Joe, hör auf Trübsal zu blasen. Du kennst so viele nette Menschen.
Viele?
Okay, aber die paar, die du kennst, sind doch nett, wie Sandra zum Beispiel. Michael ist nett. Und Sex mit ihm hat dir doch auch, zumindest die ersten Male, immer Spaß gemacht.
Schon.
Dann häng jetzt nicht den ganzen Menschen bzw. die ganze Beziehung daran auf, dass er nichts mit BDSM anfangen kann. Alle sind nicht so verrückt wie wir beide.
Joe musste schmunzeln. Bezieh das verrückt ruhig auf dich.
Gut, bezieh ich es auf mich. Hab kein Problem damit.
In diesem Augenblick begann das Smartphone den Klingelton des Baumeisters zu intonieren. »Sie hab’n a Haus baut« von Arik Brauer.
»Binder.«
»Ja, ich grüße Sie, Frau Doktoa Binda«, kam die feste Stimme von Baumeister Kaefer aus dem Lautsprecher. »Haben Sie mein Mail schon gelesen?«
Uh, das klang gar nicht gut. Eine Mail vom Baumeister, jetzt wo die Arbeiten so gut wie abgeschlossen waren. Das konnte nur bedeuten, dass er seinen Kostenvoranschlag nicht eingehalten hatte, dass er, wie in Österreich quasi schon Standard, wenn schon nicht die Bauzeit, so zumindest die präliminierten Kosten überzogen hatte. »Nein«, sagte sie brüsk ins Telefon.
»Macht nichts. Herr Jevtic hat mit mir gesprochen, dass Sie die Mansarde auch noch ausgebaut haben wollen, Sie aber nicht persönlich als Auftraggeberin in Erscheinung treten wollen, sondern dass wir, die Baumeister Kaefer GmbH, diese Rolle übernehmen sollen.«
Sie hörte einen langgezogenen Seufzer. »Das machen wir natürlich gerne für Sie, Frau Doktoa, da wir auch in der glücklichen Lage sind einige Firmen zu kennen, die erstklassige Innenausbauten, inklusive ansprechendem Design durchführen.«
»Sehr schön, es freut mich, das zu hören.«
»Ich schick Ihnen also demnächst jemanden vorbei, wahrscheinlich noch diese Woche, der sich den Dachboden einmal anschaut und dem Sie Ihre Wünsche und Vorstellungen schildern können und der Ihnen einen Plan und eine damit verbundene erste Kostenschätzung liefert.«
»Danke! Das ist ausgesprochen zuvorkommend.« Sie hörte das dezente Lächeln des Baumeisters am anderen Ende des Äthers.
»Was die Mail betrifft ...«
Joe krampfte sich der Magen zusammen.
»... so hoffe ich, Sie freuen sich, dass wir acht Prozent unter dem Kostenvoranschlag geblieben sind.«
Stille. Hatte er das wirklich gesagt, was sie dachte gehört zu haben? »Acht Prozent?«, sagte sie, eine Oktave höher als gewöhnlich.
»Äh, ja. Exakt herausgerechnet sind es acht Komma drei oder vier.«
»Das ... also das ...« Joe rang nach Worten. »Danke, vielen herzlichen Dank.«
»Gern geschehen«, meinte Kaefer, dem es offensichtlich ausgesprochen gut tat, ab und an ein wenig Dank von seinen Kunden zu bekommen.
*
»Wie läuft’s denn in deiner Design-Bude?«
»Du meinst im Büro?«
Sandra grinste überheblich, als gäbe es gar keine Möglichkeit, ihre Frage falsch zu verstehen.
Anika zuckte mit den schmalen Schultern. »Tut sich nicht viel. Branding für ein mittelgroßes Unternehmen, dessen Namen ich dir nicht verraten darf, sonst nur Kleinkram, Privatkunden, Websites und Visitenkarten.«
»Das find ich wirklich interessant, dass in einer papierlosen Zeit wie der heutigen, die Visitenkarten noch nicht von der Bildfläche verschwunden sind.«
»Hast du vor, die gesamte Zeit mit mir über den Job zu reden? Ich dachte, du wolltest mich erziehen?«
»Vielleicht tu ich das ja grade.« Sandra lachte, als sie Anikas entgeisterten Gesichtsausdruck bemerkte.
