Alessandra wusste sofort, wer die nächste Tanzpartnerin von Eron werden würde. So bedurfte es auch keinerlei Erklärungen seinerseits, als er zu seiner Erwählten hinüber ging. Da war sie wieder allein und ihr war es auch ganz recht so. Ihr Kopf fühlte sich an, als wiege er eine Tonne und als wäre er auch ebenso groß. Ihr Nacken war steif und der Rücken schmerzte. Es war nicht nur der entbehrungsreiche Ritt aus den nördlichen nordischen Wäldern zurück nach Rothwald, der ihrem Körper so zu gesetzt hatte. Sie schlief in letzter Zeit kaum und wenn plagten sie unruhige Träume. Ihre Augen schmerzten, betrachtete sie die Gäste beim Tanzen. Ihre Ohren dröhnten, sie konnte die Musik kaum ertragen. Das Fest, das sie einst so gern gefeiert hatte, wurde diesmal zu einer Tortur für sie. Gedankenverloren stand sie am Rand und bemerkte es erst zu spät. Langsam mit geschmeidigen Bewegungen kam er auf sie zu und nahm ihre Hand. Galant verbeugte er sich vor Alessandra.
„Wollt Ihr tanzen?“
Seine Ausstrahlung zog sie dermaßen in ihren Bann, so dass sie seine Frage unbeantwortet und sich von ihm mit sanfter Bestimmtheit auf die Tanzfläche ziehen ließ. Sie hörte die Klänge der Musik kaum. Die Art, wie er sie in seine Arme nahm und mit ihr zu tanzen begann, fesselte sie viel zu sehr. Sein Körper schmiegte sich an ihren. Die Welt um sie herum schien zu verschwinden. Wie betrunken atmete sie seinen Duft ein, sie hatte das Gefühl mit ihm zu verschmelzen. Seine Bewegungen, seine Mimik und der Klang seiner Stimme schienen ihr so vertraut. Sie verstand nicht so recht, was mit ihr geschah. Die Vertrautheit zwischen ihnen verwirrte die Prinzessin. Sie meinte, ihn schon ewig zu kennen und schon ewig mit ihm diese Bewegungen zu vollführen. Alles um sie herum wurde unwichtig. Sie nahm die anderen Gäste bloß verschwommen wahr und die Musik drang nur noch wie durch Watte in ihr Bewusstsein. Es war ihr, als schwebten sie über die Tanzfläche an einen anderen Ort, weit weg von den Feierlichkeiten im Schloss.
Sie konnte es kaum ertragen ihm in seine leuchtenden Augen zu blicken und so senkte sie ihren Kopf. Er schien darüber belustigt zu sein, ein verschmitztes Lächeln umspielte seine Lippen, als er seinen Kopf ein wenig zur Seite neigte, um den Größenunterschied zwischen ihnen zu überbrücken.
„Ihr habt so wunderschöne Augen“, sprach er sie mit seiner warmen Stimme an, die ihr Gänsehaut verursachte und ihr Herz schneller schlagen ließ. „Warum seht Ihr mich nicht an?“
Ihr war schwindelig, alles herum begann sich zu drehen. Und die Hände des Fremden, die sie fest hielten, hinterließen ein Brennen auf ihrer Haut. Sie hatte das Gefühl, jegliche Kontrolle zu verlieren. Doch plötzlich wurde sie in die Wirklichkeit zurück geholt. Eine tiefe Stimme drang bös und ungebeten in ihr Bewusstsein. Langsam kam sie wieder zu einigermaßen klarem Verstand.
Ihr Vater stand neben ihnen. Sein Gesicht zeigte deutlich, dass er wütend war. Wortlos packte er ihr Handgelenk und zog sie weg von dem Fremden. Als sie einen Blick zurück warf, konnte sie sehen, dass seine Augen hinter der Maske böse funkelten.
„Vater, was ist denn“, Alessandra riss sich los.
Sie konnte spüren, dass er mit seiner Fassung rang. Viele der umstehenden Gäste hatten aufgehört zu tanzen und wollten mitbekommen, was vor sich ging.
„Das ist kein Umgang für dich“, zischte ihr Vater. „Du solltest nicht mit solchen… mit so jemandem tanzen.“
Noch nie hatte sie den König so erlebt. Karlus war immer ein liebevoller, fürsorglicher Vater gewesen, der nur in Bezug auf ihre Erziehung und ihren Unterrichtung die nötige Strenge zeigte. Wie benommen folgte sie ihm und setzte sich neben ihre Eltern auf den Thron. Der heiteren Stimmung hatte der kurze Zwischenfall keinen Abbruch getan und auch die interessierten Gäste hatten sich schon wieder dem Tanzen hingegeben.
