»Mich kostet meine Krankheit schon über zweihundert«, erklärte sein Nachbar, eine vertrocknete Stange, »nennt mir, welches Gift ihr wollt, ihr werdet keins finden, das ich noch nicht genommen hab. Ich bin ein lebendiges Giftmagazin. Ich hab Sublimat getrunken, ich hab Quecksilberdämpfe eingeatmet, ich hab Arsen gekaut, ich hab Opium geraucht, ich hab eine Opiumtinktur getrunken, ich hab mir Morphium aufs Brot gestreut, ich hab Strychnin geschluckt, ich hab eine Phosphormischung von Schwefel und Schwefelsäure ausgetrunken. Ich hab mir Leber, Lunge, Nieren, Galle, Hirn, Herz, Därme ruiniert. Niemand weiß, was für eine Krankheit ich hab.«
»Das beste is«, behauptete jemand von der Tür her, »wenn man sich Petroleum unter die Haut am Arm spritzt. Mein Vetter war so glücklich, dass man ihm den Arm bis unterm Ellbogen abgenommen hat, und heut hat er vorm Militär Ruh.«
»No also, seht ihr«, sagte Schwejk, »das alles muß jeder für unsern Kaiser aushalten. Sogar das Magenpumpen und das Klistier. Wie ich vor Jahren bei meinem Regiment gedient hab, da wars noch ärger. Da hat man so einen Maroden krummgeschlossen zusammengebunden und ins Loch geworfen, damit er sich auskuriert. Da hats keine Kavalletts gegeben wie hier, oder Spucknäpfe. Eine bloße Pritsche, und auf der sind die Maroden gelegen. Einmal hat einer wirklichen Typhus gehabt und der andre neben ihm schwarze Blattern. Beide waren krummgeschlossen und der Regimentsarzt hat sie in den Bauch gekickt, dass sie herich Simulanten sind. Dann, wie diese zwei Soldaten gestorben sind, is es ins Parlament gekommen und in der Zeitung gestanden. Man hat uns gleich verboten, diese Zeitungen zu lesen, und eine Koffervisite gemacht, wer diese Zeitungen hat. Und wie ich halt schon immer Pech hab, hat man sie beim ganzen Regiment nirgends gefunden, nur bei mir. So hat man mich also zum Regimentsrapport geführt, und unser Oberst, der Ochs, Gott hab ihn selig, hat angefangen mich anzubrülln, dass ich grad stehn soll, und hat gefragt, wer das in diese Zeitung geschrieben hat, oder er wird mirs Maul von einem Ohr zum andern zerreißen und mich einsperrn lassen, bis ich schwarz wer. Dann is der Regimentsarzt gekommen, hat mir mit der Faust vor der Nase herumgefuchtelt und geschrien: ›Sie verfluchter Hund, Sie schäbiges Wesen, Sie unglückliches Mistvieh, du Sozialistenbengel, du!‹ Ich schau allen aufrichtig in die Augen, zwinker nicht mal und schweig, die Hand an der Mütze und die Linke an der Hosennaht, sie laufen um mich herum wie Hunde, belln mich an, und ich fort, wie wenn nichts. Ich schweig, leist die Ehrenbezeigung, die linke Hand an der Hosennaht. Wie sies so vielleicht eine halbe Stunde getrieben ham, is der Oberst auf mich zugelaufen und hat gebrüllt: ›Bist du ein Blödian oder bist du kein Blödian?‹ – ›Melde gehorsamst, Herr Oberst, ich bin ein Blödian.‹ – ›Einundzwanzig Tage strengen Arrest wegen Blödheit, zwei Fasttage wöchentlich, einen Monat Kasernarrest, achtundvierzig Stunden Spangen, gleich einsperrn, nichts zu fressen geben, krummschließen, damit er sieht, dass das Ärar keine Blödiane braucht. Wir wern dir schon die Zeitungen aus dem Kopf schlagen, du Fallott‹, schloß der Herr Oberst nach langem Herumlaufen. Während ich gebrummt hab, ham sich in der Kaserne Wunder ereignet. Unser Oberst hat den Soldaten überhaupt verboten zu lesen, und wenns auch nur die ›Pražské Úřední Noviny‹ waren, in der Kantine ham sie nicht mal Wurst und Käsl in Zeitungen wickeln dürfen. Seit der Zeit ham die Soldaten angefangen zu lesen, und unser Regiment is das gebildetste geworn. Wir ham alle Zeitungen gelesen, und bei jeder Kompanie hat man Verse und Lieder auf den Herrn Oberst gemacht, und wenn was beim Regiment geschehn is, hat sich immer in der Mannschaft ein Wohltäter gefunden, ders in die Zeitung gegeben hat unter dem Titel ›Soldatenmißhandlungen‹. Und dran war noch nicht genug. Sie ham den Abgeordneten nach Wien geschrieben, dass sie sich ihrer annehmen solln, und die ham angefangen, eine Interpellation nach der andern einzubringen, dass unser Herr Oberst eine Bestie