Carlo Fehn
Höllische Tage
Höllische Tage - Hauptkommissar Pytliks dritter Fall
Carlo Fehn
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2012 Verlag Carlo Fehn
ISBN 978-3-8442-3654-5
Der Jahrhundertsommer 2003 hat die Menschen im ganzen Land unter Kontrolle. Wochenlange Hitze hat auch im Landkreis Kronach dazu geführt, dass der Alltag mehr und mehr zur Qual wird. Das alljährliche Freischießen in der Cranach-Stadt steht vor der Tür und die Vorbereitungen laufen.
Für Franz Pytlik rückt das wichtigste Volksfest des Jahres plötzlich in den Hintergrund. Ein unsichtbarer Gegner fordert den Kronacher Ermittler heraus. Nachdem der Hauptkommissar dem Unbekannten zunächst keine Bedeutung beimisst, macht dieser schnell seine brutale Entschlossenheit deutlich. Für Pytlik beginnen höllische Tage.
Freitag, 15. August 2003, 8:45 Uhr
Der klebrige Schweißfilm auf seinem Körper war ihm zuwider, das dünne Bettlaken am Fußende hatte er die ganze Nacht nicht gebraucht. Die erbarmungslose Hitze, die schon wochenlang das Land und die Bewohner lähmte, ging ihrem Höhepunkt entgegen. Nicht einmal jetzt konnte Pytlik die Gedanken an diesen infernalen Sommer und die Ereignisse der letzten Tage ruhen lassen. Nicht einmal jetzt, als er - die Hände hinter seinem Kopf im Kissen vergraben - knapp oberhalb seiner Bauchkante diesen makellosen Körper in die Dusche flanieren sah. Ein Körper, den er so nicht erwartet, ja nicht einmal erhofft hatte. Weil er bisher immer nur seine Gedanken hatte spielen lassen, jedes Mal, wenn sie ihm mit ihrer korrekt-eisigen, aber auch faszinierenden und betörenden Art gegenüberstand und sein lautloses - weil sinnloses - Werben um einen gemeinsamen Abend ignoriert hatte. Da verschwand sie und nur wenige Augenblicke später, als der Hauptkommissar das sanfte Plätschern der Wassertropfen hörte, spürte er schon wieder die Sehnsucht nach diesen wilden Bewegungen und diesem weichen Fleisch, das ihm in den vergangenen Stunden nie dagewesene Glücksmomente beschert hatte. Pytlik konnte sich nicht daran erinnern, jemals so guten Sex gehabt zu haben. Was war das, fragte er sich, legte den Kopf zur Seite und setzte seine Gedanken fort. Was sollte das werden? Er hatte nicht gedacht, dass die gemeinsame "Bierprobe" auf dem Kronacher Freischießen so enden würde. Gut, dass er den Tag freigenommen hatte. Im nächsten Augenblick schlief er wieder ein.
14 Tage vorher, Freitag, 1. August 2003
Pytlik verließ - wie fast immer - gegen halb acht seine Doppelhaushälfte in der Rhodter Straße. Irgendwie schien es ihm selbst so, als hätte er nur widerwillig seine beiden Füße vor die Tür gesetzt. Es hatte in den Tagen zuvor kein Thema gegeben, das in allen Medien mehr diskutiert worden war, als der bisherige Sommer und das, was nun noch kommen sollte. Der Hauptkommissar war beileibe keiner, der vor Wärme und Sonnenstrahlen davonlief, das Jahr 2003 würde selbst er jedoch später als klimatisch anstrengend bezeichnen.
Welcome sunshine, murmelte er leise, fast schon resignierend, als er sein Fahrrad aus dem Carport holte und sich gemächlich auf den Sattel setzte, den Helm bereits festgezurrt. Er würde auch heute durch das Gelände der Landesgartenschau fahren, bloß nicht zu schnell, immerhin hatte das Thermometer schon deutlich über 20 Grad angezeigt. Nach wenigen Metern Fahrt nahm er im Augenwinkel einen hellen Schatten und leichte, dumpfe Geräusche wahr, die er nach einem spontanen Blick nach rechts sogleich zuzuordnen wusste. Die neue Nachbarin, drei Häuser weiter, links gegenüber, räumte die letzten Kartons vor die Haustür, wo sauber gestapelt bereits die Überreste des Umzugs auf Entsorgung warteten. Es hatte sich bisher noch nicht die Gelegenheit ergeben, mit der gutaussehenden Frau zu sprechen. Zu froh war er jedes Mal, wenn er aus dem Präsidium nach Hause gekommen war und sich abends in seinem Garten in ein schattiges Plätzchen legen konnte, anstatt die Aus- und Einräumarbeiten der Umzugshelfer und der neuen Hauseigentümerin zu unterbrechen.
