„Kann es sein, mein liebes Füchslein, dass die Nachricht in unserem Safe dich etwas verwirrt hat?“, fragte Ilka und löffelte bedächtig „Creme du Joli Bois“, die Dessertspezialität des Hauses.
„Wie kommst du denn darauf, Kätzchen?“ Mit dem üblichen Unschuldsblick sah er von seinem Nachtisch hoch.
„Weil du gerade irgendein Kräuterextrakt auf deine Weincreme gibst. Schoko- und Vanillesoße stehen daneben!“
Verdutzt wandte Prancock sich der Ordnung auf dem Tisch zu, dann hob er das Fläschchen, aus dem er gerade etwas in die Süßspeise geträufelt hatte, vor seine Augen.
„Was macht eigentlich stinknormales Maggi bei einem echt französischen Menü?“
„Gerade hier muss es das geben!“
„Wieso denn das?“, fragte Fox.
„Weil man es in Frankreich wie ,Magie‘ ausspricht!“
Ilka verstand die Welt nicht mehr. Normalerweise konnte sich Prancock über solche Wortspielereien köstlich amüsieren. Nun aber wirkte er fast wie ein verdatterter Greis. Er musterte kurz das gelbrote Etikett und gab noch einige Tropfen in sein Schüsselchen. Dann stellte er das Fläschchen beiseite, nahm einen Teelöffel zur Hand und begann seine Creme mit dem Maggi zu verrühren.
„Wenn du meinst“, murmelte er gedankenverloren. Dabei betrachtete er die in seinem Nachtisch entstehenden bräunlichen Strudel, als würde gleich ein Flaschengeist daraus aufsteigen.
Unauffällig blickte sich Ilka in dem kleinen Speisesaal um. Sie hoffte, dass die übrigen Gäste nichts von Fox eigenwilliger Dessertzubereitung mitbekamen. Diese schienen jedoch in eigene Gespräche vertieft zu sein.
„Findest du die Sache nicht auch merkwürdig?“, fragte Prancock.
„Die Pampe, die du gerade zusammenmixt?“ Ilka stellte sich dumm. Sie wusste genau, was in Fox vorging: Der Kriminalkommissar in ihm war geweckt, und für den gab es angesichts der rätselhaften Nachricht ausschließlich eine Bestimmung: ermitteln, was sonst?
Sicher – Ilka fand die Botschaft aus dem Safe ebenfalls seltsam. Sie konnte die „sunny side of life“-Abteilung in sich einfach nicht davon überzeugen, dass das Ganze ein Scherz war – keine Chance! Auch ihre Neugier, wer hier um Hilfe bat und warum, war von beunruhigender Intensität. Doch fuhr da auch diese andere Stimme in ihr Achterbahn, die sagte: Dies hier ist der erste Urlaub mit dem Mann, den ich liebe. Und genau das will ich haben: Urlaub! Freizeit, Entspannung, lachen, spazieren gehen, gemeinsame Stunden und Tage. Einfach nur genießen! Kein neuer Fall und keine brandheiße Story bitte. Die Achterbahn war eine Steigung hinaufgeächzt, nun stand ihr Wagen auf dem höchsten Punkt: Nase in den Wind strecken und schon ging die Fahrt sturzflugartig talwärts. Das Gefühl ungezwungener Freiheit wich augenblicklich beklemmendem Herzrasen: Was war, wenn nun wirklich jemand in Gefahr schwebte? Oder sogar um sein Leben fürchten musste? Wie würden sie sich fühlen, wenn einen oder zwei Tage später die Nachricht von einem Mord publik würde, dessen Opfer kurz vor seinem Tod im „Joli Bois“ abgestiegen war?
Die Talfahrt war zu Ende, Ilka fühlte ihre widersprüchlichen Empfindungen im Bauch rumoren. Sie nahm ihr Weinglas und nippte kurz daran. Dann beugte sie sich leicht nach vorne, um näher bei Fox zu sein. Sie flüsterte ihm zu: „Frag doch mal unauffällig nach dem Namen unseres Vorgängers. Vielleicht hat es ja was zu bedeuten, dass er überraschend abreisen musste.
Prancock schob sein Schüsselchen beiseite. Bereits nach einem kleinen Löffel war ihm der Appetit vergangen. Auch er nahm sein Weinglas, trank aber zunächst noch nichts.
„Du hast recht!“, flüsterte er zurück. „Aber solltest das nicht du machen? Dein Französisch ist viel besser als meines!“
„Na gut“, seufzte Ilka und legte sich eine Formulierung zurecht.
Schon wenige Minuten später trat der Ober zu ihnen und fragte, ob er abräumen dürfte. Ilka strahlte den jungen Franzosen so herzlich an, dass Fox ihn am liebsten standrechtlich erschossen hätte.
