1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Empört warf sich ihr Blick vom Professor auf Zink. »Natürlich habe ich jedes Wort auch so gemeint, wie ich es gesagt habe! Warum nehmen Sie sie in Schutz? Wollen Sie, dass eine lebende Fleischkugel aus ihr wird? Wie, frage ich Sie, soll sie dann noch wendig genug sein, wenn es darum geht, gegen Dämonen und all das Böse kämpfen zu müssen?« Sie fauchte die Freundin an: »Vielen Dank, Zink, dass du mich daran erinnert hast, dass ich tot bin. Ohne dich hätte ich das doch tatsächlich fast vergessen.« Sie stand auf, und verschwand bereits im nächsten Moment in einer der Gassen der Altstadt Paris’.
»Oh, oh, mir scheint, jetzt ist sie böse mit mir«, staksten die Worte verlegen über Zinks, vom Rotwein verfärbten Lippen. Etwas unbeholfen setzte sie zu einer Verteidigung an: »Was muss sie auch immer dermaßen taktlos sein.« Sie schaute an sich herunter. »Nun ja, ein paar Pfunde weniger, könnten mir tatsächlich nicht schaden. Werde mich morgen früh bei Evelyn entschuldigen.« Wenn ich ehrlich bin, habe ich ja schon einige Hosen, die zu kneifen anfangen.
»Ich finde Ihre Pölsterchen gar nicht dermaßen schlimm«, versuchte der Professor, Madame zu trösten.
Kopfschüttelnd sah Madame vom Professor zu den anderen. »Hätte sie deswegen gleich beleidigt davon rauschen müssen?«
»Geister, Madame, mögen es nicht besonders, an ihr Geisterdasein erinnert zu werden. Zu sehr fehlen ihnen die Freuden des Lebens«, erklärte er ihr.
»Sie kennen sich gut aus, Professor. Sind Sie denn schon so vielen Geistern in Ihrem Leben begegnet, um diese Aussage treffen zu können?« Quentin war müde. Außerdem ging ihm seine Großtante mit ihren Marotten immer mehr auf die Nerven. Es hätte ein schöner Abend, nach einem anstrengenden Tagesmarsch durch die Straßen Paris’, werden sollen, und nun das. Das stimmte auch ihn missmutig. Er hatte die Nase voll. Ihm reichte es. Er wollte nur noch eins: Zurück in die Pension und schlafen. Seine Füße taten ihm weh, und in seinem Kopf kündigten sich rasende Kopfschmerzen an.
»Quentin …«
»Nicht, Kim, lassen Sie es gut sein. Ich glaube, wir sind alle ein klein wenig gereizt, nach all den vielen Stunden Fußmarschs. Ich schlage vor, wir beenden hiermit den ersten Tag in Paris. Gestern Abend, unsere Ankunft, kann man aus meiner Sicht, nicht als unseren ersten Tag bezeichnen«, unterbrach sich der Professor, doch dann kam er auf seinen Vorschlag zurück. »Wie gesagt, wir sollten den heutigen Tag hier ausklingen lassen, und zurück zur Pension gehen. Morgen früh, wenn wir alle ausgeschlafen sind, und gemeinsam bei einer guten Tasse Kaffee zusammensitzen, sieht die Welt bereits wieder ganz anders aus. Und auch die derzeit erhitzten Gemüter werden bis dahin wieder zur Ruhe gekommen und abgekühlt sein.« Gräulich winkte der Kellnerin. Kurz danach bezahlte er die Rechnung und sie gingen zurück ins Le Petite, in der Hoffnung auf eine ruhige und geruhsame Nacht.
Madame Le Blanc begegneten sie an diesem Abend nicht mehr. Auch nicht Evelyn.
Gräulich stand vor dem Portrait Madames, welches er hatte rahmen lassen. Die Pfeife lag entzündet in seiner Hand. Pfeifenrauch legte sich um das Bildnis. »Dieser Straßenmaler, er hat sie schon sehr hässlich gemalt, unsere Madame«, stellte er für sich fest, und wandte sich Salvatore, mit dem er sich das Zimmer teilte, zu.
