Die Antwort kam prompt übers Telefon. Vorstellung in Brandenburg, soundso Straße um 9 Uhr. Schroeder triumphierte, trat ans Fenster. Das Zebra stand vor Ihrem Abwasch. „Siehste, du musst spezialisiert sein. Senioren und Sprache, eine zugkräftige Kombination!“
Im Hausflur stand Riedemeier mit einem Lappen in der Hand und putzte die Türklinke. „Biste och schon uff?“ schrie er Schroeder an.
„Und du, warst du bei der Seefahrt, dass du deine Türklinke wie ‘ne Schiffsglocke polieren musst?“ Er drückte sich an Riedemeier vorbei und wünschte ihm einen schönen Tag, „hab‘ keine Zeit, muss arbeiten!“
„Arbeitest du och ma?“ rief Riedemeier ihm nach. Schroeder war gekränkt.
Er fuhr mit dem Regionalzug. Er genoss es, zwischen morgendlichen Pendlern zu sitzen, die Zeitung aufzuschlagen und die anderen im Waggon über den Rand zu beobachten. Jetzt war er ja schon selbst fast ein Pendler auf dem Weg zur Arbeitsstelle. Er kuschelte sich, wie der britische Komiker Mr. Bean die Schultern verdrehend, in den Sitz. Alles schwieg, die meisten waren ebenfalls mit Zeitungen beschäftigt, wurde auch er beobachtet? Er sah an sich herunter. Weißes Hemd, ein Sakko. Die Laptoptasche, die den zu erwartenden Arbeitsvertrag aufnehmen sollte, sah wichtig aus. Er war einer von ihnen. Von denen, die alles geregelt hatten, von der Führerscheinprüfung bis zu den Einladungskarten zur Silberhochzeit.
Ein Sommermorgen in Lissabon. Die Straßenbahn, von den Häusern der engen Straße das Echo melodischen Gerumpels. Richtung Zentrum. Nur Männer in diesem Waggon. Berufspendler. Bis zu den Türen Büroangestellte. Ledertaschen unter dem Arm. Geruch nach Rasierwasser, kaltem Tabak, abgestandenem Kaffee und gegrillten Sardinen. Zeitungsgeraschel. Müde Wortfetzen zwischen älteren Herren. Stationshalt. Die blonden Locken der jungen Frau fallen über nackte, braune Schultern. Ein BH-Träger in rosa. Passend zum luftigen Kleid. Lippen wie pralle Kirschen. Mandelduft. Schwarze Augen über rotem Mund. Lange, nackte Beine in hinten offenen high heel sneakers. Nackte Fersen nach dem Vorbild antiker Göttinen modelliert. Ihre Finanzzeitung raschelt beim Umblättern. Totenstille im Abteil. Nur das Schlucken in fünfzig Männerkehlen wie Brandung auf Fels.
Auf dem Hauptbahnhof musste er in die Straßenbahn umsteigen. Die rumpelte gen Osten und bald kam es Schroeder vor, als ginge es zurück in die DDR. Häuser und Menschen, Straßenschilder und die wenigen Geschäfte auf der Strecke vermittelten Trübsinn und spießige Geborgenheit bis hin zu den Gartenzwergen in den Vorgärten.
Das Büro des Reiseveranstalters lag im zweiten Stock eines Einkaufszentrums für Ramschprodukte, wo es T-Shirts für 80 Cents gab. Komische Adresse, dachte Schroeder. Im zweiten Stock drückte er auf die Klingel. Es war Punkt zehn, er war pünktlich, seine Gesprächspartner nicht. Allein diese Tatsache verursachte eine leichte Schwellung im Hals. Er versuchte es noch einmal. Wieder nichts. Dann sah er das kleine Schild: „Reisen mit Herz und Verstand, wir sind jetzt im 3. Stock!“
Eine Frau in seinem Alter öffnete und führte ihn in das Büro. „Partner“, sagte sie.
„Wie, Partner?“
„Mein Name ist Partner...“
„Ah, ich bin Schroeder, Schroeder mit oe!“
Er hatte schon geglaubt, er wäre bereits eingestellt und sie begrüßte ihn als ihren Partner. Sie bat ihn Platz zu nehmen, der einzige freie Stuhl stand vor ihrem Schreibtisch. Da klingelte das Telefon. „Moment bitte,“ dann konzentrierte sich Frau Partner auf das Telefonat. Schroeder sah sich um. Ein Chaos aus Papieren, Zeitschriften, Formularen und Aktenordnern türmte sich auf einem zweiten Schreibtisch. Sein neuer Schreibtisch? An den Wänden, wie zum Beweis, dass hier Reisen verkauft wurden, hingen Plakate von den Azoren, dem Kolosseum in Rom und die Panorama Ansicht einer mittelalterlichen Stadt, womöglich Rothenburg ob der Tauber.
