»Eifersüchtig?« Saya schnaubte nur. »Aber im Ernst, Saya, das wird schon einen Grund haben.« Erneut war ein verächtliches Schnauben zu hören. »Pah!« Shina seufzte verzweifelt über die Sturheit ihrer Freundin. »Du hättest sie doch wahrscheinlich nicht in Ruhe gelassen, bis sie dir alles erzählt. Wahrscheinlich wollte sie das vermeiden und es uns allen zusammen mitteilen.« Nun seufzte auch Saya und ließ sich auf den Stuhl im Esszimmer nieder. »Du hast ja Recht.«
Sie lehnte sich zurück. »Ok, dann komm ich gleich vorbei.
Bis dann!« Noch bevor Shina antworten konnte, hatte Saya auch schon aufgelegt. Mit einem Schwung war sie wieder auf den Beinen, stellte das Telefon zurück in die Ladestation, nahm ihre Handtasche von der Couch, ihren Schlüssel aus dem Schlüsselkasten und schon war sie aus der Tür verschwunden. Schnurstracks lief sie auf die Bushaltestelle zu, um nach Harrow on the Hill zu fahren. Von ihr aus war es ein Katzensprung dort hin, aber dennoch zog sie es vor den Bus zu nehmen und nicht zu laufen. Manchmal wünschte sie, Vampire hätten wie im Fernsehen die Fähigkeit, sich in Fledermäuse zu verwandeln. Deprimiert darüber stieß sie einen lauten Seufzer aus, woraufhin sie alle umstehenden Leute ansahen. In London waren die Menschen wirklich an einiges gewohnt, aber wenn man Geräusche von sich gab oder Selbstgespräche führte, wurde man meist dennoch schief angeguckt. Saya war daran gewohnt, da sie öfters einfach mal laut loslachte, wenn Shania oder Aniola ihr eine lustige Nachricht schickten.
*
Einige Minuten später stand sie vor einem kleinen alten Gebäude, das aussah, als wäre es ein leerstehendes Wohnhaus. Die Fassade blätterte ab, die Fenster waren dunkel, kein Schild, nichts. Allerdings konnte man, wenn man genauer hinsah, eine kleine Fledermaus erkennen, die in die alte dunkle Holztür geritzt war. Saya drückte die Türklinke hinunter, stieß die Tür auf und trat ein. Es war ziemlich voll, "Temple of Love" von Sisters of Mercy schallte aus der Anlage, im ganzen Raum waren überall runde Tische verteilt, an denen sich bleiche schwarzgekleidete Leute -
besser gesagt Vampire - tummelten und am Ende des Raums befand sich die Bar. Alle Möbel in diesem Club waren aus dunklem Holz, so dunkel, dass es fast schwarz war. An einigen Tischen standen anstelle von Holzstühlen, schwarze Cocktailsessel. Saya ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und entdeckte ihre Freunde an einem Tisch neben der Bar sitzen. Schnurstracks eilte sie auf die drei zu und streifte dabei die Bedienung. Diese schwankte kurz, bevor sie wieder Halt fand und hätte beinahe das Tablett fallen lassen. Das hätte im wahrsten Sinne des Wortes ein Blutbad gegeben. Zornig funkelte sie Saya an. »Sorry«, murmelte sie ihr zu und ging dann weiter zum Tisch ihrer Freunde. Diese hatten den kurzen Aufschrei der Bedienung gehört und als sie aufsahen, bemerkten sie Saya, die sie nun herzlich begrüßten. Shania fiel ihr sofort um den Hals und wäre Saya kein Vampir, hätte Shania sie zerquetscht. Aniola knuffte ihr erstmal in die Seite und knuddelte sie dann auch. Shina, die ausnahmsweise einmal vor Saya da war, drückte sie auch freundschaftlich. Nachdem sich alle umarmt hatten, setzten sie sich an den Tisch. Shania, Aniola und Shina hatten bereits Getränke vor sich stehen. Aniola, die wie Saya ein Vampir war, nahm natürlich Blut zu sich. Saya konnte riechen, dass es noch relativ frisch war - The Bat in the Moon war bekannt dafür, dass sie ihre Blutkonserven immer frisch bezogen und es gab auch öfters Spenden von Menschen - und es sich hierbei um AB positiv handelte.
