»Aber..« Currann bekam den Kleinen so plötzlich in den Arm gedrückt, dass er sich völlig überrannt fühlte. Unbeholfen hielt er das kleine Bündel fest. Karya bekamt Mitleid und zeigte ihm, wie er das Kind halten musste. Es wirkte in seinen großen Händen einfach winzig. Und es bewegte sich! Er hörte, er spürte es atmen. Eine kleine Faust zuckte gegen den weichen Pelz. Currann war mit einem Mal so fasziniert, dass er Siri und seine Sorgen für einen Augenblick vollkommen vergaß. Vorsichtig schob er mit seinen viel zu großen Fingern die winzige Kapuze herunter und zog überrascht die Luft ein.
›Aber, das kann doch nicht sein!‹, war seine erste Regung. Der Junge sah ja genauso aus wie seine kleinen Geschwister und alle anderen kleinen Kinder, die er bisher gesehen hatte! Ein verkniffenes Gesichtchen, dunkle, flaumige Haare, und er zog unentwegt Grimassen, als würde er heftig träumen. Currann sah auf, eine Frage auf den Lippen, und begegnete Karyas wissendem Blick.
»Sieht gar nicht aus wie ein Goi, nicht wahr?«, lächelte sie.
»Nein, er sieht eher aus wie einer von uns.« Ein Schreck durchfuhr ihn. Siri! »Karya, was ist mit ihr?«
Karya sah die Augen aller auf sich gerichtet, doch dies ging nur den frisch gebackenen Ehegemahl etwas an. Daher nahm sie ihn mit in den Kommandantenraum und schloss leise die Tür. »Sie blutet.«
Ihm wurde kalt vor Angst. »Blutet?! Aber Karya..« Was wusste er schon von Geburten? Er wollte hilflos die Arme heben und erinnerte sich gerade noch rechtzeitig an das Bündel darin. So schüttelte er nur den Kopf.
Karya erklärte es ihm geduldig. »Ihr müsst Euch vorstellen, dass sie nach der Geburt eine große offene Wunde in ihrem Bauch hat, die nur langsam verheilt.«
»Stirbt sie?!« Currann konnte nicht mehr an sich halten und unterbrach sie.
»Nein, nein, ich kann etwas dagegen tun. Die Anstrengung war einfach zu viel für sie.«
»Darf.. darf ich sie sehen?«
Karya maß ihn mit einem halb belustigten, halb besorgten Blick. Warum fragte er denn? »Das dürft Ihr wohl, schließlich ist sie jetzt Eure Frau. Geht nur hinein.«
Er schlich sich auf Zehenspitzen zu ihr, blieb jedoch in der Tür stehen. Von Siri konnte er bis auf die helle Fläche ihres Gesichts nicht viel erkennen, so sehr verschwand sie in seinen Fellen. Doch sie war wach, er sah es am Weiß ihrer Augen, die im Schein des kleinen Talglichts glänzten. Als sie ihn erkannte, zuckte sie zusammen, und bevor er auch nur etwas sagen konnte, schloss sie die Augen und drehte ihren Kopf zur Wand. Das war deutlicher als alle Worte. Zum Glück war Karya durch das Eintreffen Nurias abgelenkt. Die Frauen übernahmen das Kommando, sodass Currann sich unversehens allein mit seiner kostbaren Fracht in der Diele wiederfand.
Niemand war mehr dort. Stattdessen hörte er lautes Scharren von oben. »Was ist, stellen wir dich mal vor, Kleiner?«, raunte er dem Kleinen zu. Nathan war es herzlich egal. Er war warm eingepackt und schlief tief und fest, wie er auch schon die Heirat seiner Mutter und seine eigene Taufe verschlafen hatte. Vorsichtig sein kostbares Bündel haltend, stieg Currann die glatten Stufen zu den Türmen hinauf. Sobald sie ihrer ansichtig wurden, scharten sich die Kameraden auch schon um sie.
»Zeig mal her.«
»Hm, sieht gar nicht aus wie ein Goi.«
»Woher wollt ihr denn wissen, wie ein Goi Kind aussieht?!« Sinan verdrehte die Augen ob der Kommentare, die Tamas und Yemon von sich gaben.
