Gute Nacht, Mum!
In Liebe dein Sohn Matt!
Ich fahre den Laptop wieder herunter, lege ihn vor das Bett auf den Boden und kuschle mich in die weichen Kissen.
Ach wie schön!
Kuschelige Kissen und eine wunderbare Matratze, das hätte ich hier im Regenwald nicht erwartet.
Doch bei der Gelegenheit fällt mir auf, dass die Gaslaterne noch brennt, also erhebe ich mich erneut um sie auszudrehen und taste mich abermals in dieses traumhafte Bett zurück, um selbstzufrieden einzuschlafen.
Ich höre die Vögel zwitschern und einige Affen brüllen, als ich nach einer traumlosen Nacht erwache und die Sonne mir durch einen Spalt in der Zeltplane genau ins Gesicht scheint.
Blinzelnd spitze ich auf meine Armbanduhr, es ist sechs Uhr fünfunddreißig und im Camp scheint noch alles still zu sein.
Ich rolle mich also aus dem Bett und öffne zunächst das Fliegengitter und die Eingangsplane, um nur mit meinen Shorts bekleidet die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages zu genießen.
Vor dem Zelt recke ich mich erst einmal und blinzle erneut in die Sonne, die meine nackte Haut mit warmen Strahlen streichelt. Eine wahre Wohltat gegenüber den letzten kalten Tagen in Philadelphia.
Ich sehe mich im Camp um und bemerke erst jetzt, dass sich in einigen Zelten nun doch etwas rührt.
Also gehe ich zurück in mein Zelt und ziehe mir eine Jeans und ein weites graues Hemd über, das ich offen lasse und die Ärmel hochkremple.
Zunächst mache ich mich auf den Weg in das Küchenzelt um zu sehen, ob ich irgendwo etwas sauberes Wasser ergattern kann um die Zähne zu putzen und mich zu rasieren.
Als ich es betrete sehe ich, dass Miguel bereits alles für das Frühstück vorbereitet hat. Tassen und Teller stehen bereit, es riecht nach frisch gebrühtem Kaffee und auf den Tischen stehen frisch zubereitete Croissants, die hätte ich hier im Regenwald überhaupt nicht erwartet.
„Señor Bolder; setzen por favor! Essen! Du wollen Kaffee?“ grinst mir der schwitzende Koch ins Gesicht.
„Oh danke, Miguel, später, ich wollte mich nur erkundigen, wo ich mich waschen und rasieren kann?“ hoffentlich hat er mich verstanden denke ich zweifelnd und lege meine Stirn in Falten.
„Por favor, mir folgen Señor Bolder!“ Miguel wirft sein Geschirrtuch, an dem er sich gerade die Hände abwischt, auf einen Hocker und geht zum Ausgang, wobei ich ihm brav folge.
Er strebt auf ein weiteres etwas größeres Zelt zu, das in geringem Abstand von Mr. Dunaways Zelt steht und das ich gestern Abend gar nicht mehr bemerkt hatte.
Außen am Zelt ist an einer Stange, die in den Boden gerammt ist, eine Glocke angebracht die er betätigt um offenbar festzustellen, ob sich jemand im Zelt befindet.
Nachdem sich aber nichts rührt öffnet er die Zeltplane, um mir Eintritt zu verschaffen.
„Denada, Señor Bolder! Waschen!“ erneut grinst er mich mit offenem Gesicht an und wendet sich wieder seinem Küchenzelt zu.
Ich staune, in diesem Zelt befinden sich mehrere Waschschüsseln und Spuckschüsseln zum Zähneputzen.
Einige Kannen mit sauberem Wasser und sogar eine Badewanne mit vier krummen Füßen, in der sich allerdings im Moment kein Wasser befindet.
Daher beschließe ich, dass mir die Schüsseln vorerst für heute durchaus reichen.
Ich gehe also zu meinem Zelt zurück um meine Zahnbürste und mein Rasierzeug zu holen und bemerke auf dem Rückweg, dass sich die etwa fünfzehn einheimischen Arbeiter offenbar in einem der Bäche waschen.
Sie fließen zahlreich durch Palenque und speisen den nahegelegenen Rio Usumacinta mit ihrem Wasser.
Amüsiert denke ich, dass mir das Waschzelt doch um einiges besser gefällt.
Nachdem ich es wieder erreicht habe betätige ich abermals die Glocke um sicherzustellen, ob sich nicht inzwischen Mr. Dunaway darin frisch macht.
Seine Stimme ertönt tatsächlich aus dem Zelt.
