Die gesamte deutsche Ärzteschaft ist mittels Niederfinanzierung zur Umsetzung der politisch verordneten Reformen abhängig verpflichtet worden. Die Ärzte haben, wie in vergangenen Jahrhunderten auch, nur eine Wahl: Ihre bisherige Tätigkeit niederzulegen oder, salopp gesagt, zu streiken. In dem Fall würden sie allerdings mittels des Hippokratischen Eids öffentlich aufgespießt, um ihrer Verpflichtung „hilfreich und gut“ und mit ganzer Kraft die Gesundheit von Menschen wiederherstellen zu wollen , nachzukommen. Doch nur in dieser einen Hinsicht wird der Hippokratische Eid gesellschaftspolitisch noch als moralisch-ethisches (Druck-)Mittel gebraucht und damit seiner ursprünglichen Intention entfremdet: Er wird als Schwert gegen diejenigen gewendet, die ihn als Basis und Auftrag in ihrer Zunft verstehen.
Denn das Thema „Heilung“ und „Heilen“ wurde nicht als Ziel der Wissenschaft formuliert. Der Hippokratische Eid war und ist lediglich eine moralisch-ethische Instanz zur Anpassung seiner Mitglieder unter politische Ziele und gleichzeitig Instrument der Kritik von außen. Damit wird die Ärzteschaft politisch gelähmt und auf ihrem eigenen Boden, den sie jahrelang wissenschaftlich verachtete, gestellt. Genau in diesem Punkt eskaliert nun die jahrelange Politik der klassischen Medizin, die sich vom Heilungsprinzip öffentlich und wissenschaftlich abwandte, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Das Versäumnis, für den Hippokratischen Eid und die Heilung der Patienten politisch einzutreten, wendet sich nun gegen sie. Dieser Konflikt lässt sich oberflächlich und im Kern betrachtet nur dadurch lösen, dass sich Ärzte generell für Heilung, das Heilungsprinzip und den Hippokratischen Eid als Basis ihrer Tätigkeit gegen jegliche ärztliche Standespolitik behaupten - sonst bleiben sie in der „Befehlsempfängernatur“ des ärztlichen Systems stecken.
Die Ärzte müssen sich gegen die Verdünnung von Heilmethoden und Produktmacherei verwahren. Sie müssen Abstinenz von dieser Art von Macht üben und eine tatsächliche Autorität mit ihren Methoden werden: Allerdings nicht mittels Abwertung anderer Heilberufe und die Aneignung fremder Methoden. Dieser Konflikt macht deutlich, dass die ärztlichen Standesorganisationen mit ihrem Strukturierungswillen und der Macht motivierten „Alles-meins-Politik“ allen KV-zugelassenen Ärzten, ihr berufspolitisches Fundament und Herz wegökonomisierten. Behandlungen wurden für völlig andere Zwecke als die der Heilung eingesetzt. Medizin wurde zu einer Politik und Ökonomie der Körper.
Die Ärztefunktionäre haben ihre Mitglieder im Stich gelassen und sie veranlasst, sich den Zielen der Macht unterzuordnen. Ein eingeschränktes Berufsrecht und niedrige Honorare sollen dies garantieren.
Die ärztlichen Standesorganisationen haben ihre Mitglieder und ihr Anliegen, Menschen gesunden zu lassen und heilen zu wollen, verraten. Insofern befinden sich die deutsche Ärzteschaft und mit ihnen die Psychologischen Psychotherapeuten in einem dauerhaften Konflikt – denn egal, was sie tun, sie werden öffentlich die Schuldigen und die Opfer sein: Geben sie ihre Zulassung zurück, werfen sie ihre derzeit gültige Berufsausübungsgrundlage weg. Wollen sie ausschließlich ihrem beruflichen Herzen und der Heilung verpflichtet sein, wissen sie nicht, ob sie noch weiter ihre Existenz sichern können. Stellen sie sich „tot“ und arbeiten so weiter wie bisher, ohne sich an die Zwangsvernetzungen, „Unternehmerstrukturen“ oder Integrierten Versorgungsprojekten (IV-Projekte) anzuschließen, werden sie ausgehungert.
Zertifikate gehen bundesweit an Ärzte, die sich anpassen: Beispiel Brustzentren. Im Prinzip haben Ärzte lediglich die Wahl, sich in alten Strukturen wie „Praxis um die Ecke“ aushungern, in IV-Projekten ausboten und sich von „Unternehmensstrukturen“ aus Wirtschaft und Krankenkassen aufkaufen, in Netzwerken auslaugen zu lassen oder mit GmbHs aufgrund selbstschuldnerischer Versicherung pleite zu gehen – überall lauern Selbstaufgabe und finanzielle Vernichtung. In keiner dieser Wahlmöglichkeiten sind die Würde des Berufsstandes und des Heilungsprinzips sowie der Hippokratische Eid gewahrt. Alle Strukturen sind auf Macht und Abhängigkeit ausgerichtet.
Und nun kämpfen selbst die ärztlichen Standesorganisationen ob des bereits eingebüssten Machtverlustes um ihr Überleben. Da wird es natürlich nicht leichter, zu seinen Mitgliedern zu stehen, und die klassische Medizin droht vollends in Machtstrukturen unterzugehen und das ursprüngliche Anliegen der Heilkunst zu Staub werden zu lassen. Mit dem Hippokratischen Eid verbindet sie – trotz anders lautender Statements – im Grunde nichts weiter als ein hochwirksames Lippenbekenntnis zur politischen Nutzung und Besitznahme (Attali 1981). Das ist paradox, folgt aber der klassischen Macht der Gewohntheit, die sich bis heute erhalten hat. Bleibt die klassische Medizin auf ihrem ökonomischen Machtkurs, gleicht sie sich den Bestrebungen der Gesundheitswirtschaft an, um irgendwann ihre gestutzten Flügel wieder in voller Spannbreite entfalten zu können? Gibt sie Macht auf, um sie dann vielleicht doch wiederzuerlangen, so wie sie das Heilungsprinzip zu Gunsten der Wissenschaft aufgab, um Macht zu erlangen, um die Heilung nun wieder als letzten Rettungsanker einzusetzen? Diesmal dürfte es eine Illusion sein – damals allerdings, 1720, war es ein Machtkampf:
„Während der Pest in Aix im Jahre 1720 fordern die Hospitalärzte 1200 livres pro Monat. Das Parlament verweigert ihnen das geforderte Honorar und empört sich gegen diese ‚Unmenschlichkeit ohne Beispiel’, es zwingt die Ärzte unter Androhung der Amtsenthebung, die Kranken zum alten Preis zu behandeln.“ (Attali, 1981, S.127)
Das konnten die Ärzte im Laufe der Jahrhunderte ändern – insbesondere mit dem Ausbau der Standesorganisationen in der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs.Ob sie zu dieser Stärke wieder zurückkehren, ist mehr als fraglich, weil sich inzwischen Berufe aus dem Wirtschaftsbereich an die Spitze gestellt haben und die staatliche Kontrolle bereits installiert ist. Dennoch ist unbestritten, dass die klassische Medizin unter dem Dach der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der regionalen KVen in Deutschland als König über allen anderen Behandlern thront - und thronen will. Dafür ist sie bereit, der Gesundheitswirtschaft Unterstützung zu gewähren, auch wenn es sich dabei nur um ein ärztliches Gewohnheitsrecht, eine leere Hülle handelt. Aber immerhin ist es noch ein Unterschied, ob man noch eine Illusion hat, auf die man sich grundsätzlich berufen kann, oder ob Medizin nur noch ökonomisch ist und ausschließlich Profite erwirtschaften will. Dabei wahren die ärztlichen Standesorganisationen nicht mehr die Interessen ihrer ärztlichen Mitglieder. Die aber erwachen allmählich - in der Reflexion ihrer Berufsidentität - aus ihrem erzwungenen „Zertifikatsempfänger- und Ausführerbewusstsein“ und beginnen, sich zu wehren. Wenn Behandlungen und Methoden nicht der Heilung und Gesundung von Patienten dienen und Behandler wie Produkte den ökonomischen Interessen frönen müssen, um zu überleben, dann ist spätestens an ein Siegel der Heilung zu denken und politisch notwendig ausschließlich von Behandlern umzusetzen, die sich diesbezüglich neu der Heilung verpflichten. Hier müssen die Psychologischen Psychotherapeuten und Ärzte selbst ran, um eine neue Ordnung in der Kultur und in Bezug auf den Menschen herzustellen. Denn niemand sonst wird es je tun. Das zumindest sind meine Erfahrung und die Erfahrung der Ärzteschaft der letzten zehn Jahre. Die Frage des „Wie“ bewegt zahlreiche Gemüter. Zumal weder mit Unterstützung durch die Politik der Parteien noch durch die der ärztlichen Standesorganisationen und schon gar nicht durch die der Wirtschaft zu rechnen ist. Die neuen Rechtsmöglichkeiten für Ärzte bieten tatsächlich eine bisher einmalige Gelegenheit, Ordnung zu schaffen und Berufsinhalte zu wahren bzw. im Hinblick auf die Heilung von Menschen neu zu formulieren. Eine solche Möglichkeit habe ich rechtlich mittels einer GmbH geschaffen, in der alle Behandler in Deutschland Mitglied werden können, um das Heilungsprinzip zu wahren, gemeinsam Unabhängigkeit zu erlangen und um in diesem Sinne politisch tätig zu werden. Ich vermute, dass die Politiker nicht ernsthaft mit der Möglichkeit gerechnet haben, Behandler könnten sich gemeinschaftlich auf rechtliche Beine stellen. Behandler aller Gattungen würden so nebenbei zum Lehrer für Politiker und Ökonomen der Wirtschaft. Dann kann neu verhandelt werden.
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