»Hey, das geht aber nicht!«
»So?«
»Ähm, zumindest nicht ohne begleitende disziplinäre Maßnahmen.«
»Du wirst das Geschirr abwaschen, meine Dessous bügeln, das Haus aufräumen ...«
»Aber...«
»Hm ... ich glaub, ich werd alt. Hab schon ’nen Tinitus. Dachte grad, du hättest ›aber‹ gesagt.«
»Aber ...«
»Da ist es schon wieder.«
»Aber ich hab ›aber‹ gesagt.«
Sandras Augen waren kreisrund. »Aber, aber ... Nix aber. Bei Erziehungsmaßnahmen gibt es kein ›aber‹, verstanden?«
»Ja, ja, hören tu ich noch ganz gut, aber ...«
»Was hab ich grad gesagt?«
»Aber ...«
»Anika, das führt zu nichts. Du hörst dich an wie eine CD, die ewig an der gleichen Stelle hängt.«
»Aber ...«
»Genau das hab ich gemeint.«
Anika schwieg.
»Schon besser.– Eine Erziehungsmaßnahme ist kein Lustgewinn, klar?«
»A...«
Sandra rollte die Augen.
»Bin schon still. Es ist so, wie du befiehlst, Herrin.«
»So ist es.«
»A... gibt es denn nicht einmal Handschellen ...?«
Sandra sah gelangweilt in den Raum, als ginge sie die ganze Sache nichts an.
»... Fußeisen, einen Knebel, ein Seil um die Arme, das die Hausarbeit erschwert?«
»Muss dich leider enttäuschen, meine Liebe. Das ist kein Wunschkonzert. Falls du Dinge dieser Art wieder von mir haben möchtest, wirst du sie dir erst verdienen müssen.«
»Verdienen?«
»Ja, mit Arbeit, harter Arbeit. Arschkriechen auf working level , so to speak.«
Anika nickte. »Ich hab wohl eine Menge gut zu machen, bevor ich wieder in den Kreis deiner Vertrauten vorgelassen werde.«
»Eine ganze Menge«, nickte Sandra zustimmend.
*
Pünktlich auf die Sekunde pochte es an der Tür.
»Komm schon«, rief Joe, die das zarte Geklopfe beinah überhört hatte. Warum hatte Baumeister Kaefer, der die Gesamtleitung der Renovierung inne hatte, dem Elektriker nicht schon lange gesagt, dass er eine Türklingel montieren und anschließen soll?
»Guten Tag, ich komme vom Architekturbüro.«
Joe spürte die kühle Luft um ihre Beine schmeicheln. Sie musterte die mittelgroße Frau. Attraktiv und hübsch sah sie aus. Schweres blondes Haar, breite Hüften, spitze Brüste, deren Nippel sich kess durch das unifarbene Top abzeichneten.
»Mein Name ist Carissa Werner«, sagte die Frau, die Joe auf etwa dreißig schätzte. »Ich komm wegen dem Dachboden.«
»Natürlich«, setzte Joe ihr Lächeln auf, das sie auch in der Ordination benutzte, um ihre Klienten zu begrüßen. »Ich bin Joe Binder.«
»Sehr erfreut«, sagte Frau Werner, streckte Joe die Hand entgegen und ging nach einem kurzen »Darf ich?« die Treppe ins Obergeschoß und von dort die Hühnerleiter hinauf in den Dachboden.
Joe folgte ihr stumm.
»Hier soll also die Mansarde hin.«
»Mansarde?«
»Na, der Ausbau.«
»Ganz recht.« Sie sah in die blauen Augen der Architektin. Eigentlich ist sie gar nicht hübsch, nicht einmal attraktiv, dachte Joe. Eine durchschnittliche Frau um die dreißig, nicht besonders schön, nicht besonders sexy, und doch gab es da etwas, was sie an ihr faszinierte.
War es gerade dieses Durchschnittliche, dieses Nichtperfekte verbunden mit einer aufdringlichen Ausstrahlung von Zufriedenheit, die stets aus ihrem Allerweltsgesicht lächelte? Joe gefiel die Art, wie sie redete, sich bewegte, sich die schweren Haare aus der Stirn strich und nicht zuletzt die Art, wie sie sich kleidete. Sie war ein bisschen, was die Klamotten betraf, wie sie selbst, bevor Sandra ihr eingebläut hatte, wie frau sich zu kleiden hatte, wenn sie auch als solche wahrgenommen werden wollte. Vermutlich war das das Geheimnis dieser magischen Anziehungskraft, derer sich Joe kaum erwehren konnte. Sie war so, wie Joe in früheren Jahren, eine Zwillingsschwester aus der Vergangenheit, die plötzlich vor ihr in der Gegenwart auftauchte.
In hüftkurzen Jeans krabbelte sie auf allen vieren, das Maßband in den Händen, über den Boden, was Joe großzügige Blicke auf den hautfarbenen Slip und den halben Hintern gewährte.
»Sie wollen den Raum unterteilt haben?«
Joes Augen waren plötzlich gezwungen, statt der Pofalte ihrer Architektin einen neuen Fixpunkt zu suchen. »Nein, ich möchte den Dachboden als einen großen Raum nutzen.«
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