Jules Lux
Goner’s Girl
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Titel Jules Lux Goner’s Girl Dieses ebook wurde erstellt bei
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ABC / one, two, three / you and me / it’s elementary. (Right Said Fred)
Ich hasse Schmidt. Ich könnte ihn in den Boden stampfen. Schon wieder kaut er auf seinen Fingernägeln herum und schwitzt wie ein Affe. Natürlich starrt er dabei in seinen Computer. Was sollte er auch sonst tun? Im Grunde bin ich froh, dass diese Apparate da sind. Sonst müsste ich Schmidt womöglich ins Gesicht sehen. Nein, ich bin dankbar für diese dicken klobigen Bildschirme.
10 Uhr 32. Dienstag. Ein schrecklicher Tag. In den Büroräumen steht die Luft. Jeder ist umzingelt von irgendwelchen Briefen, Arbeitsutensilien, Witztassen, Maskottchen und dummen Sprüchen. Obwohl es nichts Vernünftiges zu tun gibt, hängen alle an Telefonen und Computern. Man sucht Angebote und Kundennamen heraus, plappert, tippt und rudert, als säße man auf einer Gefangenengaleere. Der große Trommler mit Schlips und Anzug wippt zwei Stockwerke über uns auf einem dicken Ledersessel. Die Vögel in den Bäumen vor dem Fenster halten uns zu Recht für Idioten.
Schmidt erzählt Witze, wenn Frau Marion hereinkommt.
„Na, Frau Marion, haben sie gestern Abend Pro Sieben gesehen?“
Frau Marion tut, als sei sie taub. Der Klamauk in der Glotze ist schon schlimm genug. Aber ihn nachgequakt zu bekommen, ist der blanke Horror. Ich weiß, was die liebe gute Frau Marion denkt.
„Warum, Steinhoff, bringst du den Arsch nicht endlich um?“
Nichts lieber als das, liebe gute schöne Frau Marion. Ich arbeite dran. Glauben Sie mir. Es ist schon alles in die Wege geleitet. Schmidt ist so gut wie tot. Genießen Sie ihn noch einmal so, wie er dasitzt. Bald ist er erledigt.
Schmidt ignoriert mich. Seit ich ihm signalisiert habe, dass ich sein Leben erbärmlich finde, bin ich Luft für ihn. Zunächst hat er versucht, doch wieder mit mir in Kontakt zu kommen. Noch vor ein paar Wochen kam er montags freundlich durch die Tür.
„Na, Herr Steinhoff, das ist ein Wetterchen, was?“
Ich rülpste ihn an.
„Scharf gegessen?“
Wortlos ging ich zum Fenster und starrte mit offenem Mund auf den großen Platz vor dem Eingang, dann nach Osten in die Häuserschluchten. Schmidt erkannte in mir einen Idioten. Das hielt ihn aber nicht davon ab, es weiter zu versuchen. Er begann mit Witzen. Er plapperte alles nach, was er am Vorabend in den Comedyshows gehört hatte. Ich versteckte mich hinter meinem Computer. Hielt das Gesicht so nah wie möglich vor den Monitor. Er streckte und reckte sich, um es sehen zu können.
„Na, was ist? War das nicht lustig? Haben Sie das etwa nicht gesehen? Oh, Steinhoff, Sie Vollidiot, was machen Sie nur den ganzen Abend? Sie können doch nicht nur wichsen und saufen. Das geht doch nicht. Irgendwann muss man doch den Fernseher anschalten. Sagen Sie mal, Steinhoff, über was lachen Sie denn? Sie müssen als junger Mann doch auch fernsehen, oder etwa nicht? Wissen Sie was, Steinhoff, sie sind ein Spielverderber, ein armer Wicht. Jawohl, ein ganz ein armes Schwein.“
Damit konnte ich leben. Womit ich nicht leben konnte, war die Tatsache, dass Schmidt weiter auf Konversation aus war. Nein und nochmals nein. Das wollte ich nicht akzeptieren. Er sollte die Schnauze halten. Meinetwegen aus dem Fenster springen. Ich wollte nichts von ihm hören. Ihn nicht sehen, nicht riechen.
Ich kaufte mir in einem Gayshop zwei Ausgaben eines Männermagazins. Am darauffolgenden Tag legte ich die nackten Männer bei mir auf den Schreibtisch. Der Rest geschah wie von selbst. Schmidt sprach kein Wort mehr mit mir. Er hielt mich für einen Schwulen. Eine perverse Sau. Jeder halbwegs vernünftige Mensch hätte ihm darlegen können, dass es sicher hundertmal besser ist, seinen Hintern für die Liebe zu benutzen, als ihn sich vor dem Fernsehen bei schlechten Unterhaltungssendungen platt zu sitzen. Schmidt konnte das nicht glauben. Er war ein Feierabendsoldat, einer der unzähligen Mitarbeiter, die außer ihrer Arbeit nichts, aber auch gar nichts besaßen.
