Ich bin ein paar Tage irritiert, eine derartige Frau kennengelernt zu haben. Ein Mensch und zwei Persönlichkeiten. Als ich später einmal ihre Homepage besuche, ist sie schon wieder weitergezogen. Weg aus der Stadt, wo sie gerade erst hingezogen war und ihre Zukunft gesehen hat.
Die Nikotinweltmeisterin und eine willige Studentin
Ich muss wieder aktiv sein und Mitglieder anschreiben. Zu meinem Bedauern leeren sich die potentiellen Kandidatinnen in meinem Postleitzahlengebiet. Zu viele Karteileichen. Entweder die Einstellung “Umkreis vom Wohnort“ oder “Alter“ ändern. Bislang hatte ich im Umkreis bis 50 km und beim Alter bis 30 gesucht. Ich entscheide mich dafür, den Umkreis zu vergrößern und schon bin ich wieder im Spiel. Neuen Mitgliedern sei Dank. Ich klicke auf ein Profil mit der Berufsbezeichnung “Coach“, das interessiert mich. Ich möchte mehr über den Coach erfahren. Was ich dort sehe, verwundert mich, ich muss scrollen und scrollen und scrollen. Das Profil findet kein Ende. Da hat jemand eine ganze Bibliothek abgeschrieben. Allein ihr „ideales Wochenende“ ist stündlich geplant. Sie hat mehr „Lieblingsbücher“ in ihrem Profil stehen als ich bei mir zuhause. Das kann sich doch kein Mensch durchlesen, denke ich und verlasse das Profil.
Circa zehn Profile weiter sticht mir erneut ein Profil mit dem Begriff “Coach“ ins Gesicht: Coach und Lebensberater ist ihr Beruf. Ich klicke darauf und stelle fest, dass es dieselbe Person von eben ist: Alter, Größe, Figur, Haarfarbe und Augenfarbe sind identisch. Sie hat unter dem Profil andere Fotos eingestellt. Das erkennt man, auch wenn sie nicht freigeschaltet sind. Diesmal hat sie keine Bibliothek eingestellt, sondern nur einen halben Roman über ihr Leben. Sie schreibt unter der Rubrik „Das Besondere an mir ist…“: „Ich bin ausgebildeter Coach und Lebensberater. Ich habe sowohl praktisch als auch theoretisch eine große Menschenkenntnis. Ich habe viel aus meinen früheren Beziehungen gelernt. Da wurde ich oft ausgenutzt. Ich habe gekocht, geputzt, motiviert, Geld gegeben und noch einiges mehr. Aber keinen Dank zurückbekommen. Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich was ändern muss. Von den Männern habe ich mich getrennt und eine neue Ausbildung zum Coach und Lebensberater gemacht. Ich habe meine Mitte gefunden. Möchtest du sie auch finden?“ Dieser Abschnitt ist mir nicht nur viel zu lang, sondern auch viel zu blöd. Ich verlasse ihr Profil und klicke weiter, stelle aber gerade fest, dass ich eine neue Partnerschaftsanfrage erhalten habe: vom Coach.
Sie finde mein Profil interessant und wolle das Gesicht hinter meinem Profil sehen. Sie bittet um Fotofreischaltung. Ich frage sie, wieso sie mit zwei Profilen unterwegs ist. „Ja, ich will wissen, wie die Männer auf welches Profil reagieren. Mit welchem Profil ich wohl mehr Chancen bei Männern habe.“ Ich antworte ihr: „Weniger ist mehr. Männer sind froh über jeden Satz, den sie nicht lesen müssen.“
Daraufhin bekomme ich einen Fragenkatalog zugesandt, den ich wohl abarbeiten muss. Es wirkt, als hätte sie diesen auf Ihrer Festplatte abgespeichert und einfach nur ins E-Mail-Fach kopiert. Ich bin hier nicht beim Verhör oder in einem Assessment-Center, sondern ich will Frauen kennenlernen. Ich lösche das Profil und bekomme am Abend noch eine E-Mail von ihrem zweiten Profil. Ich solle Stellung beziehen, wieso ich sie gelöscht habe. Meine Antwort lautet erneut: „Vielen Dank für den freundlichen Kontakt. Ich bin zu der Ansicht gekommen, dass wir nicht zueinander passen.“ Die klassische Standardabsage, die automatisch versandt wird, wenn man ein Profil löscht.
Doch die Frau ist clever und hat Geld. Sie meldet sich erneut mit einer Ein-Monatsmitgliedschaft an und kontaktiert mich wieder. Ich bekomme es ein wenig mit der Angst zu tun und lösche sie zum dritten Mal. Ich bin froh, dass sie weder meine Adresse noch meine Telefonnummer hat. Ein viertes Mal schreibt sie mich nicht an.
