Karin war ziemlich überrascht und sie spürte, daß die Kanzlerin diesmal nicht mit einem Cappuccino locken würde. Also nun erst recht: geschmeidig bleiben! Und sie nutzte ihren Vorteil, denn Generaloberst Gerd Johannes, der ihr gegenüber saß, hatte vor einer halben Stunde eine erste Analyse über den Einsatz im Kongo auf den Tisch gelegt.
Für die Kanzlerin faßte er die wesentlichen Punkte zusammen:
„Wir haben es im Kongo mit einem privatisierten Krieg zu tun. Geführt wird er von Golden Security, einer Truppe, die sich aus Elitesoldaten verschiedener Länder zusammensetzt. Ihre Kennzeichen sind: mindestens drei Jahre Kampferfahrung. Die Köpfe oder Bosse von Golden Security sind Manager. Ihr einziges Ziel: reich werden. Politische Motive haben sie nicht. Sie sind Bestandteil eines transnationalen Netzwerks organisierter Krimineller. Ihre Aktivitäten sind Menschen-, Drogen- und Waffenhandel sowie die gewaltsame Aneignung und Ausbeutung von Bodenschätzen. Sie betreiben eine sogenannte entzivilisierende Kriegführung. Das bedeutet: Massenvertreibungen, Massenvergewaltigungen, terroristische Akte gegen Zivilisten aller Art wie gezielte Tötung, Verstümmelung, Enthauptung. Militärisch gesehen setzen sie vor allem leichte Waffen und Gerät ein. Daraus ergibt sich unsere Überlegenheit, denn wir werden über sie ein Drohnen-Netz spannen, so daß wir in der Lage sind, unsere Kampfroboter gezielt gegen sie einzusetzen. Nachdem diese das Gröbste erledigt haben, kommen unsere Spezialeinheiten zum Einsatz, die den Rest erledigen.“
Die Kanzlerin hörte zunächst zu und sprach dann den aus ihrer Sicht wichtigsten Punkt an:
„Sehen Sie das nicht zu positiv? Welche Risiken sind am wahrscheinlichsten?“
Der General blätterte in seinen Unterlagen. Zu lange, denn schon hatte die Kanzlerin den nächsten Punkt. „Ich will außerdem wissen, welche außenpolitischen Konsequenzen damit verbunden sind.“
Karin war bemüht, den Spitzen, die die Kanzlerin in ihre Richtung abschoß, aus dem Weg zu gehen und schlug vor: „Ich werde heute Nachmittag mit den Außenministern Frankreichs, Großbritannien und den USA telefonieren. Bis dahin wird General Johannes auch zufriedenstellende Antworten auf deine Fragen haben.“
Die Kanzlerin wurde plötzlich wütend: „Warum seit ihr nicht jetzt schon so weit?“
Karin antwortete bewußt unaufgeregt: „Wir sind mittendrin und dürften in zwei oder drei Stunden fertig sein.“
Die Kanzlerin ließ jedoch nicht locker: „Wenn du diese Punkte gleich zu Anfang geklärt hättest, dann wäre dir auch klar gewesen, welche außenpolitischen Folgen das jetzt schon hat. In Brüssel hat man mir viele Fragen gestellt, die ich nicht beantworten konnte. Ich stand ziemlich dumm da. Dabei bin ich die Kanzlerin! Verteidigungsminister Klaus Baumann ist sauer. Zurecht. Er wurde bisher überhaupt nicht informiert. Ich habe ihn eine Weile beschwichtigt, doch nun ist er kurz davor, seine Position an die Öffentlichkeit zu bringen. Er befürchtet, daß folgende Länder wegen des unüberlegten Vorgehens ihre guten Beziehungen, die er mühsam über viele Jahre aufgebaut hat, abbauen werden: Belgien, Frankreich, USA und die Briten.“
Karin gab zu: „Das überrascht mich. Nach meinen Informationen stehen sie einem Eingriff, wie General Johannes ihn beschrieben hat, positiv gegenüber. Das hat auch damit zu tun, daß wir in Europa die einzige Macht sind, die in der Lage ist, mithilfe von Drohnen und Kampfrobotern zu agieren.“
Doch auch das überzeugte die Kanzlerin nicht. „Die Mehrzahl der Minister ist mit deinem Alleingang nicht einverstanden. Sie sind der Meinung, daß eine derartig weitreichende Entscheidung nicht im Hauruck-Verfahren von einem einzelnen Kabinettsmitglied getroffen werden darf. Schon darum sehe ich mich gezwungen, eine Kabinettsklausur einzuberufen. Sie wird in drei Tagen stattfinden. Bis dahin haben alle für diesen Fall zuständigen Minister und Ministerinnen Gelegenheit, ihren Standpunkt zu erarbeiten. Dann werden wir sehen, wer auf deiner Seite steht und wer dagegen ist.“
Die Kanzlerin erhob sich wütend und verließ den Raum.
