über das Leben, sind vermutlich oft eine größere Quelle der Sorge als der Freude für ihre Eltern. Aileen, das Kind meiner verwitweten Cousine, beeindruckte mich von Anfang an als ein seltsam anschauliches Exemplar dieser Klasse.
Ungewöhnlich war auch die Art, wie sie die quasi-onkelhafte Verantwortung akzeptierte, die in den Augen ihrer Mutter auf meinen Schultern lag, und die abzulehnen ich nicht das Recht und nicht einmal die Neigung hatte. Tatsächlich liebte ich dieses verrückte, unberechenbare, geheimnisvolle kleine Wesen. Wenn, es auch nicht immer einfach war, mit ihr umzugehen, und ihre speziellen Eigenheiten nach besonderer Erfahrung und Fingerspitzengefühl verlangten.
Es war nicht allein, dass ihre Fantasie ungewöhnlich ernsthaft und ausgeprägt war, und dass sie stundenlang mit unsichtbaren Spielkameraden sprach (sie berührte, die Lippen spitzte, um sie zu küssen, Türen für sie öffnete, damit sie hinein- und hinaus gehen konnten, und Stühle, Schemel, und sogar Blumen für sie hinstellte), denn nach meiner Erfahrung tun das andere Kinder genauso oft und mit ebenso großer Ernsthaftigkeit. Aber Aileen akzeptierte auch das, was ihre unsichtbaren Besucher ihr erzählten mit einer so festen Überzeugung, dass deren Worte ihr Leben beeinflussten und demzufolge auch ihr Befinden.
Sie erzählten ihr offenbar Geschichten, in denen sie selbst die Hauptrolle spielte, und die zudem weder tröstlich noch vernünftig waren. Sie saß dann in einer Ecke des Zimmers, wie ihre Mutter und ich bezeugen können, Angesicht zu Angesicht mit einem eingebildeten Benutzer des sorgfältig zurechtgerückten Stuhls. Der Fußschemel war exakt platziert und von Zeit zu Zeit schob sie ihn ein bisschen nach hierhin oder dorthin. Der Tisch, auf den sich die unsichtbaren Ellbogen stützten, stand neben ihr, darauf eine Vase mit Blumen, die sie je nach Besucher wechselte. Da saß sie dann bewegungslos, vielleicht eine Stunde oder länger, starrte empor in die unsichtbaren Züge der Person, die ihr eine Geschichte erzählte, in der sie eine überaus ergreifende Rolle spielte. Ihr Gesichtsausdruck wandelte sich mit den Gefühlen, ihre Augen wurden groß und feucht, und manchmal furchtsam. Nur selten lachte sie, und selten stellte sie eine geflüsterte Frage; meistens saß sie nur da, angespannt und begierig, auf unheimliche Weise gefangen von der unhörbaren Geschichte, die von unsichtbaren Lippen kam, der Geschichte ihrer eigenen Abenteuer.
Es war der Schrecken, bewirkt durch diese eigentümlichen Vorträge, der ihre zarte Gesundheit schon im Alter von acht Jahren beeinträchtigte; und als sie sich ihnen, dem gut gemeinten aber ungeschickten Spott ihrer Mutter ausweichend, mit mehr Heimlichkeit hingab, wurde die Wirkung auf ihre Nerven und ihr Wesen so akut, dass ich zu einem Besuch bestellt wurde, auf den ich mich nicht besonders freute.
„Nun, George, was denkst du , was ich tun sollte? Dr. Hale hat zu mehr Bewegung und Kontakt mit anderen Kindern geraten, Seeluft und alles das, aber nichts davon scheint wirklich zu helfen.“
„Hast du sie in dein Vertrauen gezogen oder eher sie dich in ihres?“, forschte ich sanft. Die Frage schien für leichte Verärgerung zu sorgen.
„Natürlich“, war die nachdrückliche Antwort. „Das Kind hat keine Geheimnisse vor seiner Mutter. Sie ist mir absolut ergeben.“
„Aber du hast versucht sie davon abzubringen, indem du über sie gelacht hast, nicht wahr?“
„Ja. Aber immerhin mit dem Erfolg, dass sie diese Unterhaltungen jetzt viel seltener führt als vorher.“
„Oder heimlicher?“, kommentierte ich mit einem überlegenen Schulterzucken
Dann, nach einer weiteren Pause, in der die Notlage meiner Cousine und mein eigenes teilnahmsvolles Interesse an der skurrilen Fantasie meiner kleinen Nichte mich gemeinsam dazu drängten, tätig zu werden, versuchte ich es noch einmal:
„Fantasie“, bemerkte ich, „wirkt immer etwas verwirrend auf uns Erwachsene, weil wir, obwohl wir uns ihr unser ganzes Leben lang hingeben, letztlich doch nicht daran glauben; während Kinder wie Aileen ...“
Sie unterbrach mich rasch.
„Weißt du, wovor ich mich fürchte“, sagte sie mit gesenkter Stimme. „Ich glaube, dass ich Grund zu wirklicher Besorgnis habe.“ Dann sagte sie geradeheraus, indem sie mir mit ernstem Blick ins Gesicht sah: „George, ich brauche deine Hilfe, bitte. Du warst immer ein wahrer Freund.“
Ich antwortete ihr in wohlüberlegten Worten:
„Theresa“, sagte ich mit großem Nachdruck, „es gibt auf beiden Seiten der Familie keinen Hinweis auf Wahnsinn, und meiner Meinung nach ist Aileen absolut ausgeglichen, außer, dass sie eben eine etwas zu stark entwickelte Vorstellungskraft hat. Aber vor allem darfst du sie nicht dazu bringen, sie in sich zu verschließen, indem du darüber lachst. Lass sie ihre Fantasien ausleben. Erziehe sie. Führe sie durch kluges Verständnis. Bring sie dazu, dir alles zu erzählen und so weiter. Ich glaube, Aileen möchte vielleicht nur liebevolle Teilnahme - und nicht mehr.“
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