Und doch bin ich um diese Zeit schon pferdelos gefahren als Kunstreiter auf dem Knochenschüttler.
Deutlich sehe ich noch den Kunstreiter vor mir. Sieh! da kommt er, angestaunt von jung und alt, dahergeschnauft auf einem pferdelosen Wagen. Auf dem ersten Motorschnauserl also? O nein! Motor und Schnauferl, beides ist er noch in höchsteigener Person. Schweißtropfen fallen ihm von der Stirne, so sauer und schwer fällt ihm die Rolle, Motor zu spielen. Doch es muß sein; denn sein „pferdeloser Wagen“ ist nichts anderes als ein Zweirad, nach dem Muster des Urvelozipeds, der alten Draisschen Laufmaschine – aber mit den von dem Schweinfurter Philipp Fischer erfundenen Tretkurbeln am Vorderrad.
Der badische Forstmeister K. v. Drais hatte sich seine zweiräderige Laufmaschine im Jahre 1817 zu Mannheim patentieren lassen. Verlacht, verhöhnt, vergessen – das war sein Erfinderschicksal. Erst als ein paar Menschenalter später das Fahrrad als „Bicycle“ und „Veloziped“ aus dem Ausland nach Deutschland kam, wurde es geachtet, geehrt und allgemein eingeführt.
Wie ich zu meinem Fahrrad kam?
Es war im Jahre 1867. Da kam eines Tages mein Freund, Buchdruckereibesitzer Walter, zu mir. Er war von einer Reise aus Stuttgart zurückgekommen. Dort hatte er den eleganten Renner gesehen und ruhte nicht – da er selbst schlecht zu Fuß war –, bis er ihm gehörte. Es war aber leichter, die Maschine zu kaufen, als auf dem schweren Ding zu fahren. Bei fast all seinen Versuchen artete das Fahren in ein Fliegen aus. Daher hatte er den eigenartigen Sport bald satt und sah sich nach einem neuen Käufer um. Da er meine „Schrullen“ kannte, muß er wohl in mir einen Liebhaber gewittert haben. Ich musterte das kuriose Ding und war sofort Feuer und Flamme. Mit dem Fahrrad von heute hat es allerdings nichts gemeinsam als eben die zwei Räder. Diese waren aus Holz und wurden durch eiserne Reisen zusammengehalten. In ganz primitiver Weise saß der Sitz zwischen Hinter- und Vorderrad auf einer langgestreckten Feder. Etwas größer als das Hinterrad war das Vorderrad, das etwa 80 cm im Durchmesser hatte. Angetrieben wurde das Vorderrad durch Tretkurbeln, die direkt mit ihm in Verbindung standen.
Schon nach vierzehn Tagen angestrengtester Versuche konnte ich das Rad meistern, was mein Freund nie gelernt hatte. Es war allerdings keine kleine Arbeit, auf Mannheims holperigem Pflaster das Gleichgewicht zu halten. Aber der hüpfende Gaul mußte gehorchen, ja, ich mutete ihm – lies mir! – sogar wiederholt die vermessene Aufgabe zu, große Touren über Land zu machen (z. B. Mannheim – Pforzheim).
Wenn ich einkehrte und mein zentnerschweres Rad an irgendeine Wirtshausecke lehnte – guten Wirtshäusern bin ich zeitlebens nie aus dem Wege gegangen –, so sammelte sich gern viel neugieriges Volk, kleines und großes, um die plumpe Maschine. Und keiner wußte, ob er mehr das schwere Fahrzeug mit seinen eisen bereisten Holz rädern und seinem schlecht federnden Sattel bespötteln oder das geschickte Balancieren des „Kunstreiters auf nur zwei Rädern“ bewundern sollte.
Das alles kümmerte indes den „Kunstreiter“ gar wenig. Stolz pedalierte er auf und davon. Und aus seinen Augen leuchtete etwas von dem, das in ihm lohte und brannte – von der Begeisterung für das Problem des selbst laufenden Fahrzeugs.
Heute, wo die kleinen Kinder auf dem Fahrrad zur Welt kommen, wird man es kaum verstehen, daß der erste Radler, der durch Mannheims Straßen pedalierte, einst durch die Lach- und Spottsalven der Menge Spießruten fahren mußte genau wie einst Drais auf seiner Laufmaschine.
Eines schönen Tages mußte das schwere Holzungetüm trotz aller Begeisterung in die Rumpelkammer. Seine Eisenreifen fraß der Rost und auch die Holzräder fielen dem Zahn der Zeit zum Opfer. Was aber nicht in die Rumpelkammer wanderte, was nicht verrostete und zusammenfiel, das war die Idee, pferdelos zu fahren. Im Gegenteil: Die packte mich jetzt erst recht mit der Allgewalt der forschenden Spürkraft und ließ mir Tag und Nacht keine Ruhe mehr.