Ich bewege mich nach wie vor in demselben Postleitzahlengebiet und stoße auf ein nett geschriebenes Profil einer 26-Jährigen. Sie beschreibt sich als „stets entspannt und ausgeglichen.“ Eine Person, die mit sich und ihrer Umwelt im Reinen ist. Genau das Richtige für mich, bloß nicht noch einmal eine Frau mit einer zentnerschweren Vergangenheit.
Ich schreibe sie an und sie meldet sich am Abend mit freigeschalteten Fotos und dem Hinweis, dass sie nicht besonders fotogen sei. Schon wieder eine Frau, die ihre Fotos mit dem Hinweis „Ich bin nicht besonders fotogen“ freischaltet. Genau wie Marie. Es wirkt wie eine Entschuldigung. Mein Herz schlägt zwar nicht schneller, als ich die Fotos sehe, aber sie sieht ganz nett aus. Zudem habe ich gelernt, dass zwischen Fotos und Wirklichkeit ein großer Unterschied bestehen kann. Fiona ist ihr Name, sie ist keine Frau des Schreibens und schlägt ein schnelles Treffen vor. Sie will in meine Stadt kommen. Das gefällt mir. Wir verabreden uns für übermorgen um 18.00 Uhr.
Ich wähle dasselbe Café wie beim ersten Date mit dem Kühlschrankgesicht und beim zweiten Date mit Marie. Fiona kennt das Café, sie hat dort einmal in der Nähe mit ihrem Ex-Freund gewohnt. Ich habe also Heimvorteil.
Es ist Donnerstag. Neue Chance, neues Glück. So schnell geht das. Ich muss mich beeilen, aber es bringt nichts. Ich merke, dass ich zu spät kommen werde.
Um kurz nach sechs sitzt Fiona schon im Café. Fiona hat bereits ein Bier bestellt und raucht. Die Frau ist ja ganz schön unkonventionell, sind meine ersten Gedanken, als ich Bier und Zigarette sehe. Aber gut, wenn ich zu spät komme, kann sie auch schon bestellen. Sie sieht so aus wie auf den Fotos und macht einen sympathischen Eindruck. Ein starkes Kribbeln spüre ich zwar nicht, aber vielleicht steigert sich mein Interesse während des Gesprächs. Sie fragt mich, ob es mich stört, dass sie raucht. „Nein, kein Problem“, ist meine Antwort und ich ahne noch nicht, dass ich den Abend mit Helmut Schmidt verbringen werde.
Als ich mich setze, werfe ich einen kurzen Blick zum Boden. Ich traue meinen Augen nicht: Fiona trägt hellbraune Mokassins und dazu hellblaue grob gestrickte Wollsocken. Typ Norwegersocken. So etwas gab es früher beim Bundesparteitag der Grünen. Als ich mein Alsterwasser bekomme, hat Fiona schon vier Zigaretten inhaliert.
Wir unterhalten uns über unsere letzten Beziehungen, die Arbeit und was wir gerne in unserer Freizeit machen. Wir haben beide eine Vorliebe für Italien und Olivenöl. Sie noch mehr als ich. Fiona gibt mir einige Tipps über interessante Seiten im Internet. Ich weiß jetzt, welcher italienische Familienbetrieb mir das beste Olivenöl verkauft. Sie hat eine weitere Schwäche für schnelle Autos. Autos interessieren mich wenig. Hauptsache sie fahren, sind sicher und nicht reparaturanfällig. Sie hingegen gerät beim Erzählen über ihre Lieblingsautos ins Schwärmen. „Kennst du den neuen S5?“, fragt sie mich. „Ich habe null Ahnung“, muss ich ihr gestehen. Sie klärt mich voller Begeisterung auf. Eine Frau, die sich derart für Autos begeistert, finde ich genauso sexy wie ein Physikstudium.
Mittlerweile hat sie den Aschenbecher fast vollständig gefüllt. Sie bekommt einen Neuen. Fiona wirbelt mit Fachbegriffen rund um das Auto um sich. Dann folgt Nachschub: eine neue Packung Zigaretten aus ihrer Handtasche. Als sie mir erzählt, dass sie Automagazine liest, ist meine Entscheidung gefallen.
Ich will eine Frau. Eine Frau, die sich für Mode, Schuhe oder was auch immer interessiert. Aber nicht für Autos. Eine Frau, die mir voller kindlicher Freude von ihrem neusten Paar Schuhe erzählt. Und dabei mit leuchtenden Augen sagt: „Die waren richtig günstig.“ Die mich mit ihrem Schuhkaufplädoyer zum Lachen bringt. Ich will auch keine Frau, die sich im Baumarkt zuhause fühlt und mit einem Akkuschrauber gut umgehen kann, wie ich neulich in einem Profil las. Ich will eine Frau. Und diese Frau ist nicht Fiona. Sie wird keinen Platz in meinem Herzen finden. Das Rauchen nervt zusätzlich. Nach einer guten Stunde ist das Date beendet. Wir verabschieden uns. Sie ist zwar nett. Aber es passt nicht. Das passiert und ich hake sie ab.
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