Dann das Geld. Besser: Die Abwesenheit des Geldes in diesem Kunstwerk: das Tun ohne Bezahlung, to do even there is no payment. Praktisch undenkbar in meiner Rolle als Vorstandsfrau. Unser Gott ist das Geld, der unendliche Fluss des Geldes für unsere Aktionäre, für die Aufsichtsräte, die Vorstände und damit für mich. Wenn das Geld dabei abstrakt ist, umso besser. Die Zahlen müssen größer werden.
Also, sagt mein Künstler Song Dong: Tu nichts! In seinen Worten: It is improvident to undo it. But to do it is free. Even if free, it should be done.
Also, sage ich: Wenn ich jetzt etwas tue, mache ich das umsonst. Nein, nicht umsonst. Sondern ohne Bezahlung. Das macht mich frei.
Der Künstler Song Dong hat in der Karlsaue einen sechs Meter hohen Berg aus Müll aufschütten lassen. Schicht um Schicht ist aus Schutt und organischen Abfällen aufgehäuft, mit Gras und Blumen überwachsen und mit Neonschrift versehen, auf denen die Wörter »Doing« und »Nothing« zu lesen sind.
Laut Begleitbuch der dOCUMENTA (13) »ein seltsames Denkmal für die Zivilisation – ein künstlicher Bonsai-Berg in einer Kunstlandschaft (..) ein in sich lebendiger Organismus (der beweist), dass im richtigen Kontext sogar das Nichtstun schöpferische Wirkung entfalten kann.«
In der Reihe »100 Notizen – 100 Gedanken« erscheint mit der Nummer 084 im Hatje Cantz Verlag auch ein text von Song Dong, den Isabelle Hüter hier zitiert.
Sabine Neumann: Einfach Klasse Frau Hüter, muss man eigentlich Eintritt zahlen in Ihren Hügel?
Ina Sauer : Um richtig fett nichts zu tun, kann ich auch in New York oder Kapstadt bleiben.
Esther Kalveram : Oder auf dem Stück Erde, das mir gehört: Also meinem Nichts. Tun. Garten. Zu wissen, dass man so was hat, hält aufrecht beim TUN.
Klaus Weltermann : Das Nichts Tun gelingt mir fast überall ;-)
Esther Kalveram : Hm . Ich hatte Recht, im Hügel schläft eine Prinzessin.
Manfred Zalfen : Großartig, die Erlebnisse von »Isabelle Hüter«. Ich freue mich schon auf die nächsten Neuigkeiten. Vielleicht kann man einige wenige Blümchen auf ihren Hügel pflanzen- dann sieht es etwas netter aus.
Jumbo Guesthouse : Ich bin auch schon ein Fan von ihr.
Sabine Neumann : Frau Hüter ist die heimliche Hüterin der documenta, eine echte Insiderin eben.
Es kotzt mich an
27. Mai | Ganz ehrlich: Es kotzt mich an! Mein Leben vorher, mein Leben jetzt. Ich bin im Business eine so genannte »Power-Frau«, wie es so schön in der FAS stand (ja, ich lese hier auch, aber mit viel Verzögerung, ich ertrage das Aktuelle im Moment einfach nicht). Ich werde in den Papierkörben des Parks fündig.
»Ich bin nicht ausgestiegen, ich mache nur eine Auszeit.« Das ist mein Mantra der letzten Wochen, aber es klingt nicht wie eins. Ich glaube selbst nicht mehr daran, zurück zu gehen. Wohin zurück denn? In die Welt der Hosenanzüge und Kostüme? In die Konkurrenz mit den anderen Powerfrauen?
Ich sehne mich so sehr nach Geborgenheit, nach Zugehörigkeit, dass es mir schon peinlich ist. Gut, dass ich das hier nicht öffentlich schreiben muss und AK das macht. Ich könnte es nicht. Ich würde mich in Grund und Boden schämen. Ich weiß übrigens auch nicht, ob AK das wirklich in seinen Blog schreibt, denn ich verzichte auf alle Medien.
Ist auch gut so, dass ich AK nicht persönlich treffen muss. Er könnte mich ja etwas fragen. Der reinste Horror wäre das.
Esther Kalveram : Schickt bitte mal jemand einen Gesprächstherapeuten in den Hügel?