"Ach, Entschuldigung! Herr Pytlik?"
Der Hauptkommissar war einigermaßen überrascht, als die in einen weißen Jogginganzug gekleidete Frau plötzlich in einer Art Hilferuf auf sich aufmerksam machte und mit einer winkenden Handbewegung seine Aufmerksamkeit gewonnen hatte. Pytlik zog beide Bremshebel an seinem Trekkingrad und lenkte seinen Drahtesel langsam auf den Gehweg vor dem Anwesen der Brünetten, die verlegen lächelnd an die kniehoch und sauber geschnittene Hecke gekommen war. Nun sah er sie das erste Mal aus unmittelbarer Nähe und es gefiel ihm, was er sah. Das braune Haar hatte einen leicht rötlichen Stich, das sehr weibliche Gesicht mit der gepflegten, hellen Haut und das sympathische Lächeln ließen seine eher missmutige Stimmung etwas verschwinden. Er stand da wie ein Teenager, der sich von einem Mädchen verabschiedete, mit dem er gerade beim Picknick gewesen war, es dort nicht geschafft hatte, sie zu küssen und jetzt vergeblich darauf wartete, dass sie zum Abschied die Initiative ergreifen würde. Beide Hände am Lenker, die Beine rechts und links der Querstange. Sie hatte ihn anscheinend kurz gedanklich gefesselt, dann machte er sich aber zumindest daran, seinen Helm abzunehmen, während sie ihre strahlend weißen Zähne präsentierte, leicht außer Atem.
"Guten Morgen! Angelika Küppers. Ich bin die neue Nachbarin - sozusagen. War ja sicherlich nicht zu übersehen die letzten Tage."
Pytlik spürte einen warmen Händedruck und versuchte gleichzeitig die ersten Worte dieser Frau irgendwie zu deuten: "...sozusagen... - ...sicherlich nicht zu übersehen...". Was meinte sie damit? Hieß das: Du hättest dich ruhig schon mal blicken lassen können, Blödmann und fragen, ob ich Hilfe brauchen kann. Du hast doch sicherlich schon bemerkt, dass hier kein Mann rumläuft, der augenscheinlich zu mir gehört. Denn du hast doch bestimmt von deinem Küchenfenster aus verfolgt, wie die Umzugsfirma und ich hier in den letzten Tagen geschuftet haben. Für uns war das Wetter übrigens auch nicht angenehmer.
"Sie sind der Polizist, oder? Ich habe mich schon ein bisschen informiert. Die Merkels - ist das richtig? - und die Frau, äh, Porzel, nein Porzig, ja, Porzig, heißt sie. Mit denen habe ich schon geredet. Nette Leute, ich glaube, ich werde mich hier richtig wohlfühlen. Aber entschuldigen Sie bitte, ich wollte Sie nicht überfahren, Sie müssen ja sicherlich auch ins Büro."
Das musste Pytlik tatsächlich, aber außer der weiteren Vorbereitung auf das bevorstehende Freischießen schob er im Moment eine eher ruhige Kugel.
"Ich hoffe, die haben alle nichts Schlechtes über den Polizisten erzählt! Pytlik, Franz Pytlik. Ich wohne hier vorne, aber Sie sind ja anscheinend schon bestens informiert. Frau... Küppers, ja?"
"Ja, Angelika Küppers. Herr Pytlik, ich wollte Sie nicht lange aufhalten, ich habe eigentlich nur eine kurze Frage: Wissen Sie vielleicht, wo und wie ich diese ganzen Kartons und Verpackungen am besten entsorgen kann? Ich möchte so schnell wie möglich alles weg haben. Sie wissen ja, man schiebt das dann auf und im Winter liegt das Zeug immer noch rum."
Pytlik wusste, was sie meinte und fragte sich gleichzeitig, ob seine anderen Nachbarn diese Frage nicht auch hätten beantworten können. Sie wollte also einfach nur den Kontakt zu ihm herstellen, kombinierte er und fühlte sich innerlich geschmeichelt.
"Am besten, Sie fahren die Sachen auf den Wertstoffhof. Wenn ich das richtig sehe, ist das Meiste Pappe und Papier, das können Sie dort kostenlos entsorgen."
"Okay. Und wo ist dieser Wertstoffhof?"
"Ach so. Es lohnt sich nicht, das zu erklären. Wenn Sie hier neu sind, wäre es wohl das Beste, ich zeige Ihnen den mal. Die haben samstags auch geöffnet. Wenn Sie möchten, fahre ich da morgen früh mit Ihnen hin und Sie laden mich hinterher auf einen Kaffee ein. Ich bin nun mal Ermittler und möchte natürlich auch einiges über Sie wissen."
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