Im Laufe der Zeit hatten noch zehn andere Mobis die gleiche Idee. Hinter einem nahen wuchtigen Stadttor „erstürmten“ wir mit kräftiger Unterstützung meinerseits auf einer Treppe die Krone der Stadtmauer und genossen von oben den weiten Blick auf das Meer und von gegenüber in die engen holperigen Gassen der Altstadt, die im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, aber danach, so originalgetreu wie möglich, im Stil des 18. Jahrhunderts wieder aufgebaut wurde. Vierzehn Jahre später, im Frühjahr 2000, konnten wir uns anlässlich einer Kreuzfahrt auf der MS Astornach wegen der hohen Wellen dramatischer Ausschiffung höchstpersönlich davon überzeugen, als wir uns mit Hilfe des Rollstuhls kreuz und quer durch die kopfsteingepflasterten Gassen arbeiteten, die kunstvoll gestalteten Fassaden der Häuser und die hübsche Kirche im Zentrum bewundernd, nicht zu vergessen das wuchtige viertürmige Schloss aus dem 14. und 15. Jahrhundert, das als eines der wenigen alten Gebäude den Krieg heil überstanden hat.
Doch jetzt schafften wir es gerade bis zu einem nicht weit entfernten urigen Restaurant, in dessen gemütlicher Atmosphäre - an den Wänden Schiffsutensilien jeglicher Art, auf den rot-weiß kariert eingedeckten Tischen in flachen tönernen Krügen flackernde Kerzen - wir uns jeweils an einer großen Terrine „Cotriade“, der Fischsuppe der Bretagne, mit gerösteten Baguettes delektierten. Zurück an Bord bescherte uns zu fortgeschrittener Stunde das gleichmäßige Rauschen des Meeres einen tiefen traumlosen Schlaf.
Petrus blieb uns weiterhin wohlgesinnt, so dass wir bei schönstem Wetter unsere Küstentour fortsetzen konnten; grandios zerklüftet zeigt sie sich, zum Teil bizarre Felslandschaften bildend, klippenreich mit zahllosen feinsandigen Buchten und vorgelagerten Inseln. Die wenigen Badeorte sind heillos überlaufen. Bei Flut rollt jedoch häufig vom Atlantik eine gewaltige Brandung heran, so dass das Baden nicht immer ganz ungefährlich ist. Hinter dem kleinen Städtchen Tréguiermit seiner imposanten romanisch-gotischen Kathedrale, auffallend die drei in Bauweise und Höhe völlig verschiedenen Türme, verließen wir die Küste. Von der leicht hügeligen Straße ging der Blick unendlich weit über wellenförmig angelegte wogende Felder, Wiesen und Äcker, jeweils begrenzt durch niedrige dunkelgrüne Hecken, ein interessantes Schachbrettmuster bildend. Die darüber schwebenden weißen Wolkengebilde verdichteten sich immer mehr, bis sie sich in einem gewaltigen Regenguss entluden. Als wir jedoch in Brestankamen, hatte die Sonne wieder die Oberhand gewonnen.
Frankreichs größter Kriegs- und Handelshafen liegt am Nordufer einer weit ins Landesinnere reichenden zerklüfteten Bucht an der Westküste der Bretagne. Kreuz und quer durch die verstopften Straßen arbeiteten wir uns zum alten Châteauempor, erbaut im 15. und 16. Jahrhundert war es ein dankbares Fotomotiv, ebenso der weite Blick auf die 64 m hohe Zugbrückevon Recouvrenceund die Hafenausfahrt mit all dem Hin und Her von Kriegsschiffen, Frachtern und Schleppern. Das ganze Ufer war leider fest in militärischer Hand, nirgends ein Stehplatz für die Nacht, also weiter um die Bucht herum, bis wir direkt am hübschen Yachthafen von
fündig wurden, auch hier wieder in guter Nachbarschaft mit fünf anderen Mobis. Da es durch die lange Suche schon recht spät geworden war, ließen wir uns an Bord zu einem gemütlichen Abendessen aus heimischen Beständen nieder.