Miriam Schönauer-Seidel : Sie braucht keinen Gesprächstherapeuten. Sie braucht das, was sie schreibt. Geborgenheit und Zugehörigkeit. Ich lebe im Hier inkl. tun und stelle mir jeden Tag dieselben Fragen. Also ist es prinzipiell egal, ob im oder auf dem Hügel. Wir können nur unsere Einstellungen, Wünsche und Ziele ändern, neu festlegen. Und die Frage ist eben: Wollen wir das??? ich versteh Sie! ;-)
Klaus Weltermann : Da ist was anderes als ein Gesprächstherapeut von Nöten !
Esther Kalveram : So ganz Nichts. Tun. Inside ist das ja auch nicht. Nachdenken. Über sich. Inside. würde es ebenso treffen wie sich sehnen. Nach Veränderung. Inside. Aber dazu muss man eben rauskommen :-) Geborgenheit und Zugehörigkeit ist Interaktion und nicht Isolation. Wenn also jemand in einem Hügel sitzt und sich so sehr nach Geborgenheit sehnt und ihm das peinlich ist, dann braucht er nach meiner landläufigen Meinung Hilfe. Da eben niemand ein Hügel ist und auch niemand eine Insel. Seufz, aber vielleicht habe ich auch zu viel Simmel gelesen :-)
Die Regie meines eigenen Lebens
30. Mai | Natürlich spüre ich, dass die Eröffnung der documenta näher rückt. Elektrizität ist in der Luft, um mich herum wird hart daran gearbeitet, die Kunst für das Publikum fertig zu stellen. Mit mir wird nicht gearbeitet, ich bin ja schon fertig.
»Vollkommen fertig« würde ich zu mir selbst sagen. Fertig von all den Erwartungen, die ich in den letzten fast fünfzig Jahren erfüllen musste: Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Freund, Ehemann, Kollegen, Mitarbeiter, Vorstandsfeinde, Aktionäre, Pressesprecher. Der Künstler meines Erdhügels, Song Dong, zählt nicht dazu. Er bitte mich um nichts, ist sehr zufrieden über das, was ich hier tue. Oder gerade eben nicht tue. Ich scheine seinem Ideal sehr nahe zu kommen.
Jetzt beobachte ich einen Wurm: Er läuft immer geradeaus. Jetzt kommt er an die Tischkante. Sein Oberkörper beugt sich über diese Kante, weicht zurück, beugt sich wieder vor. Dann läuft er kopfüber unter dem Tisch weiter. Ich schaue nach unten und schubse ihn versehentlich von der Unterseite weg. Er liegt auf dem Boden, bewegt sich nicht, fast wie benommen. Jetzt bewegt er sich, läuft weiter, beschreibt einen leichten Bogen. Rechts neben ihm ein anderer Wurm. Nimmt er ihn wahr? Nein, er biegt ab, der andere Wurm auch. Würmer neigen nicht zur direkten Kommunikation mittels Annäherung.
Dieser Wurm sagt mir eigentlich alles über mein Leben. Ich bin immer sehr straight gelaufen in meiner Karriere. Auch kopfüber. Wenn ich unten lag, habe ich mich geschüttelt und bin weiter gelaufen. Die Anderen neben mir haben mich nicht interessiert. Es ging mir nur um mich.
Am liebsten würde ich ihn zertreten, diesen Wurm, wie mein eigenes, altes Leben zertreten. Doch jetzt bewegt sich sein Kopf ein bisschen nach oben, zu mir hoch. Fast, also wolle er zu mir sprechen, mich bitten, ihn am Leben zu lassen. Ja, ich lasse dich leben. Als ich wieder nach unten schaue, ist er verschwunden.
Verschwindet mein altes Leben, wenn ich nicht mehr nach unten schaue? Wenn ich es am Leben lasse? Fast scheint es mir so. Ist ein Wurm als Metapher überhaupt geeignet? Ist das nicht kindisch für eine Chief Human Resources Officer?
Seit Ende Mai produziert Isabelle Hüter immer mehr Texte in kürzerer Folge. Ich entscheide mich, alle zwei Tage zu unserem Briefkasten zu gehen und nach Neuigkeiten zu schauen.
Kurz vor Eröffnung der dOCUMENTA (13) verrät - und das ist sehr untypisch für eine documenta - die künstlerische Leiterin Carolyn Christov-Barkagiev einige Namen und Kunstwerke auf dem Friedrichsplatz und in der Karlsaue. Auch der »doing-nothing-garden« von Song Dong ist darunter.
In den Medien kursiert der, im Nachhinein falsