1 ...6 7 8 10 11 12 ...25 Soweit wie möglich gehe ich um den Tempel herum, wobei ich jedoch weder Türen noch Fenster finden kann, was vielleicht auch daran liegen kann, dass noch mehr als die Hälfte des gewaltigen Baues von Gestrüpp und kleineren Bäumen bewachsen ist.
Die nur zu erahnende Form des Bauwerkes könnte allerdings auch vermuten lassen, dass es sich mehr oder weniger um eine Stufenpyramide handelt und es deshalb keinen Zugang gibt.
Am Ausgangspunkt angekommen bedeute ich Hernán weitergehen zu wollen und er schlägt uns mit seiner Machete erneut einen Weg durch den Dschungel.
Dabei erhasche ich immer wieder einen Blick auf noch mehr zugewachsene Ruinen und ich bin schon jetzt erstaunt davon, wie groß die antike Stadt einmal gewesen sein muss.
Stunden später verlassen wir den Dschungel wieder Richtung Ausgräbercamp und ich spüre inzwischen eine bleierne Müdigkeit in meinen Beinen.
Zudem meldet sich mein Magen mit einem lauten Knurren so dass ich froh bin, dass Hernán den Rundgang mit seiner Rückkehr als beendet erklärt.
Inzwischen fängt es auch zu dämmern an und ich steuere zunächst auf das Waschzelt zu, in dem ich mich etwas frisch mache und dabei einen langen Kratzer auf meiner rechten Wange bemerke, der aber weiter nicht schlimm ist.
In meinem eigenen Zelt ziehe ich mir etwas Frisches an, dabei fällt mein Blick zunächst auf den Laptop und ich sehe an der Leuchtdiode, dass der Strom inzwischen abgeschaltet wurde.
Daher greife ich nach der Gaslaterne an der Decke und nehme sie mit zum Küchenzelt, wo ich mich wieder Mr. Dunaway gegenüber auf einen Hocker setze.
„Nun Mr. Bolder, wie hat Ihnen unser Dschungel gefallen?“ fragt er mich interessiert und seine grünen Augen blitzen neugierig.
„Ich bin völlig überwältigt Mr. Dunaway. Es ist unglaublich, was sich da noch alles versteckt und Danke übrigens, dass Sie mir Hernán zur Seite gestellt haben. Ich glaube ohne ihn hätte ich mich wohl hoffnungslos verlaufen.“ grinse ich und mache eine entschuldigende Handbewegung, während Miguel unser Dinner auf den Tisch stellt.
Ein würziger Duft steigt mir in die Nase und ich beäuge zunächst misstrauisch seine neueste Kreation!
„Chuletas Adobo, Schweinekoteletts in Adobo. Das schmeckt sehr gut, wie alles was Miguel kocht. Greifen Sie zu, denn ich glaube, nach den Geräuschen Ihres Magens zu urteilen, haben Sie mächtigen Hunger?“
„Ja, allerdings!“ gebe ich zu und ein Lächeln kommt über meine Lippen.
„Der stramme Fußmarsch heute hat mich ganz schön geschlaucht. Ich bin das seit meiner Dozententätigkeit gar nicht mehr gewohnt und fürchte, ich werde mich nach dem Dinner in mein Zelt zurückziehen, falls es Ihnen nichts ausmacht?“
Die bleierne Müdigkeit steckt jetzt offenbar nicht nur in meinen Beinen, sondern auch in meinem Kopf und ich könnte fast auf der Stelle einschlafen.
Aber ich darf nicht vergessen die Mail meiner Mum noch zu beantworten, damit sie nicht beleidigt ist.
Miguel stellt noch einen Krug Chicha vor uns hin, von dem Mr. Dunaway uns in die bereits vorhandenen Gläser eingießt und ich zuerst einmal mein immer noch vorhandenes Ekelgefühl beiseiteschiebe und einen großen Schluck davon nehme.
Die trübe Flüssigkeit rinnt meine trockene Kehle hinunter und lässt meine Lebensgeister neu erwachen, so dass ich mich auch über das Dinner freuen kann.
Erneut stelle ich fest, dass es keinen besseren mexikanischen Koch als Miguel geben kann, denn es schmeckt wieder sehr scharf, wie heute Mittag die Enchiladas, aber hervorragend.
„Sie haben einen tiefen Kratzer auf der rechten Wange?“ beäugt Mr. Dunaway behutsam die kleine Wunde auf meiner Wange.
Meine Hand wandert spontan dorthin und ich fahre mit dem Zeigefinger den Kratzer nach.
