Gerne hatte Franz Irmgard gehorcht, gab es doch noch eine gute Stärkung zu Frühstück. Auch fand sich in seinem Bündel noch Platz für die eine oder andere eingepackte Wegzehrung, die ihn Frau Huber mit auf den Weg gab.
Die ersten Schritte lief er zusammen mit Heiner Huber zu Bahnhof nach Jenbach.
Beide hielten sich den Bauch vor Lachen über die schnellen gegenseitig ausgetragenen bissigen und doch harmlosen Spitzfindigkeiten und Retouren.
Alle Leute, die sie trafen, erwachten aus ihrem Morgenmuffel und wussten nicht so recht, ob dies ein gutes Omen für einen erfolgreichen Tag sei, oder ein weiterer Grund war, die schon kochende Galle zum überlaufen zu bringen.
Ja, aus Amerika würde er dem Herrn und der Frau Bahnvorstand in Jenbach/Tirol einen Gruß schreiben.
Am anderen Morgen in Innsbruck hätte seine Euphorie einen Knick bekommen können. Wie er schon befürchtet hatte, waren die Preise für seine Laibe Inntaler in Innsbruck alles andere als attraktiv.
Es kam eine Nostalgie auf, nun ging es endgültig hinaus aus seinem geliebten Tirol.
Für heuer entschied er, sollen die Geschäfte ruhen, die Seele soll zur Ruhe kommen, und, für den Abschied kredenzte er jeder jungen hübschen Tirolerin, der er an diesem sonnigen Morgen begegnete, eine der frisch gepflückten Bergblumen.
Servus Österreich oder bye bye Tirol, die Turmuhr hatte noch nicht die Mittagszeit geschlagen, als er schon wieder die Stadt verließ.
"Leb wohl mein geliebtes ..." Er suchte einen Kosenamen für Innsbruck, aber es fiel ihm so spontan keiner ein.
Bis Zirl würde er es heute schaffen. Der Himmel begann schon, sich zuzuziehen. Jetzt gibt es auch noch den Segen von oben. Sei es drum, auch das gehört mit zu einem Abschied.
Franz war es egal, ob es von oben schüttete, ob auf den Höhen der Wind blies. War die Luft wolkenbehangen, konnte man die Äste der Bäume kaum erkennen, hatte die Sonne alles Himmel und die Täler klar geputzt oder war die Landschaft in eine grandiose Fernsicht verzaubert, es war Franz einerlei.
Oft verweilte er in sentimentalen Augenblicken, schaute nach Süden und sah im geistigen Auge Mayrhofen und den heimischen Hof seiner Familie.
Es ging den Zirler Berg hoch, wann und wo in den Weiten Amerikas würde er eine ähnliche Landschaft finden.
Über den Seefelder Sattel, ins obere Isartal über den Scharnitzpass und hinüber nach Mittenwald. Jetzt hatte er auch noch Österreich verlassen. Auch am Walchensee hatte es noch geregnet, der Weg am See entlang und über den Kesselberg, ungemütlich, glitschig und nass.
"Ja, das habe ich verdient", stöhne er innerlich.
Der Kochelsee und Benediktbeuren, bald war München erreicht.
Wie viele Tage er von Innsbruck in die bayrische Hauptstadt unterwegs war? Das war ihm eigentlich gleichgültig.
Die Strecke, die noch vor ihm lag, würde ehr in Wochen, wenn nicht gar in Monaten, denn in Tagen zu messen sein.
Die Welt ist groß und riesig. Und Franz kannte in München eigentlich nur einen, den Maler Hans.
Es war Nachmittag als Franz den Marienplatz in München erreichte.
"Servus Hans. Wie geht es?"
"Hallo Franz, setzt sich und trink ein Bier."
Wie eine Selbstverständlichkeit lässt das Schicksal doch so oft zwei junge Menschen, die sich nur flüchtig kennen, im Gewirr einer Megametropole, genau zum gleichen Zeitpunkt, genau den gleichen angesagten Gastraum aufsuchen.
Franz hatte sich auf dem Weg bis hierher als Gehilfe bei der Fertigung von Küferfässern durchgeschlagen. Gewiss, er hatte den einen oder anderen Pfennig sparen können, aber es würde schwerlich für das Grundkapital der Auswanderung reichen.
Dagegen schienen Gemälde der Münchner Maler gute Preise bei betuchten Landwirten und hohen Offizieren zu erzielen.
"Was ist aus den Bildern mit den Motiven aus dem Zillertal geworden?"
Hans hatte andere Sorgen.
