Holger Schossig - Sie kommen heute aber spät!

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Was ist heutzutage schon normal? Der Job als Paketzusteller ist es jedenfalls nicht. Das habe ich am eigenen Leib erfahren. 1280 Tage lang stand ich bei einem der großen deutschen Zustelldienste in Lohn und Brot. 1280 Tage, von denen ich so manche gerne nicht erlebt hätte, auf andere aber nicht hätte verzichten wollen.
Über meine Zeit bei einem der großen Paketzustelldienste möchte ich in meinem Buch «Sie kommen heute aber spät» berichten. Ein Tagebuch, das meinen Alltag während meiner Paketdienstzeit beleuchtet. Passiert ist eine ganze Menge. Noch heute muss ich über manche Ereignisse lachen, über andere kann ich nur den Kopf schütteln. Ihnen wird es auch so gehen, schätze ich mal. Und: Nach der Lektüre sehen Sie Ihren Paketboten möglicherweise in einem ganz anderen Licht.
Auch wenn die Zeit nicht nur anstrengend war, sondern mich oft an den Rand des Wahnsinns gebracht hat, habe ich es überlebt. Ohne bleibende Schäden. So hoffe ich doch .

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Einleitung

„Da kannste ein Buch drüber schreiben.“ Wie oft haben wir in den dreieinhalb Jahren diesen Satz gesagt? Immer dann, wenn gerade mal wieder alles schief ging oder man sich nur noch an den Kopf langen konnte. Immer dann, wenn man dem Wahnsinn nahe war oder sich vor Lachen gebogen hat. Ja, da kannste in der Tat ein Buch drüber schreiben. Ich habe es getan! Der Beweis liegt vor Ihnen!

Ein Tagebuch, das meine Zeit als Paketzusteller bei einem der großen deutschen Paketzustelldienste ein bisschen beleuchtet. Witzige, irrsinnige und nachdenkliche Ereignisse warten auf Sie. Da mir während dieser Zeit die unglaublichsten Dinge passiert sind, möchte ich Sie gerne daran teilhaben lassen. Vielleicht schmunzeln Sie darüber, vielleicht erkennen Sie sich in der einen oder anderen Situation auch wieder.

Die Stelle als Paketzusteller ist aus der Not heraus entstanden. Ich hatte versucht, mich mit einem eigenen Projekt selbstständig zu machen, was leider nicht geglückt ist. Nun musste wieder Geld in die Kasse. Also heuerte ich als Zusteller an. Dass daraus dann dreieinhalb Jahre werden würden, hätte ich nicht gedacht. Was aber auch gut war, denn sonst hätte ich das nicht alles erlebt, was ich in diesem Buch berichten möchte.

Was wollen uns eigentlich Titel und Untertitel sagen? Nun, das ist ganz einfach. Oft hörte ich von Kunden den Satz: „Sie kommen heute aber spät!“ Auch wenn es eigentlich immer dieselbe Zeit war, zu der ich bei den Kunden erschienen bin. Aber die Uhren gehen nicht überall gleich und manche Menschen ticken auch anders. Vielleicht lag es daran? Den Untertitel „1280 Tage Paketzusteller – Wahnsinn³“, möchte ich an dieser Stelle unkommentiert lassen, denn spätestens wenn Sie auf der letzten Seite angelangt sind, wissen Sie, was ich damit meine.

Bevor es losgeht, sollte vielleicht noch kurz der Tagesablauf eines Zustellers erklärt werden, damit beim Lesen des Tagebuches keine Unklarheiten entstehen und das eine oder andere etwas leichter zu verstehen ist.

Das Depot, in dem sich allmorgendlich die Fahrer treffen, besteht aus einer, besser, aus zwei Hallen, in denen eine riesige Bandanlage zu finden ist. Darauf werden die Pakete befördert. Sie führt von den Toren, an denen die großen LKW andocken, direkt in zwei Abfertigungshallen. Hier gehen vom Hauptband mehrere Nebenbänder weg, die direkt zu den Boxen der Zusteller führen. Wenn man sich bei laufendem Betrieb einfach aufs Band setzt, wird man durch sämtliche Bereiche gefahren. Das ist auch mal ganz spannend und die dümmlichen Gesichtsausdrücke der Mitarbeiter sind unbezahlbar.

Die Zusteller stehen am Band und ziehen ihre Pakete herunter. Diese erkennen sie daran, dass eine vierstellige Tournummer draufsteht. Danach werden die Pakete mit einem Scanner registriert und sortiert. Dies geschieht morgens von 5.30 Uhr bis ca. 7.00 Uhr. Dann können die Autos beladen werden, man holt sich seine Papiere und schließlich fahren die Zusteller in ihre jeweiligen Gebiete. Je nachdem, wie viel zu tun ist, kommt man mal früher, mal später zurück. Auch gibt es auf den meisten Touren Abholkunden, die nach der Zustellung noch angefahren werden müssen. Hier werden nicht etwa die Kunden abgeholt, sondern Pakete zum Versand ins Depot gebracht. Nachdem die Zusteller wieder im Depot sind, müssen die Pakete, die abgeholt wurden, wieder auf die Bandanlage. Die Papiere werden gemacht und dann ist endlich Feierabend. Das ist der grobe Ablauf.