Dies war nicht gerade ihr Favorit, aber schlecht roch es trotz allem nicht und es machte sie ziemlich durstig. Shania und Shina hatten beide Cocktailgläser mit Orangen verziert vor sich. Es roch nach Sahne, Ananas und Kokosnuss. »Ihr mit eurer Piña Colada« Sie lachte laut. Die Hexe und die Werleopardin grinsten ihre Freundin an. »Kennst uns doch«, erwiderte Shania und sog dann an ihrem Strohhalm. Saya warf ihr einen sarkastischen Das-Ist-Ja-Das-Schlimme Blick zu und winkte dann der Bedienung, die sie zuvor angerempelt hatte. Diese kam sofort angelaufen, aber als sie Saya bemerkte verfinsterte sich ihr Gesicht schlagartig und sie sah aus, als würde sie einfach auf dem Absatz kehrt machen wollen. Bevor sie das jedoch konnte, ergriff Saya das Wort. »Entschuldigung nochmals wegen vorhin. Ich hoffe, es ist nichts passiert.« Die Gesichtszüge der Bedienung entspannten sich ein wenig und sie strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht, wobei ein kurzes Lächeln über ihre Lippen huschte. »Schon ok, es ist zum Glück nichts passiert.« Sie zückte ihren Block und ihren Stift und sah die junge Vampirin fragend an. »Was darf ich denn bringen?« Sayas spitze Eckzähne blitzten hervor.
»Einmal A positiv, bitte!« Die blonde großgewachsene Kellnerin schrieb es auf ihren Zettel und sah dann Saya wieder an, ihre Mundwinkel hatten sich zu einem leichten Lächeln verzogen. »Eine gute Wahl. Es wurde gerade frisch gezapft.« Dann schlenderte sie in Richtung Bar davon.
Frisch gezapft bedeutete in diesem Fall, dass sich ein Spender gerade das Blut auspumpen hat lassen. Es war schon wirklich eigenartig, wie manche Menschen freiwillig ein paar Liter ihres Blutes abzapfen ließen, damit sich Vampire nähren konnten. In den letzten Jahren hatte es einen ziemlich großen Hype gegeben, was die Geschöpfe der Nacht mit Reißzähnen anbelangte. Früher wurde Dracula gefürchtet und seit Twilight, True Blood und Vampire Diaries wollten die jungen Mädchen alle am liebsten von einem Vampir gebissen werden. Nachdenklich starrte Saya auf den Tisch. Wenn die Mädchen wüssten, was für eine Hölle das wirklich war, würden sie das garantiert nicht wollen, aber so wie die Vampire in den Filmen dargestellt wurden, waren sie die neuen Traumprinzen, nur, dass sie nicht auf einen Schimmel ritten und Drachen töteten.
Vampire lebten eigentlich, wie alle anderen übernatürlichen Wesen versteckt und Menschen wussten von ihrer Existenz nichts. Dennoch gab es wenige, die durch ihre Vorliebe zu Vampiren auf welche getroffen waren und seitdem wussten, dass diese real sind. Die meisten davon boten sich dann als Mahlzeit an, nur um Zeit mit ihnen verbringen zu können.
Saya fand das Ganze ziemlich krank, aber trotz allem schmeckte das frische Blut einfach noch am besten.
»Was bist du denn so nachdenklich?« Aniola legte ihr eine Hand um die Schulter und sah sie verwundert an.
Schlagartig war Saya aus ihrer Gedankenwelt aufgewacht und sah ihre Freundinnen nacheinander an. Diese hatten ihre Augenbrauen nach oben gezogen und schauten sie fragend an. »Ach, ich versteh nur die Menschen nicht.« Shania und Shina sahen immer noch ziemlich verwirrt aus. Aniola hingegen schien verstanden zu haben und nickte zustimmend. »Da gebe ich dir vollkommen Recht. Ich würde mir auch kein Blut abzapfen lassen.« Nun schienen auch die anderen zwei verstanden zu haben, um was es ging.
Angewidert über diese Vorstellung verzogen sie ihre Gesichter und schoben ihre Cocktailgläser ein Stück von sich weg. »Ich möcht gar nicht wissen, was die alles mit sich machen lassen.« Shania sah aus, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Saya musste über diesen Anblick laut loslachen und auch Aniola fiel in das Gelächter mit ein. Die Kellnerin sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, als sie Saya das Blut brachte. Sie stellte es vor ihr auf den Tisch. Dabei schwappte ein wenig Blut hinaus und tropfte auf den dunklen Holztisch, der es sofort aufsaugte. Dann war die Bedienung auch schon wieder verschwunden. Die jungen Frauen sahen sich an und nun lachten alle herzhaft los.
Nach einer Weile, die sie nur dasaßen, an ihren Getränken schlürften und lachten, stellte Saya ihr mit roter Flüssigkeit gefülltes Glas zur Seite, verschränkte ihre Arme und sah ihre langjährige Freundin fragend an. Sie hatte es sofort bemerkt und das Lachen verstummte. Mit ernstem Blick stellte nun auch sie ihr Glas zur Seite und erwiderte Sayas Blick.
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