Früher als zu fürchten stand, ging Merkers letzter Segen in Erfüllung. Woldemar kehrte spät genug von dem Freuden-Quelle zurück; seine Wangen brannten, seyn Herz bebte; er sah begeistert zu den verblichenen Sternen auf, im Morgenroth die Farbe der Braut, im Wolkenflug den Tanz der schönsten Horen: entzückende, bedeutungsvolle Träume reiheten sich an die selige Wirklichkeit und auch diese erschien ihm, als er am hohen Mittag erwachte, nur wie ein Trugbild des Phantasus, denn die feurige Welle deren das Notenblatt gedachte, trug ihn weit über die Grenze seines Willens und seiner Erwartung hinaus.
Gestern erst hatte der Verschlossene, von dem Adjutanten gedrängt, einige Worte über das Geheimniß seines Herzens verlohren. Jetzt war der Wurf gelungen, jetzt sollte Julius sich mit ihm freun, jetzt sollte der Wildfang in Herminens Nähe geführt, von ihrer Anmuth gewonnen, von ihrem Werth ergriffen, erleuchtet von dem Himmelsglanz dieser Seele, zu dem längst verscherzten Glauben an die sittliche Güte des bessern Geschlechtes zurückkehren. Lästige Besuche hielten ihn fest, es war schon Abend, als Woldemar in des Freundes Behausung kam. Zwar fand er sie verschlossen, aber er hatte Licht gesehn, schlich, vertraut mit den Zugängen durch eine Hinterthür und trat, überraschend genug, in’s Kabinet. Julius sprang aus dem Arm eines Mädchens empor, das sich laut schreiend aufraffte und durch die offene Thür entfloh. Woldemar stürzte ihr nach. „Hermine!“ rief er, aber sie war unter dem Schutze der Nacht verschwunden. Er stand erstarrt auf offener Straße. Daß sie es war, litt keinen Zweifel, der Irrthum lag ausser dem Gebiete der Möglichkeit. Er hatte ihr Gesicht gesehn, jeden Zug unterschieden. Das war ihr Hauskleid, das ihr Palatin und das sein Liebling unter ihrem Häubchen.
„Du Störenfried!“ sprach Julius der ihm gefolgt war. Sage mir „fragte Woldemar“ auf Deine Seele frag ich Dich, war das die Wahl?
Julius schwieg betroffen still. Sie war’s! gestand er endlich. Sie war’s? rief jener aus und schlich sich heim. Der Zustand seines Gemüths kann leichter empfunden als beschrieben werden. Unglücklicher „sprach sein Gewissen“ wie mancher Pflicht hast Du entsagt, wie manches Glück verschmäht, wie manche Blume der Jugend hingeworfen, um der Eigensucht deines Götzen, den Launen einer Buhlerin zu fröhnen! Der Adjutant unterbrach dieses heilsame Selbst-Gespräch. Noch immer „sagte er“ läuft Dir das Glück nach. Ich komme jetzt um anzufragen, ob Dich die räthselhafte Göttin deren Du gestern gedachtest auch heute noch am Ziegel hält? Woldemar wendete sich schaamroth ab. Jener drehte ihn schnell um seine Achse, sah ihm tief in die unstäten Augen und sprach „Täuscht mich nicht alles, so ward die Fee zur Furie, oder zur Hexe, oder zum unerbittlichen Schicksal. Hin ist hin! Ermanne Dich, tritt zu den Freykorps. Der Würgengel ist ein wohlthätiger Genius, der alle diese zwerghaften Quälgeister des Stilllebens austreibt und die entarteten, verzauberten Männer von dem Rocken ihrer Omphale losschließt; das Bett der Ehre ist reitzender als das der Schäferin, und der Riese der Gefahr minder furchtbar als eine schmollende Tyrannin mit dem feindseligen Gesindel ihrer Grillen.“
Führe mich zum General, „fiel Woldemar erheitert ein“ ich bin der Deine. Mit Freuden weih ich mich von nun an dem Tode.
Schlag ein! „entgegnete der Adjutant, und drückte ihn an seine Brust.“ Hand in Hand zum ernsten Waffentanze! Bestelle Dein Haus, wir gehn nach wenigen Stunden zur Armee ab.
Als Julius am Morgen der schlaflos hingebrachten Nacht zu dem Freund eilte, um sich von der eigentlichen Triebfeder seines gestrigen Ueberfalls und Benehmens zu unterrichten, klopft’ er lange ungehört an alle Thüren. Endlich kam der Wirth herbey, beklagte den Verlust eines so lieben Hausgenossen, erzählte dem Baron, daß ihm Woldemar einige Koffer in Verwahrung gegeben und vor Tage noch mit Extrapost abgereist sey. Dieser bestand auf einem Briefe, welchen sein Freund nothwendig für ihn zurückgelassen haben müsse und vermochte den Wirth die Zimmer zu öffnen, doch fand sich nirgends ein solcher vor, wohl aber lag Herminens Schattenriß zerrissen am Boden. Julius begriff so wenig wie sich dieß Bild zu dem Geflohenen, als gestern Woldemar, wie das Original in die Arme des Barons sich habe verlieren können. Erblassend las er die Stücke auf und kehrte, jenem gleich, von Mißtrauen, Aerger und Argwohn gefoltert, zurück.
