Titelseite Virginia Woolf Orlando Eine Biographie Originaltitel: Orlando: A Biography Aus dem Englischen von Karl Lerbs
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Virginia Woolf
Orlando
Eine Biographie
Originaltitel:
Orlando: A Biography
Aus dem Englischen von Karl Lerbs
Er – denn es war kein Zweifel über sein Geschlecht möglich, wenn auch die Mode der Zeit bemüht schien, es unkenntlich zu machen – er also war damit beschäftigt, den vom Sparrenwerk herabbaumelnden Kopf eines Mohren säuberlich zu zersäbeln. Dieser Kopf hatte die Farbe und mehr oder weniger auch die Form eines alten Fußballs, wenn man von den eingetrockneten Wangen und ein paar Strähnen groben, dürren Haares absah, das den Fasern einer Kokosnuß glich. Orlandos Vater (vielleicht war es auch sein Großvater gewesen) hatte den Schädel von den Schultern eines gewaltigen Heiden heruntergeschlagen, der sich unter dem Mond der barbarischen Schlachtfelder Afrikas wider ihn erhoben hatte; und nun hing er in dem mächtigen Hause des Lords, der ihn abgehauen hatte, und schwang sacht schaukelnd und unablässig in der Brise, die ohne Unterlaß durch die Räume des Dachgeschosses strich.
Orlandos Väter waren auf vielen Schlachtfeldern geritten – auf Asphodillfeldern und steinigen Feldern und Feldern, die von fremden Flüssen getränkt wurden; und sie hatten vielerlei Köpfe von vielerlei Farben von vielerlei Schultern gehauen und sie heimgebracht, um sie vom Sparrenwerk herabbaumeln zu lassen. Orlando wollte es ihnen gleichtun, das gelobte er. Da er aber erst sechzehn Jahre zählte und noch zu jung war, um mit ihnen in Afrika oder Frankreich zu reiten, so stahl er sich von seiner Mutter und den Pfauen im Garten hinweg und ging in die Dachkammer, um da seine Hiebe und Stöße zu führen und mit der Klinge die Luft zu zerhauen. Zuweilen hieb er die Schnur durch, so daß der Schädel herabpolterte; dann mußte er ihn wieder aufhängen, wobei er ihn mit einer gewissen Ritterlichkeit fast unerreichbar hoch anbrachte, so daß sein Feind nun mit zusammengeschrumpften, schwarzen Lippen triumphierend auf ihn herabgrinste. Der Schädel schwang hin und her, denn das Haus, in dessen höchstem First er wohnte, war so riesengroß, daß selbst der Wind sich darin wie in einer Falle zu fangen schien und hierhin und dorthin wehte, Winter und Sommer. Der grüne Arras-Teppich mit den Jägergestalten darauf bewegte sich unablässig. Orlandos Väter waren Edelleute gewesen, seitdem sie überhaupt vorhanden waren. Sie kamen aus den Nordlandnebeln und trugen Adelskronen auf den Häuptern. Wie kamen die Bahnen lichtloser Schwärze und die gelben Farbtümpel, die den Boden überwürfelten, in den Raum? Brachte sie nicht die Sonne hervor, die durch die farbige Glasmalerei eines mächtigen Wappenschildes am Fenster fiel? Orlando stand nun mitten im gelben Leibe eines heraldischen Leoparden. Wenn er die Hand auf den Sims legte, um das Fenster aufzustoßen, war sie alsbald rot und blau und gelb gefärbt wie ein Schmetterlingsflügel. Wer Sinnbilder liebt und Freude daran hat, sie zu deuten, mag hier zur Kenntnis nehmen, daß Orlando wohlgeformte Beine, sein anmutiger Körper und seine schöngebauten Schultern ganz und gar mit den mannigfachen Farbtönen dieses heraldischen Lichtes geschmückt waren, daß aber Orlandos Gesicht, als er das Fenster aufgestoßen hatte, nur von der Sonne beleuchtet war. Ein ehrlicheres, trotzigeres Gesicht würde man vergeblich suchen. Glücklich die Mutter, die das Leben eines solchen Menschen im Schoße trug, glücklicher noch der Biograph, der es schildert! Sie braucht sich niemals zu grämen, und er braucht sich von keinem Romanschreiber noch Dichter Beistand zu leihen. Von Heldentat zu Heldentat, von Ruhm zu Ruhm, von Ritterdienst zu Ritterdienst muß ein solcher dahinschreiten, den treulichen Aufzeichner seiner Laufbahn hinter sich, bis sie das