Der Kammerdiener, der mit seinem struppigen Kaiserbart an den Raubmörder Babinsky erinnerte, schleppte einen umfangreichen Korb ans Bett, während die Gesellschafterin der alten Baronin, eine große Dame mit verweintem Gesicht, sich auf Schwejks Bett setzte und ihm das Strohpolster unter dem Rücken zurechtrückte, mit der fixen Idee, dass man dies kranken Helden tun müsse.
Die Baronin zog inzwischen die Geschenke aus dem Korb. Ein Dutzend gebratener Hühner, in rosa Seidenpapier gewickelt und mit schwarz-gelben seidenen Schleifen umwunden, und zwei Flaschen eines Kriegslikörs mit der Etikette »Gott strafe England!«. Auf der andern Seite war auf der Etikette Franz Josef mit Wilhelm zu sehen, wie sie sich an den Händen hielten, als wollten sie das Spiel spielen »Häschen in der Grube saß und schlief, armes Häschen, bist du krank, dass du nicht mehr hüpfen kannst?«
Dann zog sie drei Flaschen Wein für Rekonvaleszenten und zwei Schachteln Zigaretten aus dem Korb. Das alles breitete sie elegant auf dem leeren Bett neben Schwejk aus und legte noch ein schön gebundenes Buch dazu »Begebenheiten aus dem Leben eines Monarchen«, ein Werk des überaus verdienten Chefredakteurs des Prager Amtsblattes, der den alten Franz abgöttisch liebte. Dann legte sie auf das Bett ein Paket Schokolade, ebenfalls mit der Aufschrift »Gott strafe England!« und ebenfalls mit den Fotografien des österreichischen und deutschen Kaisers geschmückt. Auf der Schokolade hielten sie einander nicht mehr an der Hand, jeder hatte sich selbständig gemacht und kehrte dem andern den Rücken. Sehr hübsch war eine doppelreihige Zahnbürste mit der Aufschrift »viribus unitis«, »mit vereinten Kräften«. damit jeder beim Zähneputzen Österreichs gedenke. Ein elegantes und sehr passendes Geschenk für die Front und die Schützengräben war eine Manikürkassette. Auf dem Deckel war ein explodierendes Schrapnell zu sehen und ein Mensch im Sturmhelm, der mit dem Bajonett vorstürmte. Darunter stand »Für Gott, Kaiser und Vaterland!«. Ohne Bild war ein Paket Zwieback, dafür stand darauf der Vers:
»Österreich, du edles Haus,
steck deine Fahne aus,
laß sie im Winde wehn.
Österreich muß ewig stehn!«
mit der tschechischen Übersetzung auf der andern Seite.
Das letzte Geschenk war eine weiße Hyazinthe in einem Blumentopf.
Als das alles ausgepackt auf dem Bette lag, konnte Baronin von Botzenheim sich der Tränen nicht erwehren. Einigen ausgehungerten Simulanten floß der Speichel aus dem Mund. Die Gesellschafterin der Baronin stützte den sitzenden Schwejk und weinte ebenfalls. Es herrschte Grabesstille, die Schwejk plötzlich unterbrach, indem er die Hände faltete: »Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name, zu uns komme Dein Reich, pardon gnädige Frau, so is es nicht, ich wollt sagen: Vater unser, himmlischer Vater, segne uns diese Gaben, die wir dank Deiner Freigebigkeit genießen werden. Amen.«
Nach diesen Worten nahm er ein Huhn vom Bett und begann zu essen, von dem entsetzten Blick Doktor Grünsteins gefolgt. »Ach, wie es ihm schmeckt, dem Wackern«, flüsterte die alte Baronin dem Doktor begeistert zu, »er ist sicher schon gesund und kann ins Feld gehn. Ich bin wirklich sehr froh, dass ihm mein Geschenk so gelegen gekommen ist.«
Dann schritt sie von Bett zu Bett und verteilte Zigaretten und Schokoladepralinen, kehrte von ihrem Rundgang abermals zu Schwejk zurück, streichelte ihm das Haar mit den Worten: »Behüt Euch Gott«, und ging mit dem ganzen Gefolge zur Tür hinaus.
Bevor Doktor Grünstein, der die Baronin begleitet hatte, zurückkehrte, verteilte Schwejk die Hühner, die von den Patienten mit solcher Geschwindigkeit verschlungen wurden, dass Doktor Grünstein statt der Hühner nur einen Haufen Knochen vorfand, die so sauber abgenagt waren, als wären die Hühner lebendig in ein Geiernest geraten und als hätte auf ihre Knochen einige Monate hindurch die Sonne gebrannt.
