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Sie saßen einige Zeit einfach nur so da, Sayas Kopf an Shanias Schulter und diese streichelte ihr tröstend über den Rücken. Dann hörten sie ein lautes Gähnen und Aniola kroch hervor aus ihrem Schlafgemach. »Morgen!« Shania schenkte ihrer Freundin ein gut gelauntes Lächeln, doch diese sah sie nur finster an. Dunkle Augenringe zeichneten sich in ihrem Gesicht ab und ihr Haar war leicht zerzaust.
Trotz allem sah sie immer noch umwerfend aus. Aniola brummte etwas vor sich hin und ging dann die Kellertreppe hinauf Richtung Bad, wo sie sich erstmal frisch machen wollte. Saya sah ihr ein wenig amüsiert hinterher. Sie selbst war auch ein Morgenmuffel - obwohl der Begriff Nachtmuffel für einen Vampir wohl eher angebracht wäre -
aber es war immer wieder lustig zu sehen, wie mies gelaunt andere waren. Sie bekam es nur von Vampiren mit, da sie meist schon schlief, wenn andere aufstanden. Als Aniola perfekt gestylt vom Bad zurückkam und sich zu Shania setzte, machte Saya sich auf den Weg, um sich abzuduschen, sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen und ihre Schminke zu erneuern. Das Bad war relativ groß und schön geschnitten. Es war kein Schlauch sondern schön quadratisch und in weiß-grau gehalten. Neutrale zeitlose Farben. Es befand sich ein großes Waschbecken darin, eine Toilette, eine große Duschwanne und ein BD. Saya schlüpfte aus ihren Klamotten, stieg in die Duschwanne und zog den Vorhang zu. Sie drehte das Wasser auf und erschauerte, als es erst kalt über ihren Körper lief. Es wurde aber schlagartig warm und sie genoss die angenehmen Wasserstrahlen auf ihrer Haut. Es war wie eine gute Massage. Nachdem sie einige Minuten einfach so unter dem Duschkopf gestanden hatte, drehte sie das Wasser ab und griff zum Duschgel, um sich einzuseifen. Shania benutze eine andere Cremedusche als sie, das machte aber nichts. Sie verteilte das Duschgel gleichmäßig auf ihrer Haut, dann griff sie zu dem Shampoo, das gleich daneben stand und massierte es in ihr Haar ein.
Sie drehte das Wasser wieder auf, das diesmal sofort angenehm warm war und wusch sich den Schaum ab.
Gründlich spülte sie alles aus ihren Haaren hinaus. Als sie komplett sauber war, stieg sie aus der Dusche, trocknete sich mit dem Badetuch ab, das über dem Heizkörper neben der Badewanne hing und zog sich an. Sie wickelte das Handtuch wie einen Turban um ihr Haar und ging dann ins Wohnzimmer hinunter, wo Aniola und Shania bereits auf dem Sofa saßen und sich angeregt unterhielten. Als Saya den Raum betrat, sahen die beiden Frauen sie an. Ihrem Blick zufolge wussten sie nicht, ob sie lächeln, oder sie sie mitleidig ansehen sollten. Um die Spannung zu lösen, versuchte Saya ein Grinsen aufzusetzen und erleichtert, verzogen sich auch die Münder ihrer Freundinnen zu einem sanften Lächeln. »Mädels, ich werde mich mal auf den Weg machen.« Verdutzt sah Aniola von Saya zu Shania und dann wieder zu Saya. »Wohin?« Shania lachte und stupste ihre Vampirfreundin in die Seite. Saya verdrehte leicht genervt die Augen. »Zu Kris.« Ein Klos steckte ihr im Hals, als sie seinen Namen aussprach. Sie schluckte schwer. Aniola seufzte leise. »Ich muss die Sache einfach klären, sonst lässt es mich nie in Ruhe.« Zustimmendes Nicken. Dann nahm Saya ihre Sachen, umarmte ihre Freundinnen zum Abschied und verschwand aus der Tür.
Sie wartete auf den Bus, um zu Kris und Ravens Haus zu fahren. Immer wieder machte sie Anstalten, doch wieder umzukehren. Es war ein innerer Kampf gegen sich selbst.
Sie hatte Angst. Was sollte sie ihm sagen? Was würde sie machen, wenn er ihr erzählte, es sei ihm nie ernst mit ihr gewesen und dass er die Rabenfrau liebte? Was, wenn diese bei ihm wäre? Wahrscheinlich könnte sie sich nicht zusammenreißen und würde auf sie losgehen. Aber sie musste sich zurückhalten. Das war sie zumindest Shania schuldig. Denn als ihre Freundin, würde das auf sie zurückfallen und würde die Beziehung zu Raven, Kris Bruder schwer beschädigen. Das wollte sie auf keinen Fall.
