Der Prinzessin fielen sie sofort auf, als sie die Empfangshalle betraten. Sie hatte sie schon öfter gesehen, dennoch war es jedes Mal ein bezauberndes Erlebnis, das sie in seinen Bann zog. Man merkte ihnen gleich an, dass sie es als ungewohnt und vor allem lästig empfanden, in dicke Mäntel und Mützen gehüllt sein zu müssen. Sie kamen ja auch aus einem Land, in dem es das ganze Jahr warm war und die Sonne schien. Sogar der Regen war warm, hatte man ihr erzählt. Besonders die augenscheinlich Jüngste von ihnen schien es anzustrengen, die Schwere dieser Garderobe aushalten zu müssen. Sie strahlte eine Aura von wärmendem Licht aus und ihr sonniges Gemüt verbreitete einen Charme, der jeden in ihrer Umgebung sogleich in gute Laune versetzen musste.
Alessandra erkannte natürlich auch die Königin der Spitzohren, Lilijana, und ihren Gefährten Fayn. Die Königin hatte lange, glatte, dunkelblonde Haare, die wie flüssiges Gold ihren nackten Rücken hinabflossen. Sie trug ein fließendes Kleid aus pinken und türkisen Stoffen.
Über die beiden wurde nicht nur geredet, wenn sie zu einem der wenigen Feste im Reich erschienen, sondern auch einfach, wenn wieder einmal irgendjemand eine neue Theorie aufgeschnappt hatte. Lilijana und Fayn waren nämlich nicht nur Gesprächsstoff aufgrund ihrer unkonventionellen Partnerschaft, sondern vor allem wegen der immer noch unbekannten Herkunft Fayns. Er war offensichtlich keiner aus dem Volk der Königin, denn seine Ohren wiesen nicht die typische nach oben spitz zulaufende Form auf. Auch ansonsten unterschied er sich in seinem Verhalten und seinem Charakter deutlich von den anderen Spitzohren. Lilijana und er lebten schon unzählige Jahre zusammen, ohne dass sie öffentlich den Bund fürs Leben geschlossen hatten. Darüber hinaus wiesen sie die Gerüchte, die Kinder der Königin, Aleta und Finnroth, seien von ihm, rigoros von sich. Das machte die ganze Sache umso skandalöser, da es eine Sache war, unvermählt zu sein, eine ganz anderer war es allerdings, als Königin Nachfolger zu haben, deren Vater als unbekannt galt. Lilijana war eine mysteriöse Frau und sie liebte die Spekulationen, die sich um ihre Person rankten. Es gefiel ihr, dass keiner genau über sie Bescheid wusste. Daher hielten sich die Behauptungen. Ein weiterer Grund war, dass der Prinz der Spitzohren von seinem ganzen Wesen, der Sohn seines angeblichen Vaters durchaus zu sein schien. Seine Statur und sein Gesicht ähnelten weit mehr dem Fayns als dem seiner Mutter. So war Finnroth seiner Zwillingsschwester auch auffällig unähnlich.
Alessandra betrachtete in solche Gedanken versunken weiter die ankommenden Gäste, als ihr Blick schließlich auf diesen Prinzen fiel. Erschrocken bemerkte sie, dass auch er sie unverwandt ansah. In diesem Moment trat ihre Zofe zu ihr und die Prinzessin drehte sich hastig beim Klang ihrer Stimme um.
„Eure Majestät“, Katharine verneigte sich ehrerbietig, „man erwartet Euch unten zur Begrüßung der Gäste. Sie sind nun vollzählig.“
„Ja, ich werde sofort kommen.“
Mit einer weiteren Verbeugung entfernte sie sich und Alessandra wandte sich wieder ihrer Beobachtung zu. Doch der Prinz war im Getümmel des Saales verschwunden. Erneut wurde sie von weiteren eintreffenden Gästen in deren Bann gezogen. Allerdings versetzte ihr Anblick sie nicht in neugierige Bewunderung, sondern ließ sie trotz der Wärme im Schloss erschauern. Sie kamen aus dem Norden, aus dem Felsengebirge, von einer Burg, die angeblich auf keinerlei Wegen zu erreichen war. Viele Geschichten, Märchen und Wahrheiten, wobei keiner vermochte dies zu unterscheiden, rankten sich um ihre Existenz. Die Ankömmlinge, zwei Männer und fünf Frauen, waren fast komplett in Schwarz gekleidet. Schwarze lederne Hosen, schwarze oder weiße Hemden und Blusen. Alles sehr eng und figurbetont. Sie wollten auffallen, obwohl sie das nicht nötig hatten. Vor ihren kreideweißen Gesichtern trugen sie Masken aus Federn, die ihr Antlitz zur Hälfte verbargen. Trotzdem konnte man erkennen, dass ihre Gesichter beinahe makellos und wunderschön waren. Einer der Männer wandte seinen Kopf plötzlich nach oben und begegnete ihrem Blick. Seine dunklen Augen leuchteten im gleichen Moment mit einem Ausdruck auf, der begehrliches Verlangen ausdrückte. Ihr Herz schien augenblicklich das Schlagen aufzuhören und die Prinzessin überkam ein heftiger Schwindel. Schnell drehte sie sich weg. Ihre Hand an der Brust und mit dem Rücken an der Brüstung ließ sie sich zu Boden sinken. Mühsam versuchte sie ruhig zu atmen. Doch so schnell wie der Schwindel gekommen war, verschwand er auch wieder.
