Weichen müssen gestellt werden, da die Neuauflage der ewig alten medizinischen und gesellschaftspolitischen Muster keine Besserung versprechen. Weder für Patienten noch für Behandler. Diese müssen in ihrer Berufsausübung zum Menschen stehen, statt der Ideologie der Gesundheitswirtschaft zu folgen.
Menschen müssen emotional in der Aufarbeitung ihrer Geschichte wie gesellschaftspolitischer aktueller Problemlagen unterstützt werden und im Krankheitsfalle selbstverständlich die bestmögliche „Medizin“ bekommen - im umfassenden Sinne: sozialpolitisch, psychoökonomisch, psychotherapeutisch, naturheilend oder klassisch medizinisch.
Chronifizierungen sind nicht mittels weiterer Strukturen, die Chronifizierungen begünstigen, auszumerzen. Gesellschaftspolitische Konflikte erhalten die Chance, aufgearbeitet zu werden statt der Vergessenheit zum Opfer zu fallen. Voraussetzung dafür sind gleiche Werte für alle Menschen und deren verbindliche Einhaltung. Natürlich sind das große Worte, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Wertediskussionen und der Angleichung der Wirtschaftsleute auf humanistischere „Werte“ im Business –siehe zum Beispiel Bill Gates mit seinem Vorschlag eines „kreativen Wettbewerbs“ und Ausbildungsgrundlagen privater International-Business Universitäten. (Band 1). Die letzten Jahre haben allerdings bewiesen: Das Gegenteil dessen, was beabsichtigt war, ist eingetreten. Das heißt: Wenn das Heilungsprinzip nicht verbindlich gesellschaftlich für den Berufsstand der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten vereinbart wird, wird es vollends untergehen.
„Heilung“ und „Heilungsprinzip“ müssen primär schlicht und ergreifend von Ökonomie und eigener Vorteilsnahme unabhängig und in dem Sinne definiert werden. Es ist also zu den Wurzeln der Medizin zurückzukehren: Die ursprünglichen Mediziner, die Mönche, arbeiteten ohne finanzielle Gegenleistung. Die Meinung, dass der Heiler seinen Dienst am Menschen im Grunde gefühlt ohne Geld verrichten sollte, hat sich bis heute gehalten. Die Heiler , die unabhängig von der KV arbeiten und über bestimmte Fähigkeiten oder Mittel verfügen, werden gesellschaftlich nach wie vor als Scharlatane betrachtet und ihre Methoden als schädlich hingestellt. Ohne mir nun ein Urteil über diese Vorgänge zu bilden, sei dennoch gesagt, dass der alte Grundsatz „Wer heilt hat Recht“ noch immer Gültigkeit besitzt. Aber festzustellen ist, dass die KVen immer noch sagen, „was heilt“ und was nicht. Sie haben, im Sinne der geschichtlichen Darstellung von Attali immer noch die „Druckerlaubnis“ – auch im übertragenen Sinne: Sie sagen, was heilt – schade nur, das Heilung so nicht funktioniert. Heilung war nur die Maske vor dem, was eigentlich beabsichtigt war: Macht und Geld für sich selbst und für die Mitglieder zu erhalten. Wobei, wie gesagt, die Ärzte nun auch auf Geld verzichten müssen. Fazit: Wenn es tatsächlich mal heilende Fähigkeiten gab, fielen sie ideologischen Vorteilsnahmen durch die klassische Medizin zum Opfer.
Die klassische Medizin grenzte sich ab, um ihren eigenen Berufsstand zu stärken – das heißt aber nicht, dass sie das Recht und Grundlagen erlangte, Heilung zu definieren. Zumal sie sich damit nicht wissenschaftlich beschäftigte, sondern durch Diffamierung und Okkupation von Methoden, die sie nicht entwickelt hatte, Vorteile verschaffte: Alles, was ihr Berufsfeld nicht beinhaltete, war Scharlatanerie und wurde bzw. wird solange lächerlich gemacht, bis sie es zu ihrem beruflichen Hoheitsgebiet erklärt hat. Die klassische Medizin nahm diejenigen Gebiete in ihr Berufsfeld auf, die sich, von wissenschaftlichen Methodendesignern anerkannt, vermarkten ließen. Damit wurde das traditionelle Bild des Heilers nach und nach ausgelöscht und gesellschaftlich abgewertet.