Schmidt konterte meine Männer mit den Mädchen aus der Bild-Zeitung. Er legte die Zeitung vor sich auf den Tisch und machte dabei große Augen.
„Oh ja, mein lieber Mann, hat die aber...“
Mein Hass auf Schmidt wuchs jeden Tag. Obwohl wir uns nicht mehr unterhielten, kommunizierten wir miteinander. Ich öffnete mein Fenster, bis Fliegen und Bienen herein kamen, er revanchierte sich mit angebissenen Leberwurststullen und Mettbrötchen. Ich suchte im Radio nach Volksmusik, er bohrte sich stundenlang in der Nase.
10 Uhr 56. Ich habe gerade einen weiteren Strich an die Wand gemalt und Schmidt blättert im Handelsblatt. Jede Abteilung muss die Zeitung durchsehen und dann weiterreichen. Die FAZ und das Handelsblatt gebe ich sofort an Schmidt weiter. Er macht ein Häkchen für unsere Abteilung und bringt die Blätter zu Frau Marion. Das ist der Höhepunkt. Endlich darf er ins Nebenzimmer. Endlich weg vom Computer.
„Hier, Frau Marion. Das sind die Zeitungen. Also, das hier ist die FAZ. Und dahinter, da haben Sie das Handelsblatt. Soll ich sie Ihnen aufschlagen? In der FAZ steht etwas über unser Tochterunternehmen. Ich hab es mit Bleistift vorsichtig eingekreist. Vielleicht schauen Sie es sich an und entscheiden, ob es die Presseabteilung kopieren soll. Ja, und sonst? Ich hätte noch die Bild da. Wenn Sie mal reinschauen wollen. Haben Sie gestern Abend Pro Sieben gesehen? Hahaha. Nichts für ungut. Bis morgen. Dann bringe ich Ihnen wieder das Handelsblatt und die FAZ. Schönen guten Tag auch. Wollen Sie ficken? Nein? Gut, dann gehe ich wieder nach nebenan. Zu dem Schwulen. Adieu.“
Schmidt sitzt wieder vor seinem Computer.
Ich gehe seelenruhig die Post durch. Nur Mist. Kein einziger vernünftiger Brief. Buchstaben, Buchstaben, Buchstaben. Aneinandergereiht ohne Sinn und Verstand. Dienstags habe ich meinen Sozialen und mache die Briefe auf. Sehr geehrte Damen und Herren. Lieber Herr Steinhoff. Hallo Herr Schmidt. Sehr verehrter Herr Abteilungsleiter. Ich gähne, schüttele mich und werfe den ganzen Unsinn in einen bunten Ablagekorb. Das bedruckte Papier soll sich noch ein wenig ausruhen dürfen. Mittwochs stecke ich es direkt in den Aktenvernichter, der es in kurze Stücke raspelt. Seit drei Monaten geht das schon so. Anfangs dachte ich, man könnte mein Tun jeden Moment entdecken und mich vor die Tür setzen. Was für ein Quatsch. Es ist genau anders. Je weniger du tust, je destruktiver und fauler du dasitzt, desto länger kannst du bleiben. Seit ich das eingesehen habe, arbeite ich an der Vernichtung der gesamten Abteilung. Die anderen glauben noch an Schnelligkeit und Effizienz und hasten wie überdrehte Spielfiguren über die mit Evianflecken zugesauten Teppichböden. Ich nicht. Warum sollte ich? Das mit der Hektik wird sich auswachsen. Die Aufsteigergeschichten aus den Garagen hängen bereits allen zum Hals raus. Noch meinen die Schnellen, sie säßen am Hebel. Statt zu den Brüdern und Schwestern im Osten zu reisen, wo man schon am Bahnhof lernen kann, dass Eile nichts, aber auch gar nichts vermag, blättern die Jungmanager lieber in den Biographien der Emporkömmlinge aus der IT-Branche. Ich sehe meine eigentliche Aufgabe darin, diese fürchterliche Unfugfabrik möglichst schnell in den Ruin zu treiben. Bereits am frühen Morgen entsorge ich Brief- und Zeitschriftenstapel in die Altpapiertonne, räume Bleistifte und Kugelschreiber zur Seite und richte unter den Computern ein Massaker an. Ständig ist Herr Matziewski bei uns.
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