Die Militärs aus Berlin hatten hier, neben der Zivilverwaltung für ihre Rheinprovinz, ihr Generalkommando des VIII Armeekorps und auch so manche andere Brigade und Artillerie Depot eingerichtet.
Es ergab sich die eine oder andere Begegnung und ein kurzes Gespräch mit militärischen Würdenträgern, ihren Burschen und Bediensteten. Und sie kamen in Kontakt mit Mannschaften in Truppentransporten. Transporte, die ein Marschbefehl bewegte.
"So, Sie kommen aus München und Österreich? Wollen Sie hier im Rheinland Geschäfte machen?"
Viel hatten sie den Herren Offizieren nicht mehr zu bieten, und so blieb alles bei leeren Floskeln.
Aus dem Stegreif erfanden sie Geschichten über den Grund ihrer Reise, meist war es der Besuch von Verwandten in Köln, nie sprachen sie über ihre wirklichen Ziele.
Nur flüchtige Begegnungen, bei denen keine der beiden Seiten von der anderen wirklich etwas erfahren oder lernen wollte.
Einzige Ausnahme machte da der junge Leutnant Ferdinand von Wagenow. Er hatte ein Platz im gleichen Abteil und teilte mit ihnen die Reise von Koblenz und Bonn. Wagenow, Spross einer alten, wohlhabenden und einflussreichen märkischen Aristokratenfamilie war begeisterter Bergsteiger.
Als er dann auch noch hörte, dass Franz aus dem Zillertal war, begann er direkt von der Berliner Hütte zu reden.
Eine Wanderung auf dem Hauptkamm der Zillertaler Alpen, schon alleine beim Gedanken daran, begannen seine Augen freudig zu leuchten.
Franz unterdrückte die Erfahrungen, die er im Hochgebirge mit diesen schneidigen sportlichen Flachländern gemacht hatte.
Wagenow schien ein angenehmer Typ zu sein, und, so begann Franz, ihm einige Tipps mit auf dem Weg zu gehen. Die Bergwelt ist zwar wunderschön, aber keineswegs zu unterschätzen. Sie zu begehen, besonders im Hochgebirge, bedingt eine optimale Ausrüstung, eine solide Erfahrung, eine positive innere Einstellung und in jedem Fall ortskundige Begleiter.
Wagenow nahm das alles dankbar und fleißig auf, versuchte sich eine Tour auszumalen und stellte Franz unzählige Fragen. Beinahe hätte er seinen Ausstieg in Bonn verpasst.
"Gebt mir eure Adressen, ich besuche dich garantiert im Mayrhofen."
Zum Glück setzte sich der Zug bereits in Bewegung, so brauchte Franz seine nun wohl nicht mehr gültige Heimatadresse preiszugeben.
"Vielleicht werden die Alpen auch für euch Bergbewohner ein gutes Geschäft", sinnierte Max.
Natürlich hatte sich Franz bereits über den Bergtourismus seine Gedanken gemacht.
"Dazu fehlt die Zugverbindung von Jenbach und, wie du siehst, haben wir nur einen Interessenten auf der ganzen Reise gefunden. Leisten könnten sich das eh nur die hohen Offiziere und das reiche Bürgertum. Und die fahren mit ihren Frauen an die Ostsee."
"Erst wenn auch die Ehefrauen mit in die Berge wollen, klingelt die Kasse. Jetzt ist es nur eine Handvoll, von der können die Bergbauern im Zillertal keine Woche leben."
Köln, der neue Hauptbahnhof, die Dombrücke und der Kölner Dom. Die Preußen und die Kölner hatten sich mächtig ins Zeug gelegt und seit nun fünfzehn Jahre zierten die zwei mächtigen Türme den alten ehrwürdigen Dom.
Auch Bismark war nicht untätig geblieben.
Eigentlich hatte die RhE, die Rheinische Eisenbahn-Gesellschaft, die ja den alten Centralbahnhof gebaut hatte, wirklich kaum Interesse daran gehabt, in ihren Gemäuern die Konkurrenz der CME, der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft, die ja schon mit der Dombrücke eine Anbindung geschafft hatte, durch eine Erweiterung oder sogar einem Neubau eines Hauptbahnhofs, mehr Platz einzuräumen.
Aber Bismark ließ 1880 die privaten preußischen Bahnen kurzerhand verstaatlichen und löste so die Konkurrenzsituation. Erst seit Kurzem hatte man den neuen Hauptbahnhof fertiggestellt.
Die wenigen Schritte vom Hauptbahnhof.
