Oktoberstürme
Roman
Gerd-Rainer Prothmann
Impressum
© 2016 Gerd-Rainer Prothmann
Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-8538-5
Buch
Ein orkanartiger Sturm peitscht über Mallorca. Waagerecht prasselt der Regen gegen die Scheiben des kleinen Peugeots, mit dem Jan Borsum die Frau abholen will, mit der er seit kurzem ein Verhältnis hat. Aber alle Klappläden des kleinen Hauses sind geschlossen. Niemand reagiert auf sein Klopfen. Er wird hilfloser Zeuge eines heftigen Streits. Danach ist sie spurlos verschwunden. Könnte sie einfach nur geflohen sein? Weg von ihrem drogensüchtigen Mann? Aber warum hat sie ihn dann zu dem Haus bestellt? Warum hat sie ihm nichts von ihren Plänen gesagt? Wieder einmal steckt der smarte Psychologe wegen einer Frau in Schwierigkeiten. Seine letzte Eroberung, die Frau seines Vorgesetzten, hatte zu seiner Entlassung geführt.
Er war nach Mallorca gekommen, um in einem deutschen Ärztezentrum einen neuen Job zu finden. Aber anstatt diese Pläne voranzutreiben, hat er sich hier nur um die zwanzig Jahre jüngere Isabela gekümmert. Nach ihrem Verschwinden wird er neben ihrem Mann für Kommissar Vargas zum Hauptverdächtigen. Immer wieder tauchen bei ihnen Beweisstücke auf. Ein anonymer Anrufer gibt der Polizei Hinweise und lockt Borsum unter dem Vorwand, die Verschwundene dort zu treffen, auf eine extrem kurvenreiche Straße ins Tramuntanagebirge. Er wird mit seinem Wagen in einen Abgrund gedrängt und kann sich erst im letzten Moment retten.
Er wird weiter verfolgt und bedroht. Er weiß nicht, warum es der Fremde auf ihn abgesehen hat. Er muss um sein Leben kämpfen, während Kommissar Vargas noch immer im Dunkeln tappt…
Autor
Gerd-Rainer Prothmann 1943 in Elbing (Westpreußen) geboren, studierte Theaterwissenschaft, Philosophie und Germanistik und war an mehreren Theatern Regisseur und Dramaturg. Er hat zahlreiche Theaterstücke aus Lateinamerika übersetzt. Er lebt mit seiner Frau in Hannover.
Von Gerd-Rainer Prothmann ist auch bei epubli sein Roman Blume des Bösen (2014) erschienen.
1.
»Hol mich um eins ab«, hatte sie ihm zugerufen und dabei durch das aufgerollte Dach ihres Wagens gewunken.
Bisher hatte Jan es vermieden, sich dem Haus zu nähern, mit dem so viel Hoffnung und Enttäuschung für Isabela verbunden war. Seine Zurückhaltung, die er selbst gern als Diskretion interpretiert hätte, war in Wirklichkeit Angst vor der direkten Einmischung und vor möglichen Komplikationen.
Er hatte sich mit ihr an verschiedenen Orten getroffen. In kleinen versteckten Wäldchen und an abgelegenen Stränden, die Isabela kannte. Und sie hatten entweder im Auto oder im Schlafsack miteinander geschlafen. Wie Teenager, die keine sturmfreie Bude hatten. Er wollte das auf keinen Fall in der Finca tun, in der er vorübergehend wohnte. Und bei ihr zu Hause ging es auch nicht.
Ihm war mulmig, als er in das kleine Tal abbog. Bedrohlich dunkle Wolken breiteten sich immer schneller am vorher noch blauen Himmel aus. Der kräftige Wind nahm jetzt Orkanstärke an. Plötzlich peitschte sintflutartiger Regen waagerecht gegen die Scheiben des kleinen Peugeot.
Die asphaltierte Straße wurde immer schmaler und ging in einen von Natursteinmauern gerahmten Schotterweg über. Rote Bäche flossen ihm von oben entgegen. Vergeblich paddelten die wild arbeitenden cheibenwischer in den Wassermassen auf der Frontscheibe hin und her. Er sah so gut wie nichts. Er musste in den ersten Gang runterschalten. Lose Steine prasselten an den Boden. Hinter den Mäuerchen wölbten sich auf beiden Seiten des Wegs Hügelrücken mit Reihen von Mandelbäumen. Unter dem Schutz von ein paar Johannisbrotbäumen lagen Schafe und kauten gelangweilt die heruntergefallene Schoten.
Aufgeschreckt vom Motorengeräusch liefen sie jetzt glockengebimmelnd unter Protestblöken die Hügel hinauf. Er fuhr durch eine Mauerbresche. Von dort führte ein kleiner Weg zwischen Feldern mit Schafen und Ziegen hinauf zu dem kleinen Bauernhaus. Ein geschlossenes Gattertor in einer Trockensteinmauer zwang ihn zum Aussteigen. Der Sturm peitschte ihm den Regen ins Gesicht. Er wurde sofort klatschnass. Beim Einsteigen wurde ihm die Fahrertür fast aus der Hand gerissen. Endlich, nach ein paar weiteren Wegbiegungen, entdeckte er das winzige Gehöft.