höchste Ziel erreicht haben, nach dem jeweils ihre Sehnsucht langt. Orlando war, wenn man ihn recht betrachtete, für eine solche Laufbahn geradezu mit Bedacht geformt. Das Rot seiner Wangen bedeckte ein Flaum, samten und zart wie Pfirsichhaut; auf den Lippen war dieser Flaum nur wenig dichter als auf den Wangen. Diese Lippen waren kurz und ließen, ein wenig hochgezogen, Zähne von untadelhafter mandelfarbener Weiße aufschimmern. Nichts störte die kurze, straffe Linie der pfeilgeraden Nase; das Haar war schwarz, die Ohren klein und fest an den Kopf gefügt. Leider aber, leider kann man diese Aufzählung jugendlicher Schönheit nicht beenden, ohne der Stirn und der Augen Erwähnung zu tun. Leider, leider kommen ja die Menschen selten ohne diese drei Dinge auf die Welt; denn sobald wir Orlando betrachten, wie er so am Fenster steht, müssen wir einräumen, daß er Augen hatte wie regennasse Veilchenkelche, so groß, daß es aussah, als hätte der Tau sie überflutet und geweitet; und eine Stirn wie die Wölbung einer marmornen Kuppel, fest umschlossen von den glatten Flächen seiner Schläfen. Sobald wir nur einen Blick tun auf Augen und Stirn, geraten wir auch schon ins Schwärmen. Sobald wir nur einen Blick tun auf Augen und Stirn, müssen wir tausend Unstimmigkeiten einräumen, die nicht zu sehen das Bestreben eines jeden guten Biographen ist. Manches, was er sah, verwirrte Orlando: so der Anblick seiner Mutter, einer sehr schönen Dame in grünem Gewand, die durch den Park wandelte, um die Pfauen zu füttern, gefolgt von Twitchett, ihrer Magd; anderes wieder entzückte ihn: so die Vögel und die Bäume; und wieder anderes weckte in ihm die Liebe zum Tode: der Abendhimmel und die heimkehrenden Krähen; und alles dies, das so die gewundene Treppe zu seinem Hirn (welches geräumig war) hinanstieg, dazu die Geräusche des Gartens, Hammerschlag und das Dröhnen der Holzfälleräxte – alles dies löste nun jenes Getümmel und jenen Aufruhr von Leidenschaften und Erregungen des Gemütes aus, die jeder gute Biograph verabscheut. Aber fördern wir unseren Bericht: Orlando zog sich langsam ins Zimmer zurück, setzte sich an den Tisch, nahm mit dem ein wenig geistesabwesenden Gebaren eines Menschen, der sein ganzes Leben lang um immer die gleiche Stunde immer die gleiche Verrichtung tut, ein Schreibheft zur Hand, das die Aufschrift trug: ›Æthelbert. Ein Trauerspiel in fünf Akten‹ – und tauchte eine alte fleckige Gänsefeder in die Tinte.
Bald hatte er zehn Seiten und mehr mit Dichterei bedeckt. Sie floß ihm offenbar leicht aus der Feder, aber sie war abstrakt. Laster, Verbrechen und Elend waren die handelnden Gestalten seines Dramas; es kamen Könige und Königinnen unmöglicher Länder darin vor; schauerliche Verschwörungen stürzten sie ins Verderben; edle Gefühle überrannen sie; da wurde kein einziges Wort so gesagt, wie es Orlando selbst gesagt hätte, sondern es war alles mit einer Anmut und Geläufigkeit geformt, die bemerkenswert genug war, wenn man bedenkt, daß er noch nicht siebzehn Jahre zählte und daß das sechzehnte Jahrhundert noch etliche Jahre seiner Bahn zu durchmessen hatte. Schließlich hielt er aber doch inne. Er schilderte, was alle jungen Dichter bis in alle Ewigkeit schildern werden: die Natur; und um das Abbild des Grüns recht getreu dem Vorbild zu machen, sah er sich (und hierbei erwies er mehr Kühnheit als die meisten) das Ding selbst an, das sich in diesem Falle als ein unterm Fenster wachsender Lorbeerbusch darbot. Danach konnte er natürlich nicht weiterschreiben. Grün in der Natur und Grün in der Literatur sind zwei verschiedene Dinge. Natur und Literatur sind anscheinend von gegenseitiger Abneigung erfüllt; bring sie zusammen, und sie reißen einander in Stücke. Das Grün, das Orlando jetzt sah, verdarb seinen Reim und zerspellte sein Versmaß.
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