„Aber ich mache es nicht nur aus Lust, sondern zugleich, weil ich den Partner schätze. Und genau das war bei Dieter nicht mehr der Fall. Er hat am Anfang gut geschauspielert, und als er glaubte, ich sei von ihm abhängig, da warf er plötzlich seine Maske ab und nun konnte ich erkennen: Auch er ist die übliche Fratze. Nein, mit solchen Männern kann man keine Partnerschaft aufbauen, heiraten, Kinder kriegen und was so dazugehört.“ Sie holte plötzlich tief Luft und schaute ihn jetzt an wie eine Polizistin, die sich auf ein Verhör vorbereitet. Hans war perplex von dieser Verwandlungskunst im Sekundentempo.
„Trotzdem würde ich gern von dir wissen, warum du dich getrennt hast? Was war da los?“
Hans zögerte nicht: „Es hing mit meinem Job als Leiter der psychologischen Beratung des Polizeipräsidenten und des Innensenators zusammen. Ich kann dir nicht sämtliche Einzelheiten erklären, weil ich immer noch an die Dienstgeheimnisse gebunden bin. Nur so viel: Es ging um einen Terroristen, der bei einem Ausbruchsversuch aus dem Gefängnis zwei Gefängniswärter als Geiseln genommen hatte. Der Innensenator und ich hatten über seine Absichten entgegengesetzte Ansichten. Ich glaubte, durch Verhandlungen könnten wir ihn zur Vernunft bringen und dann festnehmen. Ich wollte ihm klarmachen, daß seine Flucht aussichtslos war. Der Innensenator war der Meinung, der Terrorist würde sich nur scheinbar auf einen Kompromiß einlassen und im geeigneten Moment gewalttätig werden. Das Ergebnis stand zum Teil ja damals auch in den Zeitungen: Der Regierende Bürgermeister und andere entschieden sich für meine Position – also für Verhandlungen. Doch das war eine Fehleinschätzung, denn der Terrorist erschoß die beiden Wärter. Danach fielen der Innensenator und die Medien wütend über mich her. Es war die Hölle. Ich stand plötzlich allein da. Auch der Polizeipräsident duckte sich weg. Meine Frau versuchte, mir zu helfen. Aber in diesem Fall gab es keine Möglichkeit. Der Fall war klar: Ich hatte den Mann falsch eingeschätzt. Für mich war das ein Schock, ich hatte zwei Menschenleben auf dem Gewissen. Also mußte ich Konsequenzen ziehen und kündigen. Einen Monat lang blieb ich zu Hause und meine Depression verging nicht.“
Hans schloß kurz die Augen und spürte, welche Belastung für ihn mit dieser Situation immer noch verbunden war.
„Wer war deine Frau?“
„Karin Hausner, sie ist gerade Außenministerin geworden.“
Lisa entwich ein Pfeifton, aber sie sagte nichts. Dann erzählte er weiter:
„Zur gleichen Zeit wurde Ruth Stroth Kanzlerin und wollte Karin, damals ihre beste Freundin, als Chefin des Bundeskanzleramtes haben. Karin nahm sofort an und die Folge war, daß wir uns kaum noch sahen. Manchmal frühstückten wir noch zusammen, aber den ganzen Tag über und immer häufiger bis spät in die Nacht war sie voll eingebunden in die Regierungsarbeit. Es gab nichts mehr, was uns zusammenhielt. Also zog ich aus und bot ihr die Scheidung an. Wie es so kommt, lernte sie ein paar neue Männer kennen und dadurch wurde es für mich noch unerträglicher. Na ja, und so ging es auseinander. Sie hat sich zwar später noch mal darum bemüht, daß wir Freunde bleiben, denn mit ihren Liebhabern war sie immer nur kurzfristig zusammen und es war offensichtlich, daß sie nie ihren Wünschen als gleichwertige Partner entsprachen. Also wandte sie sich wieder mir zu. Doch ich wollte und mußte mich neu erfinden und lehnte jeden Kontakt ab. Außerdem erkannte ich ja auch: Sie hatte ihren Traumjob gefunden, ich war ein Nichts. Wir paßten nicht mehr zusammen.“
Lisa stieß einen tiefen Seufzer aus. „Mein Gott, das ist wirklich eine schwere Last. Ich kann verstehen, daß man über sowas nicht einfach hinwegkommt. Andererseits: Solche Irrtümer sind doch immer möglich. Wer weiß schon genau, was in uns Menschen vorgeht. Wenn ich an mich denke, dann fallen mir einige Beispiele für Verhaltensweisen oder Entscheidungen ein. Da habe ich mich später dann gefragt: Was habe ich mir dabei bloß gedacht, das war doch Unsinn.“