is und so was. Irgendein Minister hat zu uns eine Kommission geschickt, damit sie das untersuchen soll, und ein gewisser Franta Hentschl aus Hluboká hat dann zwei Jahre gefaßt, weil ers war, der sich nach Wien an die Abgeordneten gewendet hat wegen der Watschen, die er am Exerzierplatz vom Herrn Oberst erwischt hat. Dann, wie die Kommission weggefahren is, hat uns der Herr Oberst alle antreten lassen, das ganze Regiment, und hat gesagt, ein Soldat is ein Soldat, er muß das Maul halten und weiterdienen, wenn ihm was nicht gefällt, so is das eine Subordinationsverletzung. ›Ihr habt euch also gedacht, ihr Lumpen, dass euch diese Kommission helfen wird‹, sagt der Herr Oberst, ›einen Dreck wird sie euch helfen. Und jetzt wird jede Kompanie an mir vorbeidefilieren und laut wiederholn, was ich gesagt hab.‹ – So sind wir also eine Kompanie hinter der andern marschiert, rechts schaut, wo der Herr Oberst gestanden is, die Hand am Gewehrriemen, und ham ihn angebrüllt: ›Wir ham uns also gedacht wir Lumpen, dass uns diese Kommission helfen wird, einen Dreck wird sie uns helfen.‹ – Der Herr Oberst hat gelacht, dass er sich den Bauch gehalten hat, bis die elfte Kompanie vorbeidefiliert. Sie marschiert, stampft, und wie sie zum Herrn Oberst kommt, nichts, Stille, nicht ein Ton. Der Herr Oberst is rot geworn wie ein Hahn und hat die elfte Kompanie zurückgeschickt, damit sies wiederholt. Sie defiliert und schweigt, und eine Reihe nach der andern schaut nur dem Herrn Oberst frech in die Augen. – ›Ruht!‹ sagt der Herr Oberst und geht am Hof auf und ab, schlägt sich mit der Peitsche über die Stiefelschäfte, spuckt aus, dann bleibt er auf einmal stehn und brüllt: ›Abtreten!‹ setzt sich auf seinen Gaul, und schon is er aus dem Tor heraus. Wir ham gewartet, was mit der elften Kompanie geschehn wird, und fort, wie wenn nix. Wir warten einen Tag, zwei, eine ganze Woche und fort, wie wenn nix. Der Herr Oberst hat sich in der Kaserne überhaupt nicht gezeigt, wovon die Mannschaft, die Chargen und die Offiziere große Freude gehabt ham. Dann hamr einen neuen Oberst bekommen, und von dem alten hat man erzählt, dass er in einem Sanatorium is, weil er Seiner Majestät dem Kaiser einen eigenhändigen Brief geschrieben hat, dass die elfte Kompanie gemeutert hat.«
Die Zeit der Nachmittagsvisite rückte heran.
Militärarzt Grünstein schritt von Bett zu Bett, hinter ihm ein Sanitätsunteroffizier mit dem Protokollbuch.
»Makuna?«
»Hier!«
»Klistier und Aspirin! – Pokorny?«
»Hier!«
»Magen auspumpen und Chinin! – Kowařik?«
»Hier!«
»Klistier und Aspirin! – Katatko?«
»Hier!«
»Magen auspumpen und Chinin!«
Und so gings einer nach dem andern, ohne Erbarmen, mechanisch, kurz. »Schwejk?«
»Hier!«
Doktor Grünstein betrachtete den neuen Zuwachs.
»Was fehlt Ihnen?«
»Melde gehorsamst, ich hab Rheuma!«
Doktor Grünstein hatte sich während der Zeit seiner Praxis eine feine Ironie angeeignet, die viel nachdrücklicher wirkte als Geschrei.
»Aha, Rheuma«, sagte er zu Schwejk, »da haben Sie aber eine äußerst schwere Krankheit. Es ist wirklich ein Zufall, Rheuma zu bekommen, wenn ein Weltkrieg ausgebrochen ist und man in den Krieg ziehn soll. Ich glaube, das muß Sie schrecklich verdrießen.«
»Melde gehorsamst, Herr Oberarzt, dass es mich schrecklich verdrießt.«
»Da schau her, es verdrießt ihn also. Das ist sehr hübsch von Ihnen, dass Sie sich gerade jetzt an diesen Rheumatismus erinnert haben. In Friedenszeiten läuft so ein armer Teufel herum wie ein Zickel, aber wie ein Krieg ausbricht, gleich hat er Rheuma, und gleich versagen ihm die Knie. Tun Ihnen nicht die Knie weh?«
»Melde gehorsamst, dass ja.«
»Und die ganzen Nächte können Sie nicht schlafen, nicht wahr? Rheuma ist eine sehr gefährliche, schmerzhafte und schwere Krankheit. Wir haben hier mit Rheumatikern schon gute Erfahrungen gemacht. Die absolute Diät und der übrige Teil unserer Behandlung hat sich sehr bewährt. Sie werden hier früher gesund werden als in Pystian und werden an die Front marschieren, dass es hinter Ihnen nur so stauben wird.«
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