Runde um Runde drehten sich die Tanzenden in der Mitte des Saales zu den heiteren Klängen der Musik. Keiner wollte an diesem fröhlichen Abend nur als Beobachter am Rand stehen. Selbst die Älteren, zu denen auch König Karlus und Königin Nicoletta, Alessandras Eltern, gehörten, reihten sich wieder und wieder unter die Tanzenden.
„Keine Lust zu tanzen? Würdest jetzt wohl lieber unten in der Waffenkammer dein Schwert schwingen“, neckte ihr Bruder Eron.
Die Prinzessin stand als eine von wenigen am Rand und nippte nur selten an ihrem Glas mit Weißwein, das sie wie eine lästige Bürde in der Hand hielt. Sie trug ein petrolfarbenes Kleid mit einem herzförmigen Ausschnitt, das ausladend ihre Beine umspielte. Es war an Taille und Hüften in kleine Falten gelegt und ließ so den Stoff an diesen Stellen besonders schön glänzen. Das Kleid hatte eine lange Schleppe, auf der das Wappen der Wolfsherzen, der Wolfskopf, gestickt war. Es war so groß und so dezent mit einem Faden gestickt, der nur eine Nuance dunkler war als die Farbe des Stoffes, dass man ganz genau hinschauen musste, um ihn zu erkennen. Im ersten Moment wirkte es eher wie ein beliebiges, ornamentales Muster. Um die Verwirrung perfekt zu machen, zog sich ein eben solches über den gesamten restlichen Stoff. Ihre dunklen Haare fielen in kleinen Locken um ihr Gesicht und waren am Hinterkopf mit kleinen Spangen in Form von Blättern festgesteckt. Über ihrer Stirn lag ein schmales Diadem aus funkelnden, rauchfarbenen Quarzen. Um ihren linken Arm schlang sich bis zum Ellenbogen ein filigraner Reif aus geschwärztem Stahl. Auch er bildete ein beliebiges ornamentales Muster. Es stand zu vermuten, dass sich auch darin das Wappentier verbarg.
„Du scheinst dich nicht gerade zu amüsieren“, bemerkte Eron ein wenig besorgt.
„Du weißt doch, dass ich mir wenig aus solchem Trubel mache“, entgegnete sie im Versuch ihn zu beruhigen mit einem müden Lächeln. Eron stellte sich neben sie und nahm einen großen Schluck aus seinem Bierkrug. Er musterte seine Schwester von der Seite. Früher war das nicht so gewesen. Da hatte sich Alessandra das ganze Jahr auf dieses Fest gefreut, hatte es kaum erwarten können. Sie hatte getanzt, sich amüsiert und mit den Gästen geplaudert. Als sie noch jünger waren, war sie es immer gewesen, die die Eltern angebettelt hatte, länger aufbleiben zu dürfen. Doch in diesem Jahr war es anders. Sie war still, introvertiert und wirkte irgendwie unglücklich.
„Sie sind alle gekommen, um Spaß zu haben“, sinnierte er, während sein Blick über die Menge wanderte. „Mal sehen mit welcher jungen, hübschen Lady ich als nächstes tanzen werde.“ Vergeblich versuchte Eron sie aus ihrer trüben Stimmung zu lösen.
Wahrscheinlich im gleichen Moment verweilten die Geschwister mit ihren Musterungen auf dem gleichen Paar, das sich schräg gegenüber von ihnen auf einem kleinen Sofa vom Tanzen ausruhte. Ohne den störenden Mantel strahlte Aleta noch mehr als zuvor. Ihre hellbraunen Haare, die in weichen Wellen über Schulter und Rücken flossen und die lediglich mit diamantenen Spangen am Hinterkopf leicht zusammen gehalten wurden, schimmerten im hellen Kerzenlicht fast wie flüssiges Gold. Sie trug ein weißes Kleid, dessen apricotfarbene Träger so dünn waren, dass sie den Anschein machten, als würden sie jeden Moment reißen. Unter der Brust war der zarte Stoff mit einer goldenen Kordel gerafft und floss von dort in mehreren Lagen nach unten bis zum Boden. Am Rücken war eine Art Schleier befestigt, der in einer kurzen Schleppe endete und der ihrem ganzen Aussehen noch mehr eine luftige Leichtigkeit verlieh. Beim Tanzen, wenn sich das Kleid bewegte, konnte man ab und zu einen kurzen Blick auf ihre zierlichen Sandalen werfen, die aus sehr feinen Schnüren bestanden, die bis zu ihren Knöcheln hoch reichten. Um ihr linkes Handgelenk und ihren Schwanenhals wanden sich kunstvoll gefertigte Reifen aus roséfarbenem Gold mit Ornamenten aus flachen, weißen Perlen. Der Prinz der Spitzohren saß ein wenig steif neben seiner Schwester. Zwar hatte er locker sein Bein angewinkelt und den Fuß auf das andere gelegt. Doch seine Miene und seine Haltung wirkten sehr unentspannt. Er war beinahe das männliche Pendant zu Alessandra. Während Aleta grazil ihr Glas zwischen den Fingern hielt und ihm strahlend zuprostete, quälte sich Finnroth ein Lächeln ab.
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