„Alles richtig. In solchen Situationen ist es immer schwer, zu einer hundertprozentig richtigen Einschätzung zu kommen. Es spielen zu viele Faktoren eine Rolle und es sind immer hochemotionale Prozesse – die sogenannte Vernunft oder Logik wird weitgehend ausgeschaltet. In diesem Fall war es jedoch so, daß ich den Mann, mit dem ich über Telefon in Kontakt trat, nicht sah. Ich konnte somit auch nicht seine Gesichtszüge verfolgen. Doch er machte einen sehr vernünftigen Eindruck. Er formulierte mehrfach, er hätte erkannt, daß seine Chancen für eine erfolgreiche Flucht ziemlich schlecht sind.“
„Womit habt ihr ihn denn gelockt?“
„Gute Frage. Das war der entscheidende Punkt. Der Polizeipräsident und ich waren der Meinung, wir bieten ihm an, daß er wegen der Entführung und wegen Körperverletzung, also wegen aller Taten, die er während der Entführung begangen hatte, nicht bestraft wird. Er müßte eben nur die beiden Geiseln wieder laufen lassen. Dem stimmte er zu. Der Innensenator sprach sich gegen dieses Angebot aus. Er wollte ihm „einen Denkzettel“ verpassen. Und als hätte der Terrorist von unserer anschließenden Diskussion etwas mitbekommen, meldete er sich erneut mit der Forderung, wir müßten ihm das schriftlich geben. Der Polizeipräsident schüttelte den Kopf, der Innensenator sowieso. Ich bat um Bedenkzeit, legte auf und begründete, daß wir ihm nachgeben müßten. Der Polizeipräsident begann zu überlegen, der Innensenator blieb hart. Wir diskutierten etwa fünf Minuten – und damit war dem Terroristen wohl klar, daß er mit einer härteren Strafe rechnen mußte. Also erschoß er den ersten Wärter, rief an und stellte seine Forderung erneut. Er würde auch den zweiten umlegen, wenn wir nicht nachgeben würden. Klar, damit hatte ich schon verloren. Bevor ich etwas sagen konnte, riß mir der Innensenator den Hörer aus der Hand und stellte klar: „Wenn du Schwein den anderen Wärter umbringst, mußt du mit dem Allerschlimmsten rechnen.“ Er legte wieder auf und sagte zu mir: „Das ist die Sprache, die er versteht!“ Eine Sekunde später wurde der zweite Wärter erschossen.
„Aber das hat der Senator doch mit seiner Blödheit geradezu herausgefordert!“
Hans zögerte einen Moment. Dann nickte er. „Aber davon haben die Medien und auch sonst kaum jemand etwas erfahren. Ich hätte ihn also verklagen müssen. Aber was wäre dabei herausgekommen? Den ersten Wärter habe ich auf jeden Fall auf dem Gewissen. Nein, auch wenn ein Richter mich von der Schuld für den Tod des zweiten Wärters freigesprochen hätte – entscheidend war doch, daß ich den Mann falsch eingeschätzt habe.“
„Und nun bist du Taxifahrer. Wie lange noch? Wirst du deinen Beruf wieder ausüben?“
„Ja, sobald ich hundertprozentig sicher bin, daß dieser Schock mich nicht mehr belastet. Ich denke, dann werde ich eine Beratungspraxis eröffnen.“
Plötzlich warf sie sich auf ihn, schnüffelte an seiner Brust, leckte über seine Lippen, küßte ihn heftig und steckte ihre Zunge schamlos in seinen Mund. Hans war überrascht, wie sein Glied förmlich explodierte. Und doch war er für eine Minute gehemmt und eher passiv, aber er mußte gar nicht aktiv werden, sie wußte sehr genau, was zu tun war, und nach einer Viertelstunde lagen sie sich heftig atmend in den Armen.
„Und jetzt Champagner!“, rief sie aus.
Hans erhob sich und ließ den Korken knallen. Sie lachte kreischend – ähnlich wie die Schreie, die tief aus ihrem Körper kamen, als sie den Höhepunkt erreichte. Ja, sie war genau die Art von Frau, die ihn faszinierte – nach außen unheimlich cool und logisch denkend, aber sobald sie sich öffnete, sprudelte sie über vor Lebenslust.
Sie saßen sich gegenüber und hörten eine Weile schweigend den anderen streichelnd Bob-Dylan- Songs. Plötzlich drehte sie seinen Kopf zu sich herüber und schaute ihm tief in die Augen und fragte lächelnd:
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