Staunend liefen die drei Freunde durch die Innenschiffe des mächtigen Doms und beschlossen, sich doch noch zwei Tage Köln Visite zu leisten.
Dann aber weiter nach Neuss und von dort übers Land nach Rheydt. Eine letzte Wanderung durch deutsches Gebiet. Vielleicht 20 Kilometer von Neuss nach Rheydt.
Die letzten Bilder und Gemälde wollten sie so noch bei Landwirten und Gutsbesitzern im Rheinland an den Mann bringen.
Ab Rheydt ging es zur nächsten, zur letzten Zugfahrt dieser Odyssee mit dem Ziel Neue Welt.
Die Strecke Rheydt-Antwerpen war eine Eisenbahnstrecke, die eine ganze Reihe Väter und Beteiligte kannte und so auch viele Namen trug.
Die deutschen nannten sie "Eiserner Rhein", die Engländer "Iron Rhine" oder "Steel Rhine", die Holländer und niederländisch sprechenden Belgier "IJzeren Rijn" und die Franzosen und französisch sprechenden Belgier " Rhin d'acier ".
Es war ein Politikum gewesen, diese 123 Kilometer lange Trasse von Deutschland nach Belgien mit einer kurzen Strecke durch Holland. Thema großer internationaler Konferenzen und kein unwesentlicher Bestandteil des Treaty of London von 1839, einem Dokument, das sogar die russische und österreichische Diplomatie beschäftigt hatte.
Johanna
Eine junge Holländerin aus Venray.
Sie hatten den ersten Zug von Köln nach Neuss genommen. Zwar war es am letzten Abend in der Domstadt doch etwas später geworden, aber der Nachtportier im kleinen Hotel, in der Gasse die zu Rhein führt, hatte sie energisch durch Klopfen an der Zimmertür geweckt.
Es war ein anheimelndes altes Bauwerk mit zwei oder drei Etagen, mitten in der Altstadt südlich vom Dom und Bahnhof. Aus den zwei waren drei Tage geworden und sie hatten sich mit den Bedienungen und dem Wirt schon etwas angefreundet und überall laut verkündet, egal wie lange es abends wird, den ersten Zug würden sie immer erreichen.
So waren sie schon recht früh in Neuss angekommen und hatten sich auch direkt auf den Weg, auf die wohl 20 Kilometer nach Rheydt, aufgemacht.
Für die ersten Bauernhöfe, wo wie anklopften, waren sie vielleicht noch zu früh oder es war der falsche Tag, und obwohl die Sonne schien, wollte keiner aus diesen Gehöften etwas mit den Dreien zu tun haben. Es gab kurze und deftige Absagen.
Kräftige Hände, die auf dem Feld anpacken würden, die könne man gebrauchen, aber keine gemalten Hände, die nutzlos an der Wand hängen und sich nie mehr im Leben rühren würden.
So waren sie schon mehr als 4 Stunden unterwegs, es war früher Nachmittag und mehr als die Wegstrecke war schon abgelaufen.
Direkt an der Straße, getrennt durch eine lange Mauer mit zwei großen Flügeltoren lag ein Ritterhof.
"Guten Tag, gnädiges Fräulein."
Franz hatte artig seinen Hut vom Kopf genommen und wusste auf einmal nicht mehr, was er sagen sollte.
Eine junge hübsche Frau, vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als er, kam auf den Hof ihm entgegen.
Sie hatten am großen Tor des Gutshofes angeklopft und waren durch die kleinere Tür, die sich im rechten Torflügel befand, in den Innenhof eingetreten.
Wie sie gekommen war, so verwand das Mädchen auch wieder im Haupthaus.
Der Freiherr kam aus dem Haus und Max übernahm die Verhandlung.
Sie wurden in die gute Stube gebeten und tatsächlich, der Hausherr interessierte sich für die Werke, die ihm gezeigt wurden.
"Johanna mach den Herren einen Kaffee, vielleicht wollen sie auch ein Stück unseres Apfelkuchens nehmen."
Johanna hüfte wieder ins Zimmer und bediente die drei kräftigen Kerle.
Max machte einige Witze über die einzelnen deutschen Landsmannschaften, die er unterwegs gelernt hatten. Auch über Schwaben und Holländer zog er her, wobei Johanna ganz rot im Gesicht wurde.
"Das ist das leckerste Stück Apfelkuchen, das ich je gegessen habe."
Nur um etwas zu sagen, platze es aus Franz heraus, sonst fiel ihm heuer wenig ein, obwohl er doch sonst auch ein fröhlicher Kerl war, der gerne seine Späße machte.
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