Als sie gerade wieder Zweifel verspürte, fuhr auch schon der Bus her. Ohne weiter nachzudenken stieg sie ein und die Türen schlossen sich. Wenige Minuten später hielt der Bus an der Zielhaltestelle und Saya stieg aus und machte sich zu Fuß auf den Weg zu ihrem ehemaligen Geliebten. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass jetzt alles vorbei sein sollte, doch ihr wurde es schmerzlich bewusst, als sie vor seinem Haus stand. Alles kam in ihr hoch. All die tollen Momente, die sie mit ihm erlebt hatte, wie er sie angesehen und angefasst hatte. Allerdings auch all das, was sie letzte Nacht erfahren hatte. In ihrer Magengegend kribbelte es, ihr wurde übel und sie zitterte am ganzen Körper. Das letzte Mal hatte sie sich mit Fünfzehn so gefühlt, als sie mit ihrem Schwarm Ben ausgegangen war. Sie waren damals zusammen ins Kino gegangen und er hatte sie berührt und wollte sie küssen. Sie war damals sehr nervös gewesen. Genauso fühlte sie sich jetzt auch. Sie nahm all ihren Mut zusammen und klingelte.
Kurze Zeit später - Saya kam es allerdings wie Stunden vor -
hörte sie schwere Schritte und die Tür wurde schwungvoll aufgerissen, wobei diese ein wenig knarzte. Hinter der Tür stand ein großer schlanker Mann, mit frisch gewaschenen langen Haaren, die wundervoll nach Meer dufteten. Ein Handtuch war um seine Hüften gewickelt und der Oberkörper war frei. Saya starrte für einen kurzen Augenblick auf seine nackte Brust, ehe sie ihren Blick hob und ihn ansah. Sie musste sich zusammenreißen, ihm nicht in die Arme zu fallen, sondern stattdessen vollkommen ruhig und ernst zu bleiben. Er sah sie irritiert an, als habe er mit ihrem Erscheinen überhaupt nicht gerechnet und zog seine Augenbrauen ein wenig nach oben. »Waren wir verabredet?« Mehr sagte er gar nicht. Die Verwirrung war deutlich herauszuhören. Doch Saya wurde wütend. Mit dieser Frage versetzte er ihr einen heftigen Stoß durch das Herz. Es brannte wie Höllenfeuer und wollte einfach nicht erlöschen. Sie schluckte schwer und atmete dann tief durch, um ihm zu antworten. »Du hältst es nicht mal jetzt für nötig, es mir zu sagen? Wie lange willst du mich noch anlügen?«
Wutentbrannt fuhr sie ihn an. Sie konnte nicht glauben, dass er es ihr nicht einmal jetzt erzählte. Empört schüttelte sie den Kopf. Sie musste gegen die Tränen ankämpfen, die sich in ihren Augen bildeten. Verkrampft biss sie sich auf die Unterlippe sie spürte, wie etwas Dickflüssiges nach Eisen Schmeckendes herausquoll. Sie wischte mit ihrem Handrücken darüber. Er war rot gefärbt von ihrem Blut. Sie sah Kris wieder tief in die Augen, obwohl es ihr schwer fiel bei den wunderschönen gold-braunen Augen nicht schwach zu werden. Er trat zur Seite und bedeutete ihr, ins Haus zu gehen, doch sie blieb stocksteif stehen. Seine Gesichtszüge hatten sich verkrampft und es lag etwas Schuldiges in seinem Blick. Er senkte seinen Blick ein wenig und Saya glaubte eine Träne über seine Wange kullern gesehen zu haben. »Können wir das innen besprechen?« Seine Stimme war auf einmal ganz leise und ruhig. »Bitte!« Saya beäugte ihn misstrauisch. Er klang verzweifelt und wirkte sehr betrübt. Spielte er ihr nur etwas vor? Nach kurzem Zögern trat sie dann aber ein und er schloss hinter ihr die Haustür.
Sie ging schnurstracks hindurch ins Wohnzimmer. Es war ruhig und leer in dem Haus. Normalerweise wohnten hier neben Kris noch sein Bruder Raven, seine Halbschwester und mittlerweile auch Rebecca, Kris Exfreundin, die inzwischen aber eher so etwas wie seine beste Freundin war.
Saya sah sich um. Im Haus hatte sich seit ihrem letzten Besuch nichts verändert. Es hingen immer noch die gleichen Bilder an der Wand, die Möbel waren alle an ihrem Platz und auch die Farben hatten sich nicht geändert. Sie setzte sich in den Sessel, schlug die Beine übereinander und verschränkte die Arme. Kris folgte ihr und setzte sich gegenüber aufs Sofa. Sie starrten sich einfach nur an. Sayas Blick war hasserfüllt, doch auch voller Leid, Trauer und Schmerz und Kris wirkte wie ein begossener Pudel, den man im strömenden Regen an der Autobahn angebunden hatte.
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