„Mr. Bolder, treten Sie ruhig ein, wir sind doch zwei Männer und brauchen uns keinesfalls gegenseitig zu schämen.“
Somit schlage ich die Plane zurück und betrete das Zelt.
„Guten Morgen Mr. Dunaway, haben Sie gut geschlafen?“ frage ich ihn.
Er steht oben ohne, nur mit Shorts bekleidet vor einer der Waschschüsseln, über der auch ein Spiegel angebracht ist und rasiert sich gerade.
Ich bin verblüfft, welch gut gebauten und scheinbar durchtrainierten Körper Mr. Dunaway für sein Alter noch hat und seine Haut ist am ganzen Körper braun.
Also ist es nicht nur Sonnenbräune, die sein Gesicht und die Unterarme ziert.
„Danke Mr. Bolder, eigentlich sehr gut! Hier im Regenwald schlafe ich immer gut, seltsamerweise! Denn die Geräusche sind doch ganz anders als in einer Großstadt und manchmal ist es sogar ziemlich laut.
Nur einmal heute Nacht wurde ich wach, als die Affen offenbar einen ziemlich heftigen Streit hatten, aber die kriegen sich meistens schnell wieder ein, dann hatte auch ich wieder Ruhe. Und wie haben Sie geschlafen?“ blickt er mich von der Seite an.
„Oh, auch sehr gut Sir! Tief, fest und traumlos, ich habe nicht einmal den Streit der Affen mitbekommen, aber dazu hat offenbar wohl auch Miguels Chicha beigetragen.
Ich trinke normalerweise keinen Alkohol und vertrage ihn auch nicht so gut, aber heute Nacht hat er mir anscheinend einen sehr guten Schlaf beschert.
Ich fühle mich sogar richtig ausgeschlafen und freue mich endlich Palenque zu sehen.“ dabei wende ich mich der anderen Waschschüssel zu und beginne mich ebenfalls zu rasieren.
„Sehen Sie sich ruhig alles genau an, aber ihr eigentlicher Arbeitsplatz wird erst einmal der Tempel der Inschriften sein, in dem Alberto Ruz Lhuillier neunzehnhundertzweiundfünfzig das Grab von Pakal fand.
Denn damals hat man bei der Grabplatte, unter der man Gebeine und eine Jademaske fand, aufgehört und ich möchte endlich noch weiter darunter sehen.
Ich will wissen, ob es da noch mehr gibt.“ Mr. Dunaway ist inzwischen mit dem Rasieren fertig und wischt sich das Gesicht mit einem der vorhandenen Handtücher ab.
„Warum interessieren Sie sich eigentlich so sehr dafür Mr. Dunaway? Die mittelamerikanische Geschichte ist doch sehr speziell und nicht jeder hat etwas dafür übrig?“ frage ich ihn.
„Nun ja, eigentlich wissen nicht viele davon und ich wollte Ihnen ursprünglich auch nicht gleich davon erzählen, aber ich habe das Gefühl, dass ich Ihnen vertrauen kann!
Das kann ich doch, oder?“ er schaut mich eindringlich von unten her an und ich nicke fast unmerklich, während ich mich weiter rasiere.
„Mein Urgroßvater hatte ein Indiomädchen geheiratet, die er hier in Mexiko bei seiner Immigration in die USA, kennengelernt hat. Sie behauptete Zeit ihres Lebens, dass sie eine Maya-Prinzessin sei und eine Nachfahrin von K'inich Janaab Pakal I., das war etwa um das Jahr achtzehnhundertsiebenundneunzig.
Damals erklärten sie in den Vereinigten Staaten natürlich jeder für verrückt und mein Urgroßvater, der aus Ungarn stammte offenbar ebenfalls. Denn er betrieb keinerlei Nachforschungen deswegen.
Damals war Palenque zwar schon entdeckt, aber noch nicht richtig erforscht und vom Grab des Pakal wusste man natürlich auch noch nichts und es deutete absolut nichts daraufhin, dass ihre Geschichte wahr sein könnte.“
Ich habe inzwischen meinen Rasierer sinken lassen und lausche gespannt den Worten von Mr. Dunaway, die mich regelrecht fesseln.
Was für eine verworrene Familiengeschichte!
„Ja und wie sie sehen, hat sie den nachfolgenden Generation wohl ihr pechschwarzes Haar und die braune Hautfarbe vererbt, die in unserer Familie inzwischen vorherrschend ist.
Obwohl die nachfolgenden Generation lauter weiße Amerikaner geheiratet haben.
Daher stammt auch der amerikanische Nachname von meiner Großmutter, die einen Dunaway geheiratet hat und wir daher nicht mehr unseren ursprünglichen ungarischen Nachnamen tragen.“
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