"Leider konnte ich Luise damit nicht gewinnen."
"Du weißt doch die Tochter des Kommerzienrates. Geflogen ist sie auf den Filou von Hauptmann, einem preußischen Offizier, der Beobachter eines bayrischen Manövers war. Jetzt lebt sie in Berlin und ihre Mutter sitzt Tag und Nacht im Schnellzug erster Klasse, um zwischen Berlin und München hin und her zu sausen. Aber wenigstens haben der Herr Kommerzienrat und der Hauptmann je einen schnell gemalten Schinken für teures Geld gekauft."
Hans schien Luise immer noch zu lieben.
"Hallo ich bin der Max. Grüß Dich."
Max muss wohl ein guter Freund von Hans sein, er zog einen leeren Stuhl an den Tisch und ließ sich häuslich nieder.
"Hallo ich bin der Franz. Lange nicht gesehen."
Max stutzte. "Kennen wir uns."
"Wir waren zusammen bei den bayrischen Gebirgsjägern in Kempten."
"Franz kommt aus Österreich, aus dem Zillertal."
Noch bevor Hans die Profession von Max verraten konnte, schob Franz eine weitere Visitenkarte nach. Max könnte vielleicht ein interessanter Kontakt sein.
"Und will über München und Antwerpen nach Amerika auswandern."
So kamen die drei jungen Leute ins Gespräch.
Max war so etwas wie ein Manager für die Künstler, kannte sich gut in Scene- und Offizierskreisen aus und würde in Amerika sicherlich sein Vermögen machen.
Franz überlegte, wie er die beiden überreden könne, mit ihm die Bahnreise nach Antwerpen zu finanzieren und durchzuziehen.
Gemeinsam würden sie sicherlich auch in Amerika Erfolg haben.
Auch Amerika war ein Land, in dem angesagte Künstler einen guten und klingenden Ruf haben.
Langsam freundeten sie sich an, trafen sich mit allen Arten junger Künstler, Studenten, Alpenforschern, Klosterschülerinnen, Offizierstöchtern, Militärs, Beamten, Reisenden.
Manches Fest ging über mehrere Tage und Nächte. Manche Diskussion, die am frühen Nachmittag begann, endete erst bei vollem Sonnenlicht des nächsten Morgens.
Einmal ging es sogar nur zum Gaudi für einen Nachmittag nach Salzburg und zurück.
So lernte Franz die Weltstadt und viele interessante Leute kennen.
Und er begann etwas von dem zu lernen, das er noch nicht kannte. Er würde es schaffen, auch das zu lernen. Und bisher hatte noch keiner gemerkt, was er an Elementaren nicht konnte.
Nach einem Monat hatte Franz sein Ziel erreicht, er hatte erreicht, dass auch Max und Hans ihr Glück in Amerika versuchen wollten.
Max hatte sich einen günstigen Stock an gut verkäuflichen Gemälden von einigen aufstrebenden, noch wenig bekannten Künstlern, zugelegt.
Auch Hans hatte sein Bestes gegeben.
Jetzt begann der Abverkauf der Werke, zuerst in der feinen Münchener Gesellschaft. Offiziere, Adel, Geldadel, Referenzen.
Max war wirklich ein Profi auf dem Gebiet, Künstler in die Gesellschaft einzuführen, sie vorzustellen, ihren Wert zu zeichnen und nebenher, natürlich, den Wert der Kunstwerke zu steigern.
Bald waren auch Hans und seine Werke allseits bekannt und begehrt.
Die Reise nach Antwerpen, von München aus, konnte beginnen. Und es kam der Tag, da saßen alle drei Freunde im Zug nach Augsburg.
Die nächsten Ziele waren Ulm und Stuttgart und das XIII Armeekorps in den Garnisonen der Württemberger.
Was für die Gattin eines hochrangigen Würdenträges bayrischer Farben ein Statussymbol ist, damit wollen sicherlich auch die Gattinnen der Generäle, Stabsoffiziere und Hauptleute all der übrigen deutschen Teilstaaten als Zierde ihre Salons und Wände schmücken.
Selbst der eine oder andere Subalternoffizier zeigte Interesse und leistete sich das Werk eines weniger bekannten Künstlers, eines Künstlers, der noch nicht ganz den Durchbruch geschafft hatte.
Bruchsal, sie fuhren nun schon mit der dritten Staatsbahn und waren im Bereich von Baden und dem XIV Armeekorps von Karlsruhe.
Schlagartig häuften sich die Garnisonen, überall Militär, überall preußische Offiziere und Mannschaften.
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