Auch die Flasche Kriegslikör und die drei Flaschen Wein waren geleert. Sogar das Paket Schokolade und der Zwieback waren in den Mägen verschwunden. Jemand hatte selbst die Flasche Nagelpolitur ausgetrunken, die sich in der Garnitur befand, und die Zahnpasta angebissen, die der Zahnbürste beigelegt war.
Als Doktor Grünstein zurückgekehrt war, stellte er sich wiederum in Kampfpositur und hielt eine lange Rede. Ein Stein war ihm vom Herzen gefallen, weil der Besuch bereits gegangen war. Der Haufen abgenagter Knochen bekräftigte ihn in dem Gedanken, dass alle Patienten in diesem Zimmer unverbesserlich seien.
»Soldaten«, legte er los, »wenn ihr ein bißchen Verstand hättet, dann hättet ihr das alles liegengelassen und euch gesagt, wenn wir das auffressen, dann wird uns der Herr Oberarzt nicht glauben, dass wir schwer krank sind. Ihr habt euch dadurch selbst das Zeugnis ausgestellt, dass ihr meine Güte nicht zu schätzen wißt. Ich pumpe euch den Magen aus, gebe euch Klistiere, bemühe mich, euch bei absoluter Diät zu halten, und ihr überstopft euch den Magen. Wollt ihr einen Magenkatarrh bekommen? Da irrt ihr euch aber, bevor euer Magen versuchen wird, das zu verdauen, werde ich ihn so gründlich reinigen, dass ihr daran bis in den Tod denken werdet. Noch euren Kindern werdet ihr davon erzählen, wie ihr einmal Hühner gefressen und euch mit verschiedenen andern guten Dingen vollgestopft habt, aber wie es keine Viertelstunde in eurem Magen geblieben ist, weil man euch den Magen noch warm ausgepumpt hat. Also einer nach dem andern mir nach, damit ihr nicht vergeßt, dass ich nicht so ein Ochs bin wie ihr, sondern doch noch ein bißchen gescheiter als ihr alle zusammen. Außerdem kündige ich euch an, dass ich morgen eine Kommission herschicke, weil ihr euch schon zu lange hier herumwälzt und keinem von euch was fehlt, wenn ihr euch in fünf Minuten den Magen so hübsch verschweinern könnt, wie ihr es gerade jetzt fertiggebracht habt. Also eins, zwei, drei, marsch!«
Als die Reihe an Schwejk kam, blickte ihn Doktor Grünstein an, und eine Reminiszenz an den heutigen rätselhaften Besuch veranlaßte ihn zu der Frage: »Sie kennen die Frau Baronin?«
»Sie is meine Stiefmutter«, antwortete Schwejk, »in zartem Alter hat sie mich ausgesetzt, und jetzt hat sie mich wiedergefunden ...«
Und Doktor Grünstein sagte kurz: »Dann geben Sie dem Schwejk noch ein Klistier.«
Abends ging es auf den Kavalletts recht traurig zu. Einige Stunden vorher hatten alle allerlei gute und schmackhafte Dinge im Magen gehabt, und nun hatten sie nur schwachen Tee und eine Schnitte Brot darin.
Nummer 21 ließ sich vom Fenster her vernehmen: »Werdet ihrs glauben, Kameraden, dass ich Backhuhn lieber eß als Brathuhn?«
Jemand brummte: »Schmeißt ihm die Decke übern Kopf«, aber sie waren alle so schwach nach dem mißlungenen Festmahl, dass keiner sich rührte.
Doktor Grünstein hielt Wort. Am Vormittag kamen einige Militärärzte: die berühmte Kommission.
Sie schritten ernst die Bettreihen entlang, und man hörte nichts anderes als: »Zeigen Sie die Zunge!«
Schwejk streckte die Zunge so weit heraus, dass er eine blöde Grimasse schnitt und seine Augen sich schlössen.
»Melde gehorsamst, Herr Stabsarzt, ich hab keine längere Zunge.«
Darauf folgte ein interessantes Gespräch zwischen Schwejk und den Mitgliedern der Kommission. Schwejk behauptete, dass er diese Bemerkung in der Befürchtung gemacht habe, man könnte glauben, er wolle vor ihnen die Zunge verstecken.
Die Urteile der Mitglieder der Kommission über Schwejk waren in Anbetracht dessen außerordentlich verschieden.
Die Hälfte von ihnen behauptete, Schwejk sei »ein blöder Kerl«, die andere hingegen, er sei ein Filou, der sich aus dem Militär einen Jux machen wollte.
»Das müßt aber verflucht zugehn!« brüllte der Vorsitzende der Kommission Schwejk zu, »dass wir mit Ihnen nicht fertig werden sollten.«
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