Zwei Dinge waren mir jetzt klar. Zwei Dinge stellten sich nach diesen mißlungenen Versuchen wie abschreckende Wegweiser auf meine Forscherbahn:
Erstens durfte mein Ideal nicht zwei Räder bekommen. Das war zu wenig. Ein Wagen, der in bezug auf Bequemlichkeit mit der eleganten Droschke in Wettbewerb treten konnte, sollte es werden.
Zweitens mußte dabei unter allen Umständen die Menschenkraft ersetzt werden durch Maschinenkraft. Aber wie? Das war die Frage, die mich fortan beschäftigte. –
Mannheim mit seiner emporstrebenden Industrie und seinem aufblühenden Handel muß einen starken, nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht haben. Das merkte ich erst so recht, als ich nach zwei Jahren die Rhein-Neckar-Stadt verließ.
Um auch im Brückenbau Erfahrungen zu sammeln, trat ich bei Gebrüder Benckiser in Pforzheim ein. Hier lernte ich aber noch mehr kennen als den Brückenbau. Hier war mir das Glück begegnet, jung und schön.
Das Glück, das später mein Lebensglück werden sollte, indem es meinem schöpferischen Ringen und Schaffen wie eine zweite Triebfeder gegen hemmende Widerstände immer wieder neue Spannkraft verlieh. Berta Ringer hieß das temperamentvolle Pforzheimer Kind, das fortan mitbestimmend und mitberatend in den Kreis meiner Ideen und Interessen tritt.
EIGENE HEIM- UND WERKSTÄTTE
Soviel Schönes und Angenehmes auch der Aufenthalt in der Schwarzwaldstadt Pforzheim bot, nach zwei Jahren trieb mich das technische Interesse wieder zurück nach Mannheim. Diese Stadt mit ihrem lebendigen Arbeitsgetriebe einer erwachenden Industrie zog mich ganz in ihren Bann. Hoffnungsfreudig und stark setzte meine Unternehmungslust hier ein. Der Arbeit hatte ich bis auf den Grund geschaut. Das gab mir den Mut, über mich und meine Arbeit hinauszubauen. Neue Wege wollte ich suchen, neue Wege gehen. So legte ich im Jahre 1871 den Grundstein zu einem eigenen Geschäft mit Hilfe eines kleinen Vermögens, das ich mir zum Teil selbst erspart hatte. Diese „mechanische Werkstätte“ bildet den Anfangs- und Ausgangspunkt einer industriellen und kulturellen Kurve ausgesprochener Emporentwicklung. Wenn ich damals auch noch keine Ahnung hatte vom Verlauf dieser Kurve – daß es eine steigende Kurve werde, das fühlte ich im Vertrauen auf die Wunderkraft der Pike. Jetzt glaubte ich so viel praktisch und theoretisch gelernt zu haben, um mich nun selber auf den Ausguck zu stellen, selber die Fahrtrichtung zu bestimmen, selber in die Speichen des Rades zu greifen.
Klein und bescheiden fing das Geschäft an, Wurzeln zu schlagen. Da ich in Mannheim geschäftlich immerhin ein Fremdling war, wurde es mir sehr schwer, festen Fuß zu fassen.
1872 heiratete ich. Damit trat mir ein Idealist zur Seite, der weiß, was er will: Vom Kleinen und Engen hinaus zum Großen, Lichten, Weiten! Was bis dahin Plan war und Traum, das mußte jetzt Flügel bekommen und sich aufschwingen zur Tat. Alles Glauben und Hoffen, alles Kämpfen und Ringen, aber auch alles Erfüllen und Vollenden wurde nun zum heißen gemeinsamen Miterleben.
Plötzlich stand er vor uns, der Pfadfinder, der glückverheißend in die Zukunft wies. Und dieser Pfadfinder heißt Gasmotor. Es stand die Überzeugung in mir auf, daß der Gasmotor dazu berufen sei, als leistungsfähiger Konkurrent neben die Dampfmaschine zu treten und für den Antrieb von Arbeitsmaschinen und Fahrzeugen die allergrößte Rolle zu spielen.
Die Gasmotoren waren damals noch jung und litten an allerlei Kinderkrankheiten. Da war z.B. ein Gasmotor, erfunden von dem Franzosen Lenoir im Jahre 1860. Ein Erstling, der die löbliche Eigenschaft hatte, beiguter Launezehn Minutenlangzu funktionieren und zu arbeiten, aber ein Ölschlemmer und Schmiermaterialverbraucher, daß man ihn scherzweise einen „rotierenden Ölklumpen“ nannte. Er war ein Imitator der Dampfmaschine mit Schiebersteuerung. An die Stelle des einströmenden Dampfes trat das eingesaugte Luft- und Gasgemisch. Entzündet erreichte dieses eine Spannung von 5 oder 6 Atmosphären und trieb den Kolben nach außen bzw. nach innen. Auch die atmosphärische Gasmaschine von Otto & Langen – ein Imitator der atmosphärischen Dampfmaschine – zeigte geringe Entwicklungsmöglichkeit. Das neuaufgekommene Viertaktverfahren aber war um jene Zeit noch durch Patent geschützt.
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