Aufgrund der fortgeschrittenen Uhrzeit gehe ich großen Schrittes wieder auf das Camp zu und bemerke, dass die indianischen Arbeiter bereits beim Essen sitzen.
Ebenso wie Mr. Dunaway, womit ich zunächst ins Waschzelt gehe und mir die Hände wasche bevor ich mich im Küchenzelt am Tisch von Mr. Dunaway niederlasse.
„Nun, Mr. Bolder, wie finden Sie Palenque?“ fragt er wissbegierig.
„Sehr interessant muss ich sagen. Sogar so aufschlussreich, dass ich gar nicht gemerkt habe wie schnell die Zeit vergangen ist.“ antworte ich grinsend.
Miguel stellt einen Teller mit Enchiladas und Reis vor mich hin, welches wieder einmal sehr lecker aussieht und ich mich mit Heißhunger darüber her mache.
Es hat zwar eine gewisse Chili-Schärfe, schmeckt aber hervorragend.
„Also ich muss sagen … Miguel ist ein begnadeter Koch, seine Enchiladas sind genauso Spitzenklasse, wie das Frühstück heute Morgen.“ bemerke ich nebenbei.
„Ja, das finde ich auch, deshalb habe ich ihn ja engagiert.“ ein amüsiertes Lächeln umspielt die Mundwinkel von Mr. Dunaway.
„Was haben Sie sich für heute Nachmittag vorgenommen?“
„Ich weiß noch nicht! Eigentlich sollte ich mich so langsam dem Tempel der Inschriften widmen, aber ich habe gelesen, dass bisher nur etwa fünfzehn Prozent von Palenque freigelegt wurde.
Deshalb würde mich das Umfeld und der Rand des Dschungels sehr interessieren.“ sage ich voller Tatendrang.
„Gut dass Sie das sagen. Sie sollten sich nämlich nicht allein im Dschungel aufhalten. Ich gehe davon aus, dass Sie noch nie im mittelamerikanischen Regenwald waren oder täusche ich mich da?“ sagt er wieder mit einem Glitzern in den Augen.
„Nein, noch nie! Ist das ein Problem?“ frage ich erstaunt zurück.
„Nun ja, es gibt hier sehr viele gefährliche Tiere, wie Giftschlangen, giftige Spinnen, Pumas, Jaguare und so weiter und mindestens ebenso viele giftige Pflanzen, die man besser nicht berühren sollte.
Ich gebe Ihnen am besten Hernán mit, der kennt sich im Dschungel bestens aus und weiß sich mit Händen und Füßen zu verständigen.“ stellt er fest und winkt einem etwa dreißigjährigen Indio heran, der ungefähr einen Meter siebzig groß und schlank ist. Er hat natürlich wie alle Indios, schwarzes Haar und bronzefarbene Haut.
Für mich sehen die fünfzehn Arbeiter im Moment noch alle gleich aus, bis auf die unterschiedliche Körpergröße. Aber das ging mir mit den Arabern am Anfang auch so und es dauerte eine Weile, bis ich sie auseinanderhalten konnte.
Mr. Dunaway spricht mit Hernán etwas auf Spanisch was ich nicht verstehe, aber ich kann sehen, dass dieser eifrig nickt und sogleich aus dem Zelt verschwindet.
„Was haben Sie zu ihm gesagt, weil er jetzt weg geht?“ werfe ich ihm einen fragenden Blick zu.
„Ich habe ihn nur gebeten, Sie zu begleiten und möglichst vor wilden Tieren zu beschützen. Ich denke er geht jetzt in sein Zelt und holt seinen Bogen und seine Machete.“
Ich schlucke erst einmal schwer.
Bogen und Machete?
„Ist es wirklich so gefährlich?“
Mr. Dunaway runzelt die Stirn und sieht mich von unten her an.
„Vertrauen Sie mir etwa nicht Mr. Bolder?“ fragt er und in seiner Stimme liegt ein Anflug von etwas drohendem, so wie heute Morgen im Waschzelt.
„Oh, doch natürlich, entschuldigen Sie. Ich hätte nur nicht erwartet, dass die Tiere so nah an das Camp herankommen.“ sage ich schnell.
Mr. Dunaway lächelt wieder und schüttelt leicht mit dem Kopf.
„Mr. Bolder, wenn wir das Camp nicht rund um die Uhr bewachen würden, dann würden einige Tiere zumindest nachts sogar hier herumspazieren.
Ich möchte nur nicht, dass Ihnen irgendetwas passiert schließlich brauche ich Sie noch. Hat es in Ägypten denn keine gefährlichen Tiere gegeben?“ fragt er mich neugierig.