„Ach, das ist vom Gestrüpp. Nicht weiter schlimm, denke ich.“
„Falls es sich entzündet, sagen Sie bitte sofort Bescheid, einige Pflanzen im Dschungel sind giftig!“ äußert er besorgt.
„Es ist wirklich nicht schlimm Mr. Dunaway. Übrigens habe ich dort einen Tempel entdeckt Sir, der teilweise bereits von Gestrüpp und Bäumen befreit wurde und ich habe mich gefragt, ob es hier noch mehr Ausgräberteams gibt? Obwohl ich nirgendwo ein anderes Camp entdecken konnte!“ lenke ich vorsichtig von der Verletzung ab und versuche damit etwas diplomatisch zu sein.
„Nun ja, was soll ich darauf antworten!“
Mr. Dunaway scheint etwas verlegen zu sein und streicht mit der linken Hand über sein Kinn, wobei seine dunkelgrünen Augen wieder zu glitzern anfangen.
„Nachdem wir ein paar Tage auf Sie warten mussten, sollten meine Arbeiter nicht ganz sinnlos herumsitzen.
Deshalb habe ich sie in den Dschungel geschickt, um wenigstens eines von den vielen weiteren Gebäuden säubern zu lassen und ich habe das Gefühl damit genau das Richtige erwischt zu haben.
Denn es sieht so aus als handelt es sich nicht um einen der üblichen Tempel, sondern eher um eine Stufenpyramide.“
„Genau den Eindruck hatte ich auch, als ich den Bau genauer inspizierte, weil ich weder Türen noch Fenster finden konnte und die Form nach oben hin lässt auch eher auf eine Pyramide schließen. Was haben Sie denn weiter damit vor?“
Mr. Dunaway schürzt die Lippen bevor er weiter spricht „Ich habe mir gedacht, falls wir unter dem Tempel der Inschriften nicht fündig werden sollten, dass wir vielleicht dort weitermachen. Zumindest habe ich eine Grabungslizenz dafür beantragt.“ grinst er und sieht mir dabei erwartungsvoll in die Augen.
„Ich denke, wir sollten die nächsten Tage erst einmal abwarten ob sich Anhaltspunkte ergeben, dass sich unter der Grabkammer von Pakal tatsächlich noch ein Raum befindet und ob wir überhaupt die Möglichkeit haben dorthin zu gelangen.“ bremse ich ihn in seiner Begeisterung.
„Ja, wahrscheinlich haben Sie Recht, wir sollten abwarten!“ nachdenklich und schweigend beenden wir das vorzügliche Dinner, woraufhin ich mich höflich von Mr. Dunaway verabschiede und mich eiligst in mein Zelt begebe.
Dort verschließe wieder sorgsam das Fliegengitter und versuche den Spalt in der Plane irgendwie dicht zu bekommen, durch den mich heute Morgen die Sonne geweckt hat.
Tatsächlich finde ich ein kleines Stück Draht, das ich durch die Plane steche und damit das Loch schließe.
Ich hänge meine Gaslaterne an die Decke und lasse mich erst einmal auf das Bett fallen. Vor Müdigkeit könnte ich sofort einschlafen, aber meine Mum wartet auf Nachricht.
Deshalb erhebe ich mich wieder und ziehe meinen Laptop zu mir auf das Bett, klappe ihn auf und sehe, dass ich keine weiteren neuen Nachrichten habe.
Somit mache ich mich an die Mail an meine Mum.
Absenderadresse: Matt Bolder
Datum: 14. Oktober 2014 UTC 7.58 p.m.
Empfänger: Laura Bolder
Betreff: Todmüde
Meine liebste Mum,
Danke für deine Mail heute Morgen, aber leider werde ich dir wahrscheinlich immer erst am Abend schreiben können.
Heute war ich den ganzen Tag in Palenque und im Urwald unterwegs, deswegen bin ich jetzt auch todmüde und werde mich auch sofort ins Bett begeben.
Palenque ist unglaublich schön und interessant, wobei mich die Ruinen im Urwald noch mehr interessieren würden, als das was jetzt zu besichtigen ist.
Hast du gewusst, dass bisher nur etwa fünfzehn Prozent von dieser Stadt ausgegraben wurde? Aber leider muss ich beim Tempel der Inschriften arbeiten und ich habe jetzt schon das Gefühl, dass wir dort wahrscheinlich nichts finden werden.
Umso mehr würde mich eine überwucherte Stufenpyramide im Urwald interessieren, die Mr. Dunaway zum Teil schon hat freilegen lassen.
Ich habe durchaus die Hoffnung, dass ich vielleicht doch noch in den Genuss dieser Ausgrabung komme, wenn wir unter der Grabkammer des Pakal tatsächlich nichts finden sollten.
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