Auf landschaftlich sehr schöner Nebenstrecke durch die reizvollen hügeligen Ausläufer der Monts d’Arrée, deren höchste Erhebung gerade 384 Meter misst, also nicht gerade alpinen Charakter besitzt, trafen wir am nächsten, wieder herrlichen Sommertag auf die sehenswerte Stadt Quimperan der Nordspitze einer langen schmalen Bucht. Sie ist das besonders gut erhaltene Beispiel einer alten bretonischen Stadt mit ihren Kaianlagen, den mächtigen Befestigungsmauern, den mit Schiefer gedeckten Häusern in den mittelalterlichen engen Gassen, durch die wir uns natürlich wieder unbedingt mit dem Mobi hindurchzwängen mussten. Ein besonderer Blickfang der Stadt ist die imposante gotische Kathedralemit ihren beiden Spitztürmen, die allerdings erst im 19. Jahrhundert aufgesetzt wurden. Dank nahem Parkplatz hatten wir die Möglichkeit, das mit 95 Metern ungewöhnlich lange Kirchenschiff mit seinen prachtvollen bunten Glasfenstern aus dem 15. Jahrhundert auch von innen zu besichtigen.
Die nächste mittelalterliche Sehenswürdigkeit erwartete uns im etwa 20 Kilometer entfernten Concarneau; mitten im Fischerhafen, es ist einer der größten in Frankreich, liegt eine Insel, durch Brücken mit dem Festland verbunden, auf der sich malerisch die alte Stadtburg erhebt; die so genannte Ville closeist ganz und gar noch von den schweren Granitmauern aus dem 14. Jahrhundert umzogen. Das nur wenige Kilometer entfernt auf unserem Weg liegende idyllische Städtchen Pont-Avon, inzwischen waren wir an der durch viele Buchten stark gegliederten Südküste der BRETAGNE angekommen, lebt von dem Ruhm, den Gauguinihm bescherte. Der Maler ließ sich im 19. Jahrhundert dort nieder und gründete die Pont-Avon-Schule, der bekannte Künstler angehörten. Viele kleine Galerien zeigen u. a. die interessanten Werke dieser Gruppe. Auf einem bunten Wochenmarkt deckten wir uns reichlich mit frischem Obst ein und nutzten einen Parkplatz direkt am romantischen Fischerhafen zu unserer obligaten gemütlichen Teepause, bei der ein leckeres Stückchen Kuchen nicht fehlen durfte, genügend Bäckereien lockten mit appetitlichen Auslagen.
Zeugen aus einer Zeit von vor fünftausend Jahren fanden wir etwa 70 Kilometer weiter in der Nähe des hübschen Badeortes Carnac.Dort wimmelt es in vorwiegend typischer Heidelandschaft zwischen Ginster, Farn- und Heidekraut, zuweilen auch in lichten Kiefernwäldern von gewaltigen Hünengräbern, ungeheuren Menhiren(bis zu 20 m hohe aufrecht stehende vorgeschichtliche Steine) und riesigen Blöcken kultischer Bedeutung, die kilometerlang in vielen Reihen nebeneinander gesetzt wurden, etwa 3.000 Monolithe, einige davon mit primitiven Ritzzeichnungen, sehr beeindruckend. Jetzt war es nicht mehr weit bis
einem alten Städtchen mit malerischer Altstadt, durchzogen von schmalen Gassen, an den Balken der Häuser lustige Schnitzereien, unter den mächtigen grauen Befestigungsmauern aus dem 13. bis 17. Jahrhundert mit ihren drei aufstrebenden Türmen bunte Blütenpracht. Herausragend die imponierende Kathedrale Saint-Pierrein spätgotischem Stil. Das Besondere an Vannes ist die Austernzucht, die Lage an einer großen, fast kreisrunden, durch einen schmalen Eingang sehr geschützten Bucht ist dafür geradezu ideal.
Eine tolle Bleibe fanden wir etwas weiter um die Bucht herum auf einem wunderschönen Naturparkplatz zwischen zwei breiten Wasserzügen, durch die allerdings wieder einmal herrschende Ebbe mehr einem Wattenmeer gleichend; in hohen Schaftstiefeln waren einige Angler unterwegs, nach Würmern oder anderem Kleingetier suchend, ebenso die pfeilgeschwind hin und her sausenden kreischenden schneeweißen Möwen. Einige der dort ankernden Yachten hatten bereits eine unangenehme Schieflage eingenommen. Wir genossen diese Idylle noch eine Weile in der angenehm warmen Sonne von unseren bequemen Stühlen aus. Natürlich hatten wir wieder nette Nachbarn, dieses Mal allerdings nur vier, mutterseelenallein war man in Frankreich offensichtlich nie, nun, aus Gründen der Sicherheit konnte es uns nur recht sein.
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