Fred Feining - Keine Nachricht für Schroeder
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Er gab jedoch nicht auf. Er verlegte seine Aktionen in den Bereich der so genannten Kundenzeitschriften. „Lenz“, eine Zeitschrift, die ihre Seniorenleser davon überzeugen will, dass das Leben trotz künstlichen Hüftgelenks und Schwerhörigkeit lebenswert ist. Oder „an Bord“, ein Magazin für betuchte Kreuzfahrer, oder „zu Tisch“, die Kundenzeitschrift des Kücheneinrichters Miele, der mit Hilfe glanzvoller Artikel über Gewürze und Olivenöle seine Heißluftöfen an die Frau bringen will.
Diesen Blättern bot er seine Artikel an, in der Hoffnung, dass seine vielen unbekannten Kollegen noch nicht auf die gleiche Idee gekommen waren. Fehlanzeige. Auch diese Zeitschriften kämpften gegen die Wellen der Manuskripteinsendungen an.
Völlig erfolglos blieb er nicht. Einige seiner Reportagen waren speziell genug, dass sie genommen wurden. Hinzu hatte er jedes Jahr einen Reiseführer über die Costa Brava zu aktualisieren, was ihm einerseits erlaubte, auf Kosten des Verlages vor Ort zu reisen, und ihn andererseits für einige Wochen über Wasser hielt.
Einstweilen ließ es sich sorglos leben. Sein erstes Frühjahr in der Stadt glänzte mit blauem Himmel, blühenden Kastanienbäumen und einigen Zufallsbekanntschaften in den Straßencafés seines Kiezes. Materielle Sorgen lagen noch hinter einem frühlingshaften Horizont. Es hätte immer so weitergehen können, wenn sich nicht diese nomadische Unruhe eingestellt hätte. Schroeder kannte das. Kaum war er einigermaßen eingerichtet, befiel ihn, wie ein Heer kribbelnder Ameisen, erneute Unruhe. Der Anlass konnte nichtig sein: eine Reportage über Indien in der Wochenendausgabe der Zeitung, ein Roadmovie im Kino. Gründe genug, um sein Bündel zu schnüren, neuen Ufern entgegen.
Ihm wurde allmählich klar, er war dabei, seine frühere Leichtigkeit einzubüßen. Die Stadt und seine desolate Finanzlage bremsten ihn aus. Schroeder redete sich ein, zunächst einmal seinem Leben finanzielle Stabilität geben zu wollen. Eine innere Stimme flüsterte ihm zu: „such dir einen Job!“ Schließlich legte er sich einen neuen, mittelfristig gültigen Masterplan zurecht. Er begann, Stellenangebote in den Berliner Tageszeitungen zu lesen.
Zunächst wollte er sich einen Überblick über den Markt verschaffen. Er wusste nicht, nach welchem Job er Ausschau halten sollte. Wichtig war, es musste etwas mit freier Zeiteinteilung sein. Vor 25 Jahren hatte er zum letzten Mal eine feste Stellung gehabt. Von neun bis siebzehn Uhr. Mit Urlaub, Gehaltssteigerungen, Sozialabgaben. Er war Angestellter einer Werbeagentur gewesen und hatte einen Haarwasserhersteller, eine Fertiggerichte Firma und einen japanischen HiFi Produzenten in Fragen der Werbung beraten. Es war ein durch die Uhr bestimmtes Arbeitsleben gewesen. Nicht dass er darunter gelitten hätte, doch nun, 25 Jahre später, war er von den Freiheiten eines Freiberuflers verdorben, um sich abermals in eine starre Zeiteinteilung einengen zu lassen. Der neue Job durfte zwar regelmäßig, nicht aber in einem festen Zeitrahmen eingebunden sein.
Auf den ersten Anschein bot der Stellenmarkt der Zeitung Viel Versprechendes. Schroeder war zu neu im Jobsuche Geschäft, um sogleich die Spreu vom Weizen trennen zu können. Er konzentrierte sich auf die Rubriken Nebenverdienst, Sammelangebote und Marketing. Damals ahnte er noch nicht, dass er den Kreis erweitern würde, dass exotische Tätigkeitsgebiete wie Sicherheitsdienst Kaufhausdetektive, Kurierdienst und Heimarbeit in den Suchradius rücken würden.
Die Angebote der Rubrik „Nebenverdienst“ klangen verheißungsvoll. Da wurden Leute gesucht, die nichts weiter tun sollten als testen: Urlaub, Essen, Handy und Kosmetik. Dafür bot die Firma „Allestester“ bis zu 600 Euro! Man musste allerdings erst einmal 100 Euro Aufnahmegebühr zahlen. Außerdem, man suchte junge Leute. Die kannten sich besser mit elektronischen Medien aus, klar.
Jung musste auch sein, wer diese Jobs haben wollte: Ein Gruselkabinett suchte Studenten zum Leute erschrecken, und diverse callcenter hatten ihr Angebot für 30 jährige limitiert. Obwohl Schroeder fand, er habe eine astreine Telefonstimme. Einige Frauen in früheren Beziehungen waren jedenfalls dieser Meinung gewesen.
Da stieß Schroeder auf eine Anzeige, die ihn fettgedruckt fragte: Mit 40 schon zu alt? Weiter hieß es: Mit Arbeit von zu Hause aus 798 bis 6898 Euro und mehr möglich. Es folgte eine lange Telefonnummer mit unbekannter Vorwahl und die web Adresse www.erfolgsziel.de. Das war es! Selbst 798 Euro könnten ihn einen Schritt weiter in Richtung Unabhängigkeit von unwilligen Redaktionen bringen. Schroeder eilte zu seinem Laptop, tippte die Adresse ein und war überrascht.
Nach einigen einleitenden küchenphilosophischen Gedanken über ein Leben im Wohlstand, erschienen etwa ein Dutzend Fotos glücklich dreinschauender Menschen. Da war ein pensionierter Polizeibeamter, der nicht bereut hatte, diesen Weg gegangen zu sein. Eine Hausfrau berichtete, dass sie auf einem Schlag alle ihre Schulden habe bezahlen können, seit dem sie sich zu diesem Job entschieden hatte. Eine junge Kleinfamilie gab zu Protokoll, dass sie nun endlich genug Geld hätte, um sich ein Haus im Grünen bauen zu können. Und so ging es immer weiter, zufriedene, ja glückliche Menschen hatten den eingeschlagenen Weg nicht bereut. Und einen Haufen Geld verdient.
Um welchen Weg, um welche neue Möglichkeit Geld zu verdienen handelte es sich eigentlich? Das erfuhr man zunächst nicht. Schroeder las zwischen den Zeilen, dass er mit nur 1000 Euro Eigenkapital am Netmarketing teilnehmen könne. Also irgendwelche Kosmetik an den Mann bringen, zunächst in der Familie, der Tante und Cousine Hautcremes und Antifaltenwässer verkaufen, weitere Subvertreiber anwerben, aufsteigen zum Vertriebsassi, dann mit noch mehr Subunternehmern zum örtlichen Manager undsoweiter. Solange der Schneeball rollt. Er suchte Abstand von dem aufreibenden Studium schwachsinniger Angebote.
Stierkämpfer Luis
Schroeder schlenderte die Straße hinunter. In dem beliebten Kiez junger Mütter, junger Angestellter, noch jüngerer Arbeitsloser und älterer Studenten, passierte er die Reihe der Szene Straßencafés. Dort versammelten sich am späten Vormittag die Akteure. In Erwartung der großen Erleuchtung. Sie delektierten sich an den überteuerten und aromaschwachen Milchkaffees. Aufgeschlagene Tageszeitungen, und hier und dort auf dem Tisch verstreute Notizen ließen Arbeitsatmosphäre erkennen. Ebenso leuchtende Laptops. Lässig hin gestreute Zigarettenpackungen auf denen Feuerzeuge thronten. Handys gaben, mal popig leicht, mal sinfonienschwer, Signale von sich. Bücher, beiläufig platziert, waren unmöglich zu übersehen. Alles war auf Pose aus.
Das Lichte in diesen Cafés waren die Serviermädchen. Sie huschten mit ihren kleinen runden Hintern und einnehmenden Trinkgeldlächeln wie Schmetterlinge durch die Ödzone der Langweiler an den Tischen, sprachen „café macchiato“ korrekt aus und nahmen geduldig die Bestellungen entgegen. „Gutes Marketing“, dachte Schroeder, „die Wirte wissen warum sie solche Mädchen einstellen...“
Schroeder mochte diese Cafés nicht. Für ihn waren es Orte belanglosen Zeitvertreibs. Aus seiner Zeit im Süden war er an laute, lebendige Bars gewöhnt. Wo die Korken mit erlösendem Klang aus den Flaschen sprangen, wo ein Fernseher an der Wand plärrte, und wo man es normal fand, dem Gast die Flasche Wein vor die Nase zu setzen, damit dieser sich bei Bedarf selbst bedienen könne. Wo man nicht ständig gefragt wurde, ob’s noch was sein dürfe.
In seinem Viertel gab es keine Südflair Bars. Die Säuferkneipen mit den wulstig bäuchigen Typen, die ihre Hausschlüssel und Geldbörsen an dicken Ketten in den Gesäßtaschen trugen, kamen für ihn nicht infrage. Die Aufmachung dieser Kneipen, die vergilbten Gardinen, die unverhohlen animierenden Happy Hour Angebote und die Gartenzwergfiguren hinter dem Tresen stießen ihn ab. Dann gab es noch ein paar Italiener, kleine Läden für italienische Lebensmittel. Mit Bar. Die Gäste darin hingen allerdings so eng zusammen, dass Schroeder es nicht gewagt hätte in dieses Milieu unaufgefordert einzudringen.
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