Duscha zitterte. „Du frierst,“ sagte Alf und löste sich aus der Umarmung. Er hob ihr Kleid auf und reichte es ihr, sie streifte es über und schlang auch den Gürtel wieder um die Hüfte. „Wollen wir uns hier wieder treffen?“ fragte Duscha. „Ich habe Sehnsucht nach dir.“ „Ich auch nach dir, Duscha,“ antwortete Alf unbeholfen, und dann sagte er leise: „Ich werde dich einmal heiraten.“
Sechstes Kapitel: Mai 1148
Noch waren die Begegnungen dort oben am Waldrand allen verborgen geblieben, nur Vesna, Duschas Mutter, ahnte, warum ihre Tochter so oft verschwand, wenn die Abenddämmerung hereinbrach. Sie lächelte, weil sie dabei an ihre eigene Jugend dachte, aber sie machte sich auch Sorgen, weil sie vermutete, dass die Tochter sich mit diesem Deutschen traf, und das war auf beiden Seiten nicht gern gesehen. Aber sie schwieg. Duscha konnte man keine Vorschriften machen.
Alf hatte lange gewartet, bis er eine Gelegenheit fand, Dietmar allein zu treffen. Wenn er in der Schmiede arbeitete, mochte er ihn nicht stören, er wusste selbst, dass man bei dieser Arbeit alle Aufmerksamkeit brauchte. Er selbst war mit den Jahren ein leidlich guter Schmied geworden und nahm dem Vater manchen Auftrag ab, aber er trachtete nicht danach, sein Leben lang Schmied zu bleiben. Immer wieder hatte er am Hafen mit Schiffsführern und Händlern gesprochen, und für ihn stand fest, dass er einmal ebenso auf Gotlandfahrt gehen würde. Hinrich von Soest, der Freund des Vaters seit den Tagen des großen Trecks, der nun mit der verletzten Schulter nicht mehr selbst auf Reisen gehen konnte, würde ihn sicher als Gehilfen nehmen. Aber das war im Augenblick nicht sein Anliegen.
Magdalene war mit dem Korb zum Markt hinaufgegangen, ihre kleine Tochter trug sie in einem Leinentuch vor sich her. Alf wusste, dass sie eine ganze Weile fortbleiben würde. Und Dietmar saß auf einer Bank vor dem Haus und genoß für einige Zeit die Wärme der Sonne, obwohl es an der offenen Esse doch wesentlich wärmer war. Aber er brauchte jetzt öfter einmal diese Pause, schließ hatte er fast sein fünftes Lebensjahrzehnt vollendet. Alf setzte sich neben ihn, eine Weile schwiegen sie, dann wagte der Sohn endlich auszusprechen, was er seit Wochen schon vorbringen wollte:
„Vater,“ sagte er unvermittelt in die Stille hinein, „ich möchte dich bitten, mir die Heirat zu erlauben.“ Dietmar sah erstaunt auf, doch dann lächelte er ein wenig: „Es ist wohl meine Schuld, Sohn, dass ich daran nicht gedacht habe, obwohl du alt genug bist für den Ehestand. Und jetzt hast du dir allein eine Frau gesucht, ohne dass die Väter es vereinbart haben?“ „Ja, so ist es wohl.“ „Nun gut, wenn sie dir gefällt, dann lässt sich darüber reden.“ Er musste wieder lächeln: „Deine Mutter habe ich auch selber ausgesucht, und das war auch gut so, obwohl dein Großvater eigentlich andere Pläne hatte. Das mit Magdalene – nun, das ist etwas anderes. Wir waren beide verwitwet, du kennst die Geschichte.“ Er unterbrach sich, dann fragte er: „Wie heißt sie denn? Kenne ich sie?“
„Nein, ich glaube nicht, daß du ihr schon einmal begegnet bist. Sie heißt Duscha.“ Der Vater hob erstaunt die Augenbrauen und blickte den Sohn misstrauisch an: „Das ist ein ungewöhnlicher Name, er klingt slawisch. Ist sie etwa..“ Er sprach seinen Verdacht nicht aus, aber Alf sagte nun mit entschlossener Stimme: „Ja, Vater, sie ist eine Wendin, sie wohnt hier auf dem Werder, in dem Kietz an der Wochenitze. Ihr Vater ist Fischer.“ „Du willst uns eine Ungläubige ins Haus holen? Das ist nicht dein Ernst, Sohn!“ „Sie wird bald Margareta heißen, wenn der Priester Ethelo sie tauft am Namenstag der Heiligen. Aber sie lässt sich nicht taufen, weil es ihr befohlen wird, so wie es früher üblich war. Und glaube mir: Sie lässt sich auch nicht meinetwegen taufen, obwohl sie vieles aus Liebe tut. Ethelo hat sie überzeugt, und darüber bin ich froh, Vater.“
Dietmar war keineswegs überzeugt, aber es fehlten ihm die Gründe dafür, Alf diese Heirat auszureden. „Sie ist und bleibt eine Slawin,“ sagte er nur. „Wir werden beide das Sakrament der Ehe eingehen wie gute Christenmenschen,“ antwortete Alf. „Es ist wahr, ihr Vater ist Wende, und obwohl er einmal getauft wurde, ist er wohl eher Heide geblieben, weil niemand die Menschen gelehrt hat, auch christlich zu leben. Aber denke an die heilige Margareta! Auch ihr Vater war ein Heide, sogar ein Priester und Götzendiener, und dennoch hat sie unseren Herrn bekannt und hat um seinetwillen den Märtyrertod erlitten.“
„Du hast dich gut vorbereitet, sie zu verteidigen, mein Sohn. Und ich würde dir auch zustimmen, doch ich muß an die anderen denken hier in der Stadt. Alle werden es missbilligen, vor allem jedoch Magdalene. Sie würde keine Slawin in unserem Hause dulden, und mir wäre ein solcher Zank sehr zuwider.“ Alf erhob sich: „Deine Frau war zu Gast bei Duscha und ihren Eltern, sie haben sie freundlich aufgenommen, als wir flüchten mussten. Wie kann sie das vergessen.“ „Aber ihr Mann wurde von den Wenden erschlagen. Das kann sie ebenso wenig vergessen.“ „Wenn Duscha in deinem Hause nicht willkommen ist, dann werden wir uns eine andere Bleibe suchen. An meinem Entschluß wird das nichts ändern, obwohl es mich traurig macht, von meinem Vater verstoßen zu werden.“
Auch Dietmar war jetzt aufgestanden. Der letzte Satz hatte ihn zornig gemacht: „Früher haben die Söhne auf ihre Väter gehört. Das scheint aus der Mode gekommen zu sein. Überlege dir gut, was du tust, Sohn!“ Er wandte sich ab und ging mit raschem Schritt auf die Schmiede zu. Alf blickte ihm nach, und es schmerzte ihn, den Vater unversöhnt ziehen zu lassen. Aber auf Duscha verzichten, das werde ich nie, murmelte er trotzig. Nie!
*
Ethelo hatte die Slawin schon mehrfach zu Gesprächen in der Kapelle empfangen, die etwas abseits von der Civitas am Hang des Höhenrückens stand und bereits vor der Gründung der Siedlung errichtet worden war und dem heiligen Nikolaus gewidmet war, obwohl es keinen Bischof gab, sie zu weihen. Aber es waren Missionare hier tätig gewesen, und mancher deutsche Händler hatte auf dem Weg in das alte, nun vergangene Liubice hier seine Gebete verrichtet. Nun war daraus die erste Pfarrkirche der neuen Stadt geworden, obwohl sie abseits der Siedlung und des Marktes lag. Doch noch fehlte die Anordnung des Grafen oder gar des Herzogs, eine neue und größere Kirche zu errichten, noch fehlte auch die Zustimmung des Erzbischofs im fernen Bremen, weil die früheren Bistümer im Wendenland, Oldenburg im Herzen Wagriens etwa, seit den letzten blutigen Aufständen der Heiden verwaist waren. Zwar hieß es, der neue Erzbischof plane nun, im befriedeten Slawenland die Bistümer neu zu besetzen, doch im Kloster zu Füßen der Siegesburg, die einst auf seinen Rat hin errichtet wurde, wartete der große alte Mann der Wendenmission, Vicelin, immer noch vergeblich auf einen solchen Schritt. Dabei hatte er schon vor zwei Jahrzehnten segensreich im alten Liubice gewirkt, als König Heinrich dort herrschte, doch nach dessen Tod blieb dem Missionar nur die Flucht und die Hoffnung auf eine glückliche Wende.
Auch Ethelo gehörte zum Kreis der Missionare um Vicelin, ebenso wie der kürzlich so grausam ums Leben gekommene Rudolf, aber er konnte nur die Messen lesen für die deutschen Bewohner des neuen Liubice und die wenigen wirklichen Christen unter den Wenden der umliegenden Siedlungen betreuen. So war er hoch erfreut, als der Sohn des Schmiedes Dietmar bei ihm erschien und um die Taufe von Duscha bat, die er zu heiraten gedachte. Und noch mehr freute es ihn, dass dieses kluge Mädchen mehr wollte als nur ein wenig Wasser aufs Haupt. Die Slawin bedrängte den Priester mit ihren Fragen, und manches Mal geriet er fast in Erklärungsnot, während er zugleich heimlich lächeln musste über ihren Eifer.
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