Woldemar zog indeß in Erinnerungen an den kurzen Göttertraum seines Lebens versunken, dem fernen Ziele der neuen Bestimmung entgegen und verwünschte diese bereits, als er sich, um ihm die nöthigen Vorkenntnisse zu verschaffen, im Rücken der Armee, bey dem Depot des Regiments angestellt sah. Die Edelfrau des Rittersitzes auf dem man ihm sein Quartier anwies, empfing den erstarrten, mit Eis und Schnee bedeckten Officier aufs wohlwollendste und führte ihn unter herzlichen Aeußerungen von Theilnahme in ein freundliches Stübchen, das mit allen, lang entbehrten Bequemlichkeiten versehen war. Ueberall sprachen ihn Bilder des Friedens, Symbole eines schön geordneten Lebens an; er sah in der gütigen Baronin seine selige Mutter, in dem holden, geschäftigen Fräulein den Schutzgeist des Hauses, in ihrer reitzenden, geistvollen Gesellschafterin den traulichen Genius der Freundschaft. Die Wolken des tiefen, lang genährten Unmuths brachen sich, ein heller Sonnenblick fiel in sein Herz.
Woldemar eilte, sich umzukleiden und wartete der Baronin auf. Sie nahm das Wort, unterhielt ihn von den unseligen Früchten des Kriegs, von den Schrecken die er verbreitete, von der Angst in die er sie schon oft versetzt, von dem hoffnungsvollen, einzigen Sohne, den ihr die erste Schlacht geraubt habe. Der Zuhörer hatte indeß bald zu dem Flügel auf dem Auguste nur einzelne, leise Töne anschlug, bald an den Nähtisch der Gesellschafterin hingesehen, hatte des Fräuleins blonde Locken mit Julianens schwarzen Flechten, ihr blaues, himmelreines Auge mit diesen dunkeln, misterischen, Augustens zarten, wie von Geisterhand gewebten Bau mit der üppigen Fülle der Frau von Wessen verglichen, die ihm jetzt als die Wittwe des Gefallenen vorgestellt ward. Auguste hörte kaum des verlohrnen Bruders gedenken, als ihre Hand unwillkührlich ein Adagio anschlug; schnell aber zog sie sich zurück, um den Perlen des schwesterlichen Thränen-Opfers zu begegnen: Frau von Wessen hingegen nähete gleichmüthig fort und sprach mit süßem Silberton „O, lassen wir ihn ruhn, ma mere! Welche Hölle wird das Leben, wenn uns der schwarze Geist der Vergangenheit die Genüsse der Gegenwart verkümmern darf. Ich für meinen Theil habe mich gewöhnt jeden Abend aus der Lethe zu trinken, um mit jedem Morgen zu einem neuen Leben aufzustehen.“
Auf diesem Wege „entgegnete Woldemar“ wird uns der schwarze Geist allerdings immer gerüstet finden und keine lächelnde Hore ungenossen vorüber fliehen. Verständ’ ichs nur mich an den heiligen Strom zu betten.
„Der Wille macht ihn dienstbar“ entgegnete Julie.
„Der Leichtsinn vielmehr!“ fiel die Baronin ein.
„Die göttliche Gabe!“ erwiederte jene. Wir klagen fort und fort ein Schicksal an, daß nur den Feigen geißelt und verfolgt. Aber man ziehe doch — es gilt den Versuch — jede vorschnelle Sorge für die Zukunft, jede unnütze Nachwehe der Vergangenheit, jede Distel des ziellosen Stunden-Kummers aus dem Strauß eines Jahres, und ich bin gewiß daß uns der freundliche Rest mit den wenigen, unvertilgbaren Dornen versöhnen wird.
Die Baronin, welche nach Art allezeitfertiger Kreuzträgerinnen Geschmack am Leide, Zerstreuung in der Klage, Genuß im Kummer fand und wie jene der Hoffnung lebte, dort um so herrlicher zu prangen, je demüthiger und zerknirschter sie sich hier unter der Hand Gottes gekrümmt habe, bewies in einer ausführlichen Gegenrede die Unzureichbarkeit dieses Receptes. Auguste blätterte in ihren Noten, Woldemar aber warf bereits, dem Rathe gemäß, den verdächtigen Freund und die tugendlose Braut aus dem Kranz seines Lebens, um ihn durch jene glühende Rose und dies liebliche, mit dem Himmelsthau der Thränen bedeckte Veilchen zu ergänzen. Selbst seine Anstellung bey dem Depot, vorhin eine Quelle des Mißmuths, ward jetzt als eine göttliche Schickung ganz ohne Murren hingenommen und der liebenswerthe Gast kehrte erst spät am Abend, von dem Wohlwollen der Töchter und dem Zutrauen der Mutter begleitet, in das heimliche Stübchen zurück.
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