„Wenn Sie`s nicht vorher zu Schrott gefahren haben, mein Lieber.“
„Das war doch nur letztes Mal. Ein Mal. Und da hatte ich keine Promille.“
„Ach, ja, welch ein Zufall!
Aber wenn Sie also die ehrliche Umweltbilanz aufmachen, in der Sie den Material- und Energieverbrauch bei der Erzeugung der Autos berücksichtigen, dann bin ich mit meinem 38 Jahre alten Polo einer der umweltschonendsten Autofahrer der Nation. Dieser Polo ist mein erstes und einziges Auto bisher. Mein Vater hatte einen Borgward Isabella, wenn Ihnen das etwas sagt, bis zum Ende seines Lebens gefahren. Das war vor neun Jahren.“
„Borgward, die haben doch längst Pleite gemacht. Doch Borgward hin und Polo her. Nur mein Kreuz schont er nicht, ihr alter Polo. Da wäre wohl sogar der Borgward bequemer gewesen. Wenn Sie eine ehrliche Sozialbilanz aufmachen, in der Sie die Kosten für die Behandlung der Haltungsschäden Ihrer Mitfahrer berücksichtigen, dann ist dieser 38 Jahre alte Polo die sozialschädlichste Kiste der Nation.“
„Sie sind eben zu groß und zu steif, Herr Fitzroy. Sie sind nicht genug anpassungsfähig. Sie müssen etwas gelenkiger und flexibler werden.“
„Das sagt der Richtige, der konservative Sportmuffel.“
*
Nach weiteren gegenseitigen Frotzeleien waren sie endlich in der Uni angekommen und Professor Hicks begann mit seiner Vorlesung.
„Letztes Mal hatte ich Ihnen Einsteins Idee des gekrümmten Raums vorgestellt. Aus ihr folgt zum Beispiel die Existenz der schwarzen Löcher, die auch tatsächlich nachgewiesen werden konnten. Manche Physiker behaupten sogar, dass es solch skurrile Gebilde wie Wurmlöcher gäbe und sprechen auch von Zwillingswelten und andere Merkwürdigkeiten. Sie werden nun fragen, wie diese Physiker ernsthaft auf solche Theorien kommen. Nun, sie leiten es aus den berühmten Einsteinschen Feldgleichungen ab. Das klingt allerdings nach höherer Mathematik. Und da werden viele von Ihnen gleich das Genick einziehen.
„Mathe ist Scheiße und Physik sein Bruder“, so las ich es bei einem Jugendlichen auf seinem T-Shirt auf Gran Canaria. Ich finde diesen Sponti-Spruch nicht nur originell, sondern auch bemerkenswert. Er sollte uns Naturwissenschaftler und Mathematiker auch zum Nachdenken darüber veranlassen, was man gegen diese „Scheiße“, wenn ich das einmal so zitieren darf, tun kann.“
„Nicht reintreten!“ bemerkte der Student Sparlinek und erntete abermals einen allgemeinen Lacherfolg, selbst bei Professor Hicks, obwohl er sich schon durch den zänkischen Disput mit Dr. Fitzroy über seinen Polo genervt fühlte, von dem er normalerweise diese albernen und infantilen Sprüche zu hören bekam. Doch getreu seines Mottos: „Jeder Angriff geht ins Leere“, setzte er mit seinen Ausführungen nahtlos fort.
„Viele Mathematiker und Naturwissenschaftler sind wirklich nur Zahlenknechte und Messdiener. Mit Messdiener meine ich natürlich nicht den Diener des Pfarrers, den Messner, der ihm den Weihwasserkessel nachträgt, sondern den Naturwissenschaftler, der mit der Messlatte durch die Gegend läuft. Doch auch dieser wird wie der mathematische Zahlenknecht bei jeder technischen Neuentwicklung benötigt.
Die Mathematik ist jedoch nicht nur reine Zahlenspielerei, sie leistet auch mehr als nur die Umstellung von Termen und die Lösung von Gleichungen, wie dies hauptsächlich in den Schulen geschieht. Sie beschreibt uns auch die logischen Prinzipe nach denen die Welt und unser Leben abläuft und die wir teils unbewusst und aus Erfahrung heraus automatisch auch im Alltag ständig anwenden, um Entscheidungen zu treffen und Probleme zu lösen. Dazu möchte ich Ihnen ein nettes Beispiel für logisches Denken im Alltag schildern.
In seinem Buch „In achtzig Tagen um die Welt“ schildert der Autor Helge Timmerberg, wie er in Indien einen Guru besuchte und ihn um teuren Rat bat. Er sollte ihm den weiteren Weg seiner Reise um die Welt weisen, da er sich nicht zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden konnte. Daraufhin empfahl ihm der Guru, den Wurf einer Münze entscheiden zu lassen, mit der Begründung, dass beide Möglichkeiten für ihn wohl gleichwertig seien und dass es folglich egal sei, für welche er sich entscheide. Lässt er also den Wurf der Münze entscheiden, dann verliere er nichts. Könnte er sich dagegen nicht entscheiden, dann verliere er auf alle Fälle etwas. Das ist zweifelsfrei logisch und richtig.
Hätte aber Helge Timmerberg seinen eigenen Verstand etwas stärker genutzt, dann hätte er dies billiger haben können.
Aber mir scheint es, dass sich viele Menschen davor genieren, ihren eigenen Verstand zu benutzen. Sie lassen lieber für sich denken, im Glauben, dass andere das für sie besser könnten. Doch diese anderen denken, wie jeder Mensch, an sich selbst zuerst. Und in diesem Sinne, ließ sich der Guru für seinen Rat fürstlich entlohnen, denn die Tugend des materiellen Verzichts galt wohl nur für seine Schüler nicht für ihn selbst.
Wenn Sie nun von den berühmten Einsteinschen Feldgleichungen hören, dann werden Sie auch meinen, dass das nur eine Sache für ganz kluge Spezialisten ist. Das ist richtig, denn diese Gleichungen besitzen sehr komplizierte Lösungswege, die oft im Chaos enden. Es ist also dabei die Kunst, die Lösungen herauszufinden, die zu einem sinnvollen Ergebnis führen. Das überlassen wir also den mathematischen Grüblern.
Wir beschäftigen uns hier lieber mit dem Erkennen der strukturellen Prinzipien der Welt, insbesondere mit jenen, die sich in ähnlicher Form bei allen Erscheinungen der Welt zeigen, also ganz im Sinne meines Instituts für interdisziplinäre Forschung.“
„Bravo!“, entfuhr es dem Studenten Sparlinek, der damit wieder rundum einen Lacherfolg erzielte und dem Professor Hicks spontan konterte: „Wir sind hier nicht im Theater und noch nicht am Ende, falls dies schon Ihre Beifallsäußerung für meine Vorstellung hier gewesen sein soll, Herr Kommilitone.“ Dann fuhr er unversehens mit seinem Vortrag fort.
„Aus diesem Blickwinkel betrachtet, beschreiben Einsteins Gravitationsgleichungen nur die kosmischen Strukturen der Welt.
Doch wir wollen uns darüber hinaus auch ein Bild von der Entwicklung der vielfältigen Dinge in dieser Welt machen.
Da zeigen sich jedoch die Grenzen von Einsteins Kosmologie. Um das zu verstehen unternehmen wir in der nächsten Vorlesung einen Ausflug in die Evolutionsgeschichte der Lebewesen im Rahmen der Biologie.
*
Dieses Mal musste Professor Hicks in seinem Polo auf Dr. Fitzroy warten, da dieser sich mit der rassigen Mexikanerin mit den schulterlangen schwarzen Haaren und den mandelförmigen dunklen Augen unterhalten hatte. In ihren Adern schien etwas indianisches Blut zu fließen, was Dr. Fitzroy sichtlich in Wallung brachte.
Die Mexikanerin, Carmen Gonzales, war ihm schon seit der ersten Vorlesung angenehm aufgefallen und es musste andererseits ihr aufgefallen sein, dass sein etwas wilder Blick häufig an ihr hängen blieb. Während Dr. Fitzroy sofort an ihrem Äußeren Feuer fing, war aber Carmen Gonzales lediglich an ihrer universitären Karriere interessiert, als sie ihm unumwunden zu einem Date zusagte.
Mit Flausen im Kopf und Schmetterlingen im Bauch hastete
Dr. Fitzroy zu seinem schon unruhig gewordenen, wartenden Chef, der schon mit laufendem Motor bereit stand.
„Entschuldigen Sie. Ich hatte da noch eine interessante Diskussion mit einer Studentin“.
„So, so, Herr Fitzroy“, meinte Professor Hicks, „bestimmt wollen Sie ihr noch Ihren Quantencomputer vorführen. Ich nehme an in Ihrem
Privatappartement.“
„Besser als die Briefmarkensammlung, die Sie vielleicht früher gezeigt haben oder hätten, wenn überhaupt.
Glauben Sie mir, Herr Hicks, Ich bin echt überrascht wie die Girls da an Ihrer Vorlesung interessiert sind. Und das ausgerechnet bei Ihnen.“
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