Ein erdgeschössiges Haus mit Arkadenvordach und seitlich angesetzten Gebäudeteilen aus unverputzten grauen Betonbausteinen. Der rechte Seitenanbau hatte die Form eines Turms mit flacher Betondecke. Darüber auf vier Eckpfeilern ein Dach mit gelbroten mallorquinischen Ziegeln. Unter diesem Dach knatterte die aufgehängte Wäsche wie aggressives Maschinengewehrfeuer. Wütend rüttelte der Sturm an den geschlossenen, grüngestrichenen Klappläden. Als wollte er sie aufreißen. Isabelas Wagen stand vor dem Haus. Daneben ein hellblauer Renault Kastenwagen, der noch verrosteter war. Und älter. Es war kurz nach eins.
Jan stieg aus. Gegen den Sturm gestemmt kämpfte er sich zum Haus. Ein hässlicher Hund mit dem Gesicht eines Rehpinschers und dem Körper eines Boxers raste kläffend auf ihn zu. Kurz bevor er ihn erreichte, überlegte er es sich anders und verkroch sich wieder in seiner Hütte. Bellte von dort aber pausenlos weiter. Hühner flatterten aufgeregt gackernd zur Seite, als er unter das Vordach lief. Eine Katze verzog sich maulend in die hinterste Ecke. Gerade wollte er »Hallo« rufen, als eine im höchsten Diskant schreiende Männerstimme den Sturm übertönte.
»Verdammte Scheiße! Ich mach' das nicht mehr mit! Du kannst mir am Arsch lecken! Du Nutte! Du Schlampe!« Von dem, was Isabela antwortete, konnte er wegen des tosenden Winds und des beharrlich bellenden Hundes nichts verstehen. Es entstand eine Pause. Jan klopfte an die Klappläden und rief: »Hallo!«, und blöderweise, »ist da jemand?« Aber sein Rufen wurde übertönt vom Wind, dem Knattern der Wäsche und der immer höher kreischenden Männerstimme. »Ich habe es satt! Satt! Satt! Ich will nicht mehr! Scheiße, Scheiße, Scheißeee!!!« Der letzte Schrei war so hoch und schneidend, als würde Glas mit einer Kreissäge zersägt.
Er trommelte jetzt mit Fäusten und Füßen gegen die Klappläden. Niemand reagierte. Er lief um das Haus herum und versuchte es an verschiedenen Stellen. Vergeblich. Er lief zum Auto zurück, und wählte mit nassen klammen Fingern die Nummer, die Isabela auf dem Zettel mit der Wegbeschreibung geschrieben hatte. Es nahm niemand ab. Er wählte ihre Handynummer, die er im Kopf hatte. Aber sie reagierte nicht. Er wusste nicht, was er noch tun könnte.
Schließlich fuhr er in den nächsten Ort, um eine Polizeistation zu suchen. Doch was sollte er da erzählen? Dass sich ein ausgeticktes Paar in die Wolle gekriegt hat? Dass der Mann sie möglicherweise geschlagen hätte? Was hatte er bei dem Haus gemacht? Sollte er erzählen, er hätte mit der Frau ein Verhältnis angefangen? Jans Feigheit fiel es nicht schwer, sich als vernünftig zu tarnen. Er sollte besser nicht zur Polizei gehen.
Der Sturm flaute etwas ab. Der Regen peitschte nicht mehr waagerecht gegen die Frontscheibe. Er fiel jetzt fast senkrecht vom Himmel. Als er in den Ort fuhr, wurde ihm die Entscheidung abgenommen. Auf dem kleinen Platz vor der Kirche stand ein Wagen der Guardia Civil mit weitgeöffneter Heckklappe. Das war die Gelegenheit, um die Polizei undramatisch auf das von ihm Beobachtete hinzuweisen. Er parkte und lief zu dem Wagen. Aber es saß niemand drin. Er schaute sich um und suchte die Polizeistation. Doch er fand sie nicht.
Der Wagen stand vor der Bäckerei des Ortes. Männer in Zivil trugen nach und nach fünf längliche, noch dampfende Behälter mit Spanferkeln und Kaninchen in den Wagen der Guardia Civil. Jan fragte den Bäcker in zusammengestoppeltem Spanisch, was hier vorginge. Soweit er ihn verstehen konnte, war heute der Tag der Pilar, der Schutzpatronin der Guardia Civil und man würde in den Bergen auf einer Finca ein großes Asado machen und er als Bäcker hätte nun mal den größten Horno am Ort. Jan zeigte nach oben: »Bei dem Wetter?«
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