„Oui, merci“, flötete Ilka. Der Kellner begann Geschirr und Besteck auf ein Tablett zu legen, als sie ihn fragte: „Sagen Sie, wem haben wir es eigentlich zu verdanken, dass wir hier in dieser wundervollen Pension logieren können?“
„Ihren guten Finanzen, nehme ich an!“
„Wie witzig!“, dachte Fox und schnaubte innerlich. Diese Art von Scherzen konnte er nur vertragen, wenn sie von ihm selbst stammten – oder von Ilka. Der Ober begann ihn an Steffens zu erinnern. Noch ärgerlicher fand Fox, dass Ilka den Witz mit einem herzhaften Lachen goutierte.
„Natürlich!“, sagte sie und lächelte charmant. Als hieße sie Catherine Deneuve, strich sie sich eine imaginäre Haarsträhne aus dem Gesicht, hielt den Rücken gerade und legte den Kopf leicht schräg. In dieser Pose verharrend, hakte sie nach: „Ich kann nur nicht verstehen, dass jemand hier vorzeitig abreist. Was war das denn für ein Gast?“
„Darüber, Madame, kann ich Ihnen leider keine Auskunft geben!“
„Aber deine Augen sprechen Bände, du Schleimer!“, tobte Mr. Eifersucht in Fox. Krampfhaft bemüht, die Form zu wahren, sah Prancock seine Freundin an. Zu seinem Entsetzen schaltete sie auf Flirtstufe zwei: Sie hob die Augenlider mit bedächtigem Schwung und fixierte den jungen Servierer. Ihr Blick verströmte pures Charisma. Der Kellner hatte große Mühe, nicht zu erröten. „Natürlich nicht“, beteuerte sie betont verständnisvoll, „aber leider hat Monsieur etwas in unserem Zimmer vergessen! Wir würden es ihm gerne zukommen lassen!“
„Nun, Madame“, setzte der Kellner an und lächelte verlegen – das Barometer in Fox’ Magengegend zeigte auf „Langsam reicht’s!“ – „dann deponieren Sie Ihren Fund doch beim Portier. Wenn unser Gast den Verlust bemerkt, wird er sich wahrscheinlich telefonisch in der Rezeption melden. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend, Madame.“ Er war schon dabei, mit seinem Servierwagen zu enteilen, da wandte er sich noch an Prancock: „Ihnen natürlich auch, Monsieur!“ Dann verschwand er zielstrebig in die Küche.
„Warum hat er es denn plötzlich so eilig?“, wunderte sich Ilka. Sehr zu Fox’ Missvergnügen starrte sie dem Ober nach.
„Wahrscheinlich hatte er Angst, dass seine Erektion ihm die Hose sprengt!“, knurrte Fox vor sich hin. Demonstrativ stierte er in sein Weinglas. Gerade wollte er es an den Mund heben, als eine Berührung ihn erschauern ließ: Ilka hatte sachte ihre Hand auf seine gelegt. Er sah sie an. Der Anblick der zarten Finger weckte sein Verlangen. Er hob den Kopf und sah Ilka in die Augen. Fox war wie vom Donner gerührt und von tausend Blitzen elektrisiert: Die Flirtshow mit dem Kellner war nur ein schwacher Abglanz dessen gewesen, was er nun in Ilkas Blick erkannte.
„Wollen wir die Ermittlung vielleicht lieber morgen fortführen?“, hauchte sie.
Er trank hastig aus und nickte ihr zu: „In Ordnung, Frau Kommissar, aber den Portier knüpfe ich mir vor!“
„Alles klar, Jeannie, die Party kann steigen!“, verkündete Jasmin fröhlich und marschierte herein.
Janine saß am Fenster und sah hinunter auf den Hof. Viele Freunde und Bekannte entfachten dort Grillfeuer, redeten, spielten und musizierten. Die Rührung darüber, dass sie alle gekommen waren, um ihr zu helfen, packte Jeannie. Natürlich wollte sie ihre Lieben nicht enttäuschen – und doch krampfte sich ihr Herz zusammen, wenn sie sich vorstellte, nun zu feiern.
Als Jeannie nicht reagierte, trat Jasmin zu ihr. „Dir ist das zu viel, oder?“
Die kleine Hexe war dankbar, dass sie das nicht selbst hatte aussprechen müssen. Sie wandte ihr Gesicht Jassy zu. Diese erkannte neben einem Ausdruck der Hoffnung jede Menge Unsicherheit, Traurigkeit und Angst. Wohl wissend, dass jedes weitere Wort nur eine leere Hülse aus Buchstaben bleiben würde, nahm sie Janine in ihre Arme und zog sie mit sanftem Nachdruck an sich.
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