Seine letzten Worte waren kaum noch zu verstehen. Dann mit letzter Kraft, Masheba war noch näher gerückt, hauchte er, bevor er entkräftet in seine Kissen sank, die für das Mädchen so verheerenden Worte: „ich habe deine Mutter zur Frau genommen als du bereits zwei Jahre zähltest, also wie du siehst bin ich gar nicht dein Vater.“
In Mashebas Universum schien die Zeit zu kollabieren. Das letzte Stückchen „heile Welt“, ihr Vater, zerplatzte wie eine Seifenblase.
Wie eine Sturzflut die alles mit sich reißt was sich ihr in den Weg stellt, ergossen sich nun all die ungeweinten Tränen der letzten Wochen und Monate. Ihre unsägliche Traurigkeit, ihre Einsamkeit, jene endlosen Momente verzweifelnden Hoffens jedoch .konnten sie nicht lindern. Dieser Stachel saß tiefer, viel tiefer.
„Oh Tarik, dass du hier bist…“ schluchzend warf sich Masheba in seine Arme. Sie waren in der gleichen Maschine gekommen, doch reiste sie, ungesehen von den anderen Passagieren in einer Privatkabine. Soviel wenigstens hatte Xedek ihr zugestanden. „Eine Privatmaschine“, für diesen Vorschlag seines Sekretärs hatte er nur ein ärgerliches Knurren übrig.
Gleich nach ihrer Ankunft hatte Tomo sie zu sich gerufen.
Tarik war noch mit der Einreisebehörde beschäftigt, die Tomo erst kürzlich ins Leben gerufen hatte. Der Diensthabende wäre, wie Tarik sehen konnte; lieber bei seinen Kameraden draußen in der Wüste gewesen. Dessen ungeachtet nahm der Junge seine Aufgabe äußerst ernst, etwas das Tarik peinlich berührte. Alles hätte er hier erwartet, nur keine Bürokratie. Dass der Junge lediglich auf Tomos ausdrücklichen Befehl handelte, äußerste Vorsicht bei allen Fremden walten zu lassen, erfuhr er erst viel später.
Der Bursche konnte sich zwar an Tariks Gesicht erinnern, doch nicht an den Namen „Roman Jevitsch“, auf den seine Dokumente ausgestellt waren. Auf Anraten des Professors hatte er seine eigenen Papiere zurückgelassen, falls bei seiner Abreise doch noch verstärkte Kontrollen durchgeführt werden sollten. Und so kam es, dass man sich erst Stunden später begegnete.
Nun erzählte sie ihm was sie soeben von ihrem Vater erfahren hatte.
„Tarik, es kommt noch schlimmer…! Ich glaube…, ich glaube dass ich schwanger bin.“ Es folgte ein langes Schweigen. Er traute sich nicht es zu unterbrechen, denn tröstende Worte waren das letzte was sie von ihm erwartete, dazu kannte er sie zu gut.
„Du musst mit mir schlafen…, denn nur wenn ich glauben könnte, dass du der Vater bist werde ich das Kind lieben können.“ Tarik stand wie vom Donner gerührt.
„Masha, du bist für mich wie eine kleine Schwester…, ich habe deine Tante geliebt. Ich, ich…, .euch beiden so etwas anzutun…, das kann ich nicht.“
„Du bist es ihr schuldig…, sie würde es gut heißen.“ Die Augen des Mädchens füllten sich mit Tränen die einer plötzlichen Entschlossenheit wichen. Mit festem Blick schaute sie ihm in die Augen:
„Ich werde das Kind töten sobald es auf der Welt ist, wenn ich nicht glauben könnte dass du der Vater bist… und ich werde keinen Moment zögern. Glaube mir.“
Er glaubte ihr.
„Kind, weißt du was du von mir verlangst…?“ Zärtlich strich er ihr übers Haar und nahm sie in seine Arme.
„Denk nicht Tarik…, tu es, tu es einfach!“
Tarik anfänglicher Verdacht - nun mit Tomos Gesundheitszustand konfrontiert - schien sich nicht zu bestätigen. Doch wer konnte daran interessiert sein die beiden zu töten…? Vor allem, wer konnte an Hannahs Tod interessiert gewesen sein? Kein Dakuai würde einen kaltblütigen Mord begehen, soweit kannte er die Mentalität dieses Volkes. Tarik stand vor einem Rätsel.
Tomo, wie zuerst vermutet, starb nicht. Das Gift das ihm verabreicht worden war reichte nicht aus um ihn zu töten, doch sein Körper verfiel zusehends. Ein langer Weg des Leidens folgte, von dem er erst Jahre später erlöst werden sollte.