So, und nun wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lesen und ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie in Zukunft Ihren Paketzusteller mit anderen Augen sehen werden.

Der Kunde

Die wichtigste Klientel sind unsere Kunden. Wenn die nicht wären, dann hätten wir keinen Job. Gut, wenn es keine Kunden gäbe, dann wäre die Weltbevölkerung wohl auf wenige Hundert oder Tausend Exemplare dezimiert, weil ein Kunde ist wohl im Leben immer jeder mal irgendwann. Blödsinnig, sich also darüber Gedanken zu machen. Machen wir uns lieber einmal Gedanken über eben diese Kunden, die so unterschiedlich sind, wie die Wurst beim Metzger. Es gibt so viele verschiedene Kategorien, in die man Kunden einteilen kann. Einige davon möchte ich hier vorstellen:

Der schlecht gelaunte Kunde

Klingeling … klingeling

Kunde öffnet und schnauzt: „Was?“

Ich: „Guten Morgen, ich hätte ein Paket für Sie.“

Kunde: „Ich hab nix bestellt.“

Ich: „Na anscheinend doch, sonst hätte ich doch kein Paket für Sie.“

Kunde: „Mmmhhhh.“

Ich: „Dann bräuchte ich bitte noch eine Unterschrift.“

Kunde: „Wo?“

Ich: „Hier, auf dem Scanner.“

Kunde kritzelt irgendwas auf das Display

Ich: „Und Sie sind der Herr …?“

Kunde: „Steht doch da.“

Ich: „Das kann ich leider nicht lesen.“

Kunde: „Müller.“

Ich: „Danke und einen schönen Tag noch.“

Kunde: „Mmmhhhh.“

Ich: „Auf Wiedersehen.“

Kunde: „…“ Knallt Tür zu

Um dem geneigten Kunden so richtig den Tag zu versauen, hole man nun das zweite Paket, das man für den Kunden hat, aus dem Auto und klingele noch mal.

Der intelligente Kunde

Klingeling

Kunde öffnet, sieht das Paket und stellt fest: „Oh, Sie haben ein Paket!“

Der weniger intelligente Kunde

Klingeling

Kunde öffnet, sieht das Paket und fragt: „Was ist denn das?“

Der noch weniger intelligente Kunde

Klingeling

Kunde öffnet, sieht das Paket und fragt: „Was ist denn da drin?“

Der „Ich verarsch jetzt mal den Paketmann“-Kunde

Klingeling … (in der Wohnung hört man Schritte, aber sonst tut sich nichts)

Klingeling … (hinter dem Spion sieht man einen Schatten, jemand schaut wohl durch das Guckloch, aber sonst tut sich nichts)

Ich: „Hallo, Frau Schmidt?“ (ich klopfe an die Tür, der Schatten hinter dem Spion entfernt sich)

Ich: „Hallooooo, ich hab ein Paket.“

Klingeling … (nichts tut sich)

Gut, wer nicht will, der hat schon. Ich schreibe die Benachrichtigungskarte, werfe sie in den Briefkasten und schaue beim Verlassen des Hauses noch mal zum Wohnungsfenster, in dem sich eine Gestalt abzeichnet, die aber in dem Moment vom Fenster verschwindet. Also, verarschen kann ich mich selbst.

Im Depot bekomme ich dann eine Message, dass eine Frau Schmidt aus der Kanalstraße 4 angerufen und sich beschwert hat, dass ich nur einen Zettel in den Briefkasten geworfen hätte, ohne bei ihr zu klingeln. Vielleicht war Frau Schmidt eigentlich Frank Elstner mit der „Versteckten Kamera“?

Der widersprechende Kunde

Ich bin erneut bei einem Kunden, der gestern nicht zu Hause war, und klingele. Kurz darauf wird mir aufgemacht.

Ich: „Schön, dass Sie heute da sind, ich habe ein Paket.“

Kunde: „Waren Sie wohl schon mal da?“

Ich: „Ja, gestern. Ich hatte Ihnen auch eine Benachrichtigungskarte in den Briefkasten geworfen.“

Kunde: „Nein.“

Ich: „Doch.“

Kunde: „Nein.“

Ich: „Doch.“

Kunde: „Nein.“

.

.

.

Zahlenspiele

Ich habe gearbeitet. Jawohl! Und zwar an 871 Tagen (Das sind aktive Arbeitstage. Rechnet man alle anderen Tage mit dazu, also auch Wochenenden und Feiertage, sind wir bei 1280). So lange habe ich es als Zusteller ausgehalten. Insgesamt habe ich 82 Tage Urlaub gehabt. Krank war ich auch, nämlich an 4 Tagen. Weniger als 8 Stunden gearbeitet habe ich an 0 Tagen, mehr als 10 Stunden gearbeitet dagegen an 871 Tagen. Mein Zuhause nur im Dunkeln gesehen habe ich an 325 Tagen, was nicht daran lag, dass ich meine Stromrechnung nicht bezahlt habe, sondern daran, dass es früh dunkel war, als ich aus dem Haus ging, und abends auch wieder, als ich heim kam.

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