Natürlich war der Anblick dieser Fremden für die Prinzessin in unangenehmer Erinnerung geblieben, jedoch hatte der Fremde beim Tanzen diesen ersten Eindruck nicht bestätigt. Aber was wusste sie schon von ihm. Er trug eine Maske, ebenso seine Begleiter und sie vermutete jetzt, dass sie nicht offiziell eingeladen worden waren. Wer waren sie? Woher kamen sie? Und weshalb machten sie Karlus bloß so zornig?
Doch vielleicht würde sie gleich Antworten auf ihre Fragen bekommen. Denn die Menge teilte sich plötzlich und ließ die dunklen Gestalten hindurch. Es war unmöglich, sie nicht anzustarren. Dafür war ihr Auftreten viel zu extravagant. Die weißen oder schwarzen Hemden, welche die Männer trugen, schienen aus einem überirdisch feinem Stoff zu sein, der sich wie eine zweite Haut an den Oberkörper schmiegte. Durch seine Durchsichtigkeit zeigte er jeden Muskel. Bis auf die goldenen, funkelnden Manschettenknöpfe an den Hemdsärmeln fehlten ihnen jegliche Knöpfe und so waren die Hemden bis über die Brust offen. Auch die ledernen Hosen waren so eng, dass sich jeder Muskel abzeichnen konnte. Die Frauen trugen ebenfalls enge schwarze Lederhosen und feine, weiße oder schwarze Blusen. Darüber trugen sie fest geschnürte rote Mieder, die ihren Busen auf fast anzügliche Weise in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellten. Die Beine steckten in hohen Stiefeln mit noch höheren Absätzen, in denen andere Frauen ihre Mühe haben würden zu laufen. Alle besaßen ungewöhnlich helle Haut und ausdrucksstarke Augen. Sie verneigten sich huldvoll vor Alessandra und dem Königspaar. Und ihr Anführer trat vor.
„Ich nehme an, dass es ein Versehen gewesen ist, dass man uns nicht vorgestellt hat“, sprach er mit tiefer, aber schmeichelnder, charismatischer Stimme. Seine Augen sprachen jedoch eine andere Sprache. Die Prinzessin zuckte zusammen, als sie seinem Blick begegnete. Sie spürte die gleiche Kälte wie zu Beginn des Festes, als sie ihn das erste Mal erblickt hatte.
„Nein, DAS war es NICHT. Ich denke, wir wissen alle, wer ihr seid … was ihr seid. Und ihr seid hier NICHT erwünscht.“
„Aber manche beginnen schon … wie soll ich das ausdrücken … Freundschaften zu schließen“, entgegnete er mit einem Blick auf Alessandra.
Karlus erhob sich drohend. Zwei Wächter, die Hände am Schwertknauf, traten hinter dem Thron hervor, um die Geste des Königs zu unterstreichen.
„Es ist besser, Ihr geht jetzt.“ Mit einer kraftvollen Bewegung deutete er zum Ausgang.
Die Prinzessin sah, wie der Fremde, mit dem sie getanzt hatte, beschwichtigend die Hand auf den Arm des Wortführers legte.
„Das war nicht unsere letzte Begegnung mit deinesgleichen, Karlus. Und das weißt du auch“, seine Stimme donnerte durch den Saal. Er wandte sich um und schritt hoch erhobenen Hauptes hinaus, gefolgt von seinen Begleitern. Die anderen Gäste wichen zur Seite, als sie an ihnen vorbeigingen und formten so eine Gasse für die nicht erwünschten Gäste. Sie schloss sich hinter ihnen. Viele hatten sich in Gruppen zusammen gefunden und begannen miteinander zu tuscheln. Es war eine böse Kränkung und die Prinzessin hielt das Verhalten ihres Vaters für nicht angemessen. Sie war anscheinend die Einzige, die nicht wusste, wer die unbekannten Gäste gewesen waren, doch hatten sie sich bislang auf dem Fest nichts zu Schulden kommen lassen. Außer, dass einer von ihnen mit ihr getanzt hatte. Aber das war auf einem Fest wie diesem nichts Ungewöhnliches und doch hatte es ihren Vater derart aufgebracht, dass er so heftig reagiert hatte. Sie musste wissen warum. Und sie wollte wissen, wer der Fremde war, der mit ihr getanzt hatte. Ihre Neugier war aufs Extremste geweckt.
Nach dem Zwischenfall war die Stimmung gedrückt. Die Menschen waren nicht mehr so ausgelassen. Bewaffnete Soldaten eilten durchs gesamte Schloss, um sicher zu stellen, dass die Unruhestifter Rothwald tatsächlich verlassen hatten. Offensichtlich ging von ihnen eine so große Gefahr aus, dass vermutet wurde, einer oder sie alle würden versuchen unbemerkt im Schloss zu bleiben. Die bewaffneten Soldaten blieben auch noch an sämtlichen Eingängen und Türen ins Schloss und zum Festsaal stehen, nachdem sie sich davon überzeugt hatten, dass sich nur noch willkommene Gäste hier aufhielten.
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