Vor nun mehr als sechzehn Jahren war er, ein Vagabund, ein Pirat, mit den kläglichen Resten einer Mannschaft, wenn man diese dann so nennen wollte, aus den Tiefen des Alls gekommen. Aus einer Dimension ohne Gesetze und ohne Skrupel, da wo Bündnisse geschlossen und genauso schnell wieder gebrochen werden. Drei abgemagerte und zerlumpte Gesellen denen Haraikos das Asyl um das er bat gewährte. Bei den Dakuai, in deren Vergangenheit sich „ähnliche“ Dramen abgespielt hatten, von denen jedoch niemand sprach, fand er Verständnis. Hier war ihnen und allen Verfolgten ein Platz sicher. Man wusste, da draußen in den Tiefen des Alls tobt immer noch ein gnadenloser Kampf ums Überleben. Ein immerwährender Kampf, und nicht nur der der Elemente.
Grausige Wahrheiten lauern dort draußen. Grausige Geheimnisse die nie eines Menschen Gedanken auch nur streifen würden.
Große Geheimnisse umgaben aber auch das Volk der Dakuai. Mysterien denen die Mythen die man sich in der Außenwelt erzählte jedoch nicht gerecht werden können. Nur Geheimschriften, verschlossen in bleiernen Truhen, erzählten die wahre Geschichte.
Sie bergen auch, verborgen von den Dunklen Mächten, die Mysterien der Großen Weihen. Ein Wissen das helfen wird sich dem letztendlichen Geheimnis dieses Universums zu nähern…, dann wenn die Zeit gekommen ist.
Doch in Tomos Fall waren es nicht die bösen oder gar dunklen Mächte die ihn verfolgten, viel eher hatte er in den Reihen krimineller Individuen selbst einen nicht unwichtigen Platz eingenommen.
Als jüngster Spross einer adeligen Familie hatte er wenig Aussicht auf ein angemessenes Erbe, und so zog er, was auch eher seiner Natur entsprach, in die Ferne. Da war das Naheliegendste, da mit ehrlicher Arbeit weder Reichtum noch Ruhm zu erlangen war, sich einer Gruppe führerloser Kleinkrimineller anzuschließen, von denen es allerorts nur so wimmelte.
Der nächste Schritt, ihr Anführer zu werden, war schnell getan.
Er war der geborene Befehlshaber und seine kleine Gruppe verbreitete bald Angst und Schrecken. Wenn ihr kleines, dafür umso wendigeres Raumschiff am Himmel zu erkennen war, dann war es bereits zu spät.
Er beherrschte den Raum, willkürlich, tyrannisch. Doch auch die Konkurrenz schläft nicht. Es gibt immer einen der noch schneller, noch skrupelloser ist. Angeschossen, mit letzter Kraft schaffte es die noch halbwegs lebendige Mannschaft mit dem stark beschädigten Gefährt zu entkommen und unerkannt auf Ars zu landen.
„Es hätte schlimmer kommen können“, meinten die Beduinen die die Bruchlandung aus sicherer Entfernung miterlebt hatten. Als man sie dann endlich fand lebten nur noch drei von ihnen. Durch die gute Pflege der Einheimischen verbesserte sich ihr angeschlagener Zustand zusehends.
Tomo wusste, dass die Wiederherstellung seines Raumschiffes dauern konnte, wenn es überhaupt eine Möglichkeit dazu gab - der Bordmechaniker hatte den Absturz nicht überlebt. Der Verlust sei zu verschmerzen, meinten die Überlebenden, da auf diesen primitiven Planeten ganz sicher keine Ersatzteile zu finden sein würden.
Es war von Nöten zu handeln…, rasch zu handeln. Ein teuflischer Plan war schnell gefasst. Er konnte nicht riskieren erkannt zu werden.
Man glaubte ihm seine Geschichte vom Handlungsreisenden der Opfer eines immer gefährlicher werdenden Berufsstandes geworden war - doch wie lange noch?
Man würde eventuell Erkundigungen einholen, man würde ihn ausliefern. Die Kerker und Arbeitslager des Imperators sind kein angenehmer Aufenthaltsort… hatte er doch selbst sehr vielen zu einem verlängerten Aufenthalt dorthin verholfen.
Sein Entschluss war schnell gefasst. Haraikos musste beseitigt werden. Er würde seinen Platz einnehmen. Die Legende der Dakuai war auch ihm zu Ohren gekommen…, der Sieger ist der neue Anführer. Im fairen Zweikampf, das war ihm rasch klar, würde der blonde Hüne kaum zu besiegen sein. Doch listenreich war Tomos Plan und gut gefüllt seine Giftküche an Bord.
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