„Doch durchaus! Natürlich gab es da auch Schlangen und Skorpione, aber die Camps wurden rundherum täglich mehrmals gesäubert.
Ich bin jedenfalls nie einem gefährlichen Tier begegnet und im ganzen Umfeld war ja meistens nur überschaubare Wüste und kein Wald, da mögen Sie schon Recht haben.
Tut mir leid, daran habe ich nicht gedacht.“ antworte ich verlegen.
Hernán taucht im gleichen Augenblick wieder im Küchenzelt auf und sieht wie ein Maya-Krieger aus, der aus einer fernen Zeit kommt.
Er trägt einen Lendenschurz, der Oberkörper ist nackt und er hat um die Fuß- und Handgelenke Muschelschellen gebunden.
Auf dem Rücken trägt er einen Köcher mit Pfeilen und einen großen Bogen mit dem er sie abschießen könnte, wenn es nötig wäre.
Um die Hüften hat er sich einen Gürtel mit einem Halfter gebunden in dem eine große Machete steckt, mit der er Buschwerk und Lianen zerteilen kann.
Sogar sein Gesicht und seinen Körper ziert eine auffällige dunkle Bemalung. Einzig auf seinem Kopf fehlt der reichhaltige Federschmuck, der aus ihm einen wahren Maya-Krieger gemacht hätte.
So zumindest habe ich das Bild in meinem Kopf, das sich mir bei meinen Recherchen im Internet immer gezeigt hat.
Hernán und Mr. Dunaway unterhalten sich wieder auf Spanisch, von dem ich leider kein Wort verstehe und ich nehme mir fest vor, falls dieses Arbeitsverhältnis länger bestehen sollte, nicht nur den Schriftzeichen der Maya, sondern auch der Spanischen Sprache etwas mehr Zeit zu schenken.
Ich beiße also in den letzten Rest von Miguels köstlichen Enchiladas, leere noch eine halbe Flasche Mineralwasser und verabschiede mich von Mr. Dunaway mit einem Kopfnicken.
Daraufhin folge ich Hernán wortlos, welcher stolz in Richtung Urwald voranschreitet und ich etliche Mühe habe mit ihm Schritt zu halten.
Wir erreichen nach etwa fünfzehn Minuten den Rand des Urwaldes wo ich bereits die überwucherten letzten Überreste eines weiteren Tempels sehe.
Ich kann eigentlich gar nicht verstehen warum sich die mexikanische Regierung nicht mehr darum kümmert und die Stadt weiter ausgraben lässt, beziehungsweise vom überwuchernden Urwald befreien lässt.
Bevor wir in den Wald eintauchen zieht Hernán seine Machete und bedeutet mir mit den Händen, dass ich ihm folgen soll und auch nur dort hintreten soll wo er vor mir seinen Fuß hinsetzt.
Er sieht mich dabei mit seinen schwarzen Augen eindringlich an, bis ich ihm mit einem Kopfnicken bedeute, dass ich ihn verstanden habe.
Er stampft zunächst mit den Füßen, so dass die Muschelschellen rasseln und ich bemerke wie rund um uns herum einiges Getier davonhuscht.
Jetzt verstehe ich die Bedeutung der Schellen erst so richtig, denn ich dachte die Maya hätten sie nur bei rituellen Tänzen getragen, aber dass sie auch eine andere Funktion haben hatte ich nirgendwo gelesen.
Hernán stapft, seine Machete schwingend voraus, direkt in den dichten Wald mit seinem Gestrüpp hinein und ich versuche genau darauf zu achten, wo er seine Füße hinsetzt.
Doch dann muss ich mir leider gefallen lassen, dass mich der eine oder andere Dornenzweig schmerzhaft im Gesicht und an den Armen streift.
Nach etwa vier- oder vielleicht fünfhundert Metern stehen wir erneut vor einem Tempel, der bereits zum Teil von Gestrüpp und Bäumen befreit ist und ich sehe Hernán verwundert an.
Am liebsten würde ich ihn fragen, ob Mr. Dunaway dafür verantwortlich ist, aber leider spreche ich kein Spanisch und Hernán kein Englisch, also muss ich mir die Frage bis heute Abend aufheben.
Den Tempel genauer betrachtend trete ich näher an ihn heran und nachdem Hernán mich nicht zurückhält, wird dort wohl auch keine Gefahr für mich bestehen.
Obwohl er mir trotzdem dicht folgt und kräftig mit seinen Muschelschellen klimpert, damit auch die letzte Schlange und Eidechse Reißaus vor uns nimmt.
Ich nehme die Außenseite des Tempels genauer in Augenschein und kann viele Inschriften und Steinreliefs entdecken, die jedoch einer gründlichen Restauration bedürfen.
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