„Natürlich“, hörte er nun Frau Partner sagen, „ es wird wie letztes Mal. Diesmal vielleicht noch besser. Wir haben nämlich eine neue Kapelle engagiert....Nein, kostet nicht mehr, Sie wissen ja, Frau Mertens, für unsere Stammgäste tun wir alles was in unserer Kraft steht....Klar, na ja, ist doch so....Gut dann, kommen Sie irgendwann vorbei...Ja, das wünsche ich Ihnen auch...und wie geht’s Ihrem Mann?....“ und so ging es noch eine Weile weiter.
Schroeder griff zu dem Reisekatalog, der auf dem Tisch lag. „Reisen mit Herz und Verstand“, so lautete die Überschrift. Er staunte, mit denen konnte man nach Brasilien fahren, nach Ägypten, Spanien und Madeira. Die Angebote waren auf ältere Menschen, auf „Senioren“ abgestellt. Offensichtlich waren auch Heilbäder und Kurzentren irgendwo im neuen Osten Europas der Hit. Das waren nun nicht unbedingt die Reisen, die Schroeder hätte begleiten wollen, da wäre er ja um einen Schlag um zehn Jahre gealtert! Frau Partner hatte fertig telefoniert. Nun würde sie ihn nach Kaffee fragen. Aber nichts da.
„Ja“, begann Frau Partner, „Ihre e-mail hat uns interessiert! Sie sprechen ja Spanisch und hin und wieder brauchen wir schon einen Reiseleiter mit Spanischkenntnissen. Wissen Sie, die älteren Herrschaften wollen eben auch ein bisschen betütelt werden....“
Schroeder dachte an seine Zeit als Reiseleiter zurück. Drei Monate lang hatte er Reisegruppen betreut, auf den Kanarischen Inseln. Hatte in einem noblen Hotel gelebt und sich um alles kümmern müssen. Vom Flughafentransfer bis hin zu den Eintrittskarten für die Besichtigung des Loro Park auf Teneriffa. Das meinte sie wohl mit „betüteln“. Es war ein aufreibender Job mit sechzig und mehr Wochenstunden gewesen. Kaum Zeit, um eines der kanarischen Serviermädchen mit aufs Zimmer zu nehmen. Er kannte das Thema, und er sagte es Frau Partner. Er war bereit. Er wollte nur anfangen, sein Kontostand bei der Bank saß ihm im Nacken.
Nach einigem Geplänkel über Reiseziele, die Bedürfnisse älterer Menschen auf Reisen und das Unternehmen „Reisen mit Herz und Verstand“, wollte Schroeder zur Sache kommen. Ihm war es egal, auf was er sich einließe. Das Büro gefiel ihm nicht, Frau Partner eben sowenig, der Job höchstwahrscheinlich auch nicht. Wenn er erst einmal unterwegs wäre, mit einem Flugzeug voll mit Schlager singende und schunkelnde Senioren, würde sich alles finden.
„Nun“, Frau Partner senkte die Stimme, „Sie können es sich überlegen. Sie können bei uns anfangen. Nur, ich muss Ihnen etwas zur Bezahlung sagen: Unsere Reiseleiter arbeiten ehrenamtlich. Pro Tag bekommen sie eine Aufwandsentschädigung von zehn Euro. Aber die Reise haben sie natürlich umsonst!“
Welch ein Trost, die Reise umsonst! Schroeder dachte an das rausgeschmissene Fahrgeld und dankte Frau Partner, dass sie sich so viel Zeit genommen hatte.
„Ich arbeite bereits ehrenamtlich“, sagte er und ging.
Was für eine Welt, dachte er. Die verkaufen Reisen, für hunderte, ja tausende von Euros und die Reiseleiter haben die Ehre, den Senioren das Gepäck ins Hotel zu schleppen und ihnen bei Bedarf die Teebeutel in den Thermoskannen zu wechseln. Danke Männer. Schroeder fühlte sich gedemütigt. „Was hat sie gesagt, die Reise haben Sie natürlich umsonst!“
Zuhause angekommen, schickte er Constanze eine SMS: „Wann können wir uns treffen?“ Es war Zeit, auf den im Raum schwebenden Plan einer gemeinsamen Selbständigkeit zurückzukommen. Nach dem Mittagessen, er hatte das Lieblingsgericht seiner aus Berlin stammenden Großmutter aufs Neue entdeckt, nämlich Pellkartoffeln mit Quark und Leinöl – die Flasche Rotwein dazu war ein spanisches Relikt - legte er sich aufs Bett. Die Börsennachrichten kamen um kurz nach halb zwei. Da war er bereits eingeschlafen. So wurde er von den üblen Nachrichten vom „Frankfurter Parkett“ bis auf weiteres verschont.
Er wachte mitten in einem Interview auf. Es war Teil einer Serie über außergewöhnliche Berufe. Heute war eine Toilettenfrau dran. Eine Toilettenfrau im “Three corners“, dem früheren Lokal eines alternden Playboys der zweiten Liga, von dem gesagt wurde, er habe sich den Arsch liften lassen.
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