Im März 2004 fällte das Bundesverfassungsgericht (AZ: BVZ 784/03) allerdings ein überaus bedeutsames Urteil: Ein Heiler, der durch geistige Kräfte oder energetische Methoden die Selbstheilungspotenziale seiner Klienten aktiviert; der durch Handauflagen, Gebet, Radionik, Meditation oder Übertragung positiver Gedanken und Energien Heilung oder zumindest eine Verbesserung der körperlich-seelisch-geistigen Verfassung bewirkt, muss jetzt nicht mehr Arzt oder Heilpraktiker sein, um diese Tätigkeit ausüben zu können. Die Richter folgten dem Grundsatz: Wer heilt, hat Recht. Gegen dieses Urteil gibt es grundsätzlich einen nicht zu unterschätzenden Widerstand, der die alten Strukturen zu erhalten bestrebt ist – ob in der klassischen Medizin oder generell hinsichtlich der zwar reflektierten, aber letztlich akzeptierten ökonomischen Grundlagen und deren Verteilungsschlüssel in der Gesellschaft. Gegenwärtig ist zu beobachten, dass aus allen Ecken die Probleme massiv in die gesellschaftliche Mitte geraten, deren symbolischer und faktischer Zeigefinger sich immer tiefer in die ethischen und moralischen Grundlagen von politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen bohrt. Je mehr man versucht ist, sie zu bagatellisieren, desto größer werden die Probleme, Folgen, Schmerzen und Leiden: in Natur und Mensch. In den westlichen Kulturen haben einige Wenige ihren Reichtum mittels Gefühlsverleugnung und Gefühlsabspaltung im beruflichen Bereich erringen können. Dass sie ihre Motive nicht wissen wollen, wo sie gegen so viele andere Menschen mit Druck, Macht, Kriegen und (teilweise) kriminellem Wirtschaftsverhalten ihre Interessen durchgesetzt haben und wie diese unter ihren Entscheidungen leidenden Menschen leben, versteht sich von selbst. Ökonomie wurde an Natur, Mensch und Menschlichkeit vorbei konzipiert. Kapitalismus reduzierte den Menschen auf Arbeitskraft und Körper, Medizin reduzierte den Menschen auf den Körper. Ebenso wurde Sexualität zu einer folgenlosen und unverbindlichen körperlichen Aktivität. Alles wurde käuflich und verkäuflich. Der Verleugnung der Gefühlswelt, des Leidens und Lebens, dem Überdecken von Schreckensschreien und Schmerzen wurden öffentlich die technischen Errungenschaften und ökonomischen Erfolge gegenübergestellt. Zwei Seiten einer Medaille, wobei der Glanz der ökonomischen Seite gegenwärtig rapide verblasst, während die Seite der Schäden ins Tageslicht tritt. Das hindert die Wirtschaft aber nicht daran, Riesengewinne einzufahren, da diese erst auf der Basis von Not und Leid anderer Menschen verwirklicht werden konnten. Dieses (Miss-)Verhältnis von Menschen zu ihren Lebensgrundlagen in der Beziehung zu Leid, Not, Tod und Profit ist zu klären. „Mord“ allein reicht nicht, wie man seit den Freud’schen Ausführungen zum Ödipuskomplex weiß. Vielmehr sind Wissen, Einsicht, Mitgefühl, Nähe und Vergebung notwendige Prozesse, auf denen wahrhafte Demokratie aufgebaut werden kann.
Das „Wissen“ über die vorangegangenen Zeilen ist nicht neu, aber das Bewusstsein mit gesellschaftlichen Prozessen umzugehen, erweitert sich. Es ist an der Zeit, an einem Tisch zu sitzen, an dem jeder seinen Platz hat und sprechen kann, ohne sofort politisch beargwöhnt und bedroht zu werden. Denn es ist zu konstatieren, dass Menschen rund um die Welt heute einen völlig anderen politischen und informativen Horizont haben als die Generationen vor uns. Insofern sind wir alle aufgerufen, auch andere, neue Lösungen zu finden. Es werden Zeugen gebraucht – und Zuhörer mit Mitgefühl und Einsicht. Egal, ob in Natur oder Mensch, in Wohnvierteln, Beziehungen oder Arbeitsverhältnissen – oder in der Einschränkung des Berufsrechts für Psychologische Psychotherapeuten und Ärzte mit entsprechend eingeschränkten und Abhängigkeiten erzeugenden Honoraren … Jegliche gesellschaftliche Entscheidung und Zielfindung muss dem Menschen und der Heilung dienen: sowohl in der Kultur als auch in einer umfassenden Medizin, die den Menschen nicht in Fachbereiche zerlegt. Dafür ist ein neues Paradigma, ein Heilungsparadigma, von Nöten.
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