»Cerinn Kinder sehen auch so aus, nur dass die Augen etwas schräger sind«, ließ Kiral vernehmen, und Ouray unterzog den Kleinen einer fachmännischen Untersuchung. »Er ist sehr groß für sein Alter. Nein, wirklich«, bekräftige er, als die Kameraden ungläubig die Köpfe schüttelten. »Seht her, Kraft hat er auch.« Er schnürte vorsichtig den Halsausschnitt auf. »Currann, halt ihn in die Sonne, sonst wird ihm kalt.« Ouray befreite sanft eine winzige Faust aus den Tiefen des Schlafsackes. »Streich ihm mit deinem kleinen Finger über die Handfläche.«
»Warum?«
»Versuchs einfach. Na los!«
Currann tat verwundert, was Ouray ihm aufgetragen hatte, und er wäre fast zusammengezuckt, als die kleinen Finger unvermittelt zupackten. »He, der hat ja Kraft!«
»Alle kleinen Kinder können das«, klärte Ouray sie auf. Jetzt wollten es alle ausprobieren, und sie lachten, das erste Mal an diesem Tag. Nur einer fand das Ganze überhaupt nicht komisch. Nathan wurde rüde aus seinem schönen Schlaf geholt. Der vertraute Duft seiner Mutter war fort, kalte Luft strömte in sein eben noch so warmes Fell, ständig kitzelte ihn jemand an der Hand und all diese tiefen, fremden Stimmen um ihn herum.. er verzog das Gesichtchen.
»Oh oh!«, machte Yemon und zog seinen Finger gerade noch rechtzeitig fort, da lief er auch schon rot an und brach in so lautes Gebrüll aus, dass alle einen erschrockenen Satz zurück machten. Nur Currann, er konnte es nicht und stand plötzlich allein mit dem schreienden und sich mit erstaunlicher Kraft windenden Bündel da. »He, und jetzt?«
»Bring ihn doch zu den Frauen.« Tamas griff wieder zu seiner Schaufel. Alle anderen grinsten.
»Na, ihr seid mir ja schöne Kameraden!« Currann musste seine Stimme erheben, um das Gebrüll zu übertönen. »Ouray, was kann mit ihm sein?«
Dieser zuckte mit den Schultern. »Was schon, entweder er hat Hunger oder die Windeln sind voll.«
»Weißt du, wie man sie wechselt?«
»Bäh!«, machte Yemon.
»Hau ab, wenn du mir nicht helfen willst!«, fauchte Currann, dem das Schreien des Kleinen langsam Unbehagen bereitete. »Also?«
Ouray kratzte sich verlegen am Kopf. »Naja, ich habe es wohl schon mal gesehen..«
»Dann zeig es mir, ja?« Currann ließ ihm keine Wahl. Eilends kehrten sie in die wärmere Diele zurück, gefolgt von den anderen, die das keinesfalls verpassen wollten. Nathans Gebrüll ließ sofort nach. »Ach, kalt war dir nur?«, raunte Currann ihm zu und legte ihn vorsichtig auf das Ende des Tisches, das dem Feuer am nächsten war. Nathan blinzelte verwirrt zu ihm auf. »Ob er mich sehen kann?«, fragte er Ouray fasziniert.
»Glaube ich nicht. Sie sind am Anfang so blind wie kleine Kätzchen«, meinte dieser. Ein kalter Luftzug wehte herein. Sofort verzog der Kleine wieder die Miene.
»Yemon, mach die Tür zu«, mahnte Currann. Er strich Nathan beruhigend über den Kopf. »Und nun?«, fragte er Ouray. Der ließ sich nicht lange bitten. Unter seiner Anleitung und vielen frechen Kommentaren seitens der anderen Kameraden gelang es Currann, dem Kleinen die Windeln zu wechseln. Abschließend betrachtete er stolz sein Werk.
»Also, hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, ich würde es nicht glauben!« Sie fuhren herum. Karya stand mit in die Hüften gestemmten Armen in der Tür und musterte ihn anerkennend. Hinter ihr lächelte Nuria in sich hinein.
»Ähm..« Currann wurde rot. »Die.. die Beinlinge sind noch nass. Habt Ihr noch welche?«
»Mein Bruder wird sie hoffentlich bald bringen. Fürs Erste wird es genügen, wenn wir ihn einfach in sein Schlaffell stecken.« Karya zog den Kleinen mit zwei, drei Handgriffen, die in Curranns Augen fast brutal aussahen, wieder an. »Ihr seht, sie sind nicht zerbrechlich. Ganz besonders dieser hier nicht. Ich nehme ihn mit. Er wird sicherlich bald Hunger bekommen.« Wie auf das Stichwort begann Nathan zu krähen.
Currann folgte den beiden in den Kommandantenraum, doch weiter traute er sich nicht. Karya kehrte zu ihm zurück. »Was wollt Ihr jetzt tun?«, fragte Currann die Heilerin.
»Ich möchte gerne heute Nacht hierbleiben, um nach Siri zu sehen.«
»Selbstverständlich, wir richten Euch ein Lager her. Aber das meinte ich nicht. Was wollt Ihr wegen Eurer Tochter unternehmen?« Currann glaubte fast zu hören, wie Siri die Luft anhielt.
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