Karin machte sich keine Illusionen mehr. Die Kanzlerin hatte ihr den Fehdehandschuh hingeworfen.
Der General war unter der Wucht des Zorns der Kanzlerin geradezu in sich zusammengesunken. Karin munterte ihn auf: „Keine Panik. Wir haben noch genügend Zeit. Sie kennen ja jetzt die Schwachpunkte. Ich möchte sie bitten, das Konzept bis zum Nachmittag so zu überarbeiten, daß ich allen Einwänden meiner Ministerkollegen in den USA, Frankreich und Großbritannien überzeugend begegnen kann.“
„Wird gemacht.“ Der General verabschiedete sich.
Karin rief ihren Staatssekretär Kai Blüm zu sich. Blüm war für sie ein wichtiger Partner, weil er einer der am besten vernetzten Politiker in der NSD war. Nachdem sie ihm erzählt hatte, was vorgefallen war und um eine Einschätzung bat, machte Blüm keine Ausflüchte:
„Wenn Sie das in der Klausur nicht nachvollziehbar begründen können, sind Ihre Tage als Außenministerin gezählt. Die Kanzlerin würde Sie entlassen. Wenn Sie iIhren Job behalten wollen, müssen Sie in die Offensive gehen. Wir haben nur drei Tage Zeit.“
Karin war optimistisch: „Das wird reichen.“
Als Hans seine Wohnungstür öffnete, stand Lisa ganz in weiß, aber mit einem eleganten schwarzen Hut vor ihm und ihre Gesichtszüge versprühten schon jetzt die pure Lebenslust. Hans bat sie herein und sie setzten sich an den Küchentisch. Lisa redete auch nicht um den heißen Brei herum und legte gleich los:
„Also mein Lieber, wie ist das mit einer gemeinsamen Reise? Ich würde gern mal wieder nach Mallorca. Ein bißchen schwimmen, gut essen, eine Wanderung und viel, viel Liebe machen. Kannst du dich dafür begeistern?“
„Ja, kein Problem. Und ich denke, im Herbst ist die beste Zeit, nicht so heiß, weniger Touristen, besseres Essen, freundlichere Bedienung.“
„Du kennst dich also aus?“
„Ja, ich war schon dreimal dort.“
„Mit Karin?“
„Ja, warum?“
„Sie hat sich mit ihrem Partner – was außergewöhnlich ist – für Mittwoch zum Essen angemeldet.“
„Was ist ungewöhnlich?“
„Normalerweise kommen sie einmal im Monat, jetzt ist es das zweite Mal. Und ich kann dir so viel verraten, beim letzten Mal gab es richtig Knatsch.“
„Worum ging es?“
Sie zögerte. „Es bleibt absolut unter uns? Du schwörst es?“
„Ja, ich schwöre!“ Er hob die Linke, legte sie auf sein Herz.
„Also … er ist der Friedensengel und Ökonom. Er sagte, das Risiko, in Kongo gegen die Terroristen zu kämpfen, ist zu hoch, die Kosten könnten aus dem Ruder laufen … sie soll davon lassen. Aber diese Frau blieb absolut cool, sie ist ihm weit überlegen. Die hat sich keinen Millimeter bewegt. Und sie hat kaum was gesagt. Wie war das zwischen euch? Hat sie bei Meinungsverschiedenheiten mit dir auch diese Coolness ausgespielt?“
Hans überlegte. „Manchmal.“
Lisa wechselte überraschend das Thema.
„Wann willst du deine Praxis eröffnen?“
„Zum Jahreswechsel.“
„Du hast also schon Vorbereitungen getroffen?“
„Ja, ich werde im Bezirk Schöneberg in eine Gemeinschaftspraxis gehen. Aber noch mal zurück zu den beiden … wie ist dieser Michael?“
„Wie meinst du das? Ob er als Mann attraktiv ist? Ich sage ja. Ganz klar. Sehr sportlich, sehr galant, sehr gut gekleidet und gepflegt, guter Geschmack, immer guter Laune, sehr selbstbewußtes Auftreten.“
„Stopp! Ich meine was anderes.“ Hans war dennoch beeindruckt von ihrer Beobachtungsgabe. „Mich interessiert, wie er reagiert, wenn Karin diese Unnahbarkeitspose einnimmt?“
„Interessanter Begriff, typisch Psychologe. Aber korrekter Ausdruck. Ich glaube, er ist dann hilflos, er hat noch kein Mittel dagegen gefunden. Aber wie kann man das Eis brechen?“
Читать дальше