»Wenn er sie so gesehen hat …«
»Ich bitte Sie, Salvatore, wie kann er sie so gesehen haben? Worin soll die Ähnlichkeit zwischen diesem Portrait und Madame bestehen? In ihren Augenbrauen?«
Salvatore grinste. »Regen Sie sich doch nicht so auf, Professor. Es ist doch nichts weiter, als eine potthässliche Zeichnung. Nicht die Zeit wert, darüber nachzudenken, oder sich gar deswegen aufzuregen.« Salvatore Amore stand von seinem Bett auf, ging zum Professor. Neben ihm stehend, betrachtete auch er das Bildnis. »Grottenhässlich, wenn Sie mich fragen. Sie haben Recht, diese Zeichnung ist eine einzige Ohrfeige für Madame Zink. Doch nun ist es gezeichnet, und sie hat es gesehen. Daran ist nichts mehr zu ändern. Nehmen wir es einfach mit Humor, anders kann man dieses Bild sowieso nicht sehen, denn sonst würde einem das Würgen kommen. Doch nun, mein Bester, nehmen Sie es mir nicht übel, möchte ich eine Mütze Schlaf nehmen. Von mir aus können Sie das Licht anlassen, mich stört das nicht. Ich kann auch so schlafen.« Er ging zurück zum Bett und ließ sich hineinfallen.
Überrascht schaute der Professor ihm nach. »Ich dachte, Sie bräuchten keinen Schlaf. Sie, der Sie doch ein Astralwesen sind.«
»Vielleicht brauche ich ihn nicht, doch heute Abend ist mir danach, unbedingt schlafen zu müssen. Also, gute Nacht, Professor.« Salvatore gähnte herzerfrischend. Er drehte sich zur Wand und schlief bereits im nächsten Moment ein.
»So sehr ich ihn auch mag, aber mitunter ist er ein sehr eigenartiger Kauz«, murmelte Gräulich, während er sich wieder dem Bildnis Madames zuwandte. Kopfschüttelnd betrachtete er es. Besah jeden einzelnen Zeichenstrich ihrer Gesichtszüge. Der Straßenmaler hatte sie tatsächlich einfach nur hässlich gezeichnet, wie auch er zugeben musste.
Nach einer Weile löschte er das elektrische Licht, entzündete anstelle dessen eine Kerze, und setzte sich, Pfeife rauchend, in einen Sessel nahe dem Portrait.
Gräulich dachte über Zink, über die Zeit mit ihr und über die Erlebnisse der jüngsten Vergangenheit nach. Er sah das gemeine Gesicht Valenco da Rigas ebenso lebensecht vor sich, wie den lodernden Wahnsinn in den Augen Polo Plogidas.
Mein Gott, was hatten sie bereits alles erlebt, seit Evelyn li Nola verstorben war, und ihrem Großneffen, Quentin Sommerwein, die Villa Punto vererbt hatte.
Wie viele dieser Abenteuer, dieser Gefahren, würden noch auf sie zukommen?
Und was erwartete sie hier in Paris?
Weshalb hatte er dieses ungute Gefühl, Frankreich betreffend, gehabt? Damals, als sie nur knapp Shadowisland entkommen waren.
Seinen Gedanken nachhängend, fielen Gräulich die Augen zu. Die Brille rutschte ihm von der Nase, seine Pfeife qualmte im Aschenbecher still vor sich hin, während aus Salvatores Bett lautes Schnarchen zu hören war.
Die Glocken St. Claires schlugen Mitternacht, als der Professor erwachte.
Das Licht der Kerze zitterte, warf den Schatten des Professors, in gespenstigem Licht, an die Wand.
Gräulich erhob sich langsam aus dem Sessel. Er wollte hinaus auf den Balkon, wollte die Nachtluft Paris’ einatmen, dabei den Duft seiner Pfeife um seine Nase wehen lassen. Doch als er zu Madames Bildnis sah, wusste er, dass daraus nichts werden würde, sondern, dass er sich einem Phänomen widmen musste, das sich soeben direkt vor seinen Augen zutrug.
Und während er das Geschehen beäugte, welches sich dicht vor ihm abspielte, fiel ihm Oscar Wilde s Roman Das Bildnis des Dorian Gray ein. Jenen Roman, der 1890/91 veröffentlicht wurde.
In Madames Bildnis kam Leben. Ihre Gesichtszüge veränderten sich. Ähnelten immer mehr ihr selbst. Zerflossen ineinander, bis Gräulich am Ende glaubte, der wirklichen Madame Zink ins Gesicht zu sehen.
»Was, um alles in der Welt, geht hier vor? Wie kann es sein, dass ein Bild zu leben anfängt? Welche teuflischen Mächte haben hierbei ihre Finger im Spiel?« Hastig schielte Gräulich zu Salvatore hin. Doch der ergötzte sich eines tiefen und festen Schlafes. Alle Versuche Gräulichs, ihn wachzubekommen, scheiterten kläglich.
Als er sich wieder dem Portrait Madames zuwandte, war der Spuk zu Ende. Nichts erinnerte weiter an eine Ähnlichkeit mit Zink, noch sah es weiterhin aus, als würde sie ihm von diesem entgegenblicken.
Auch in dieser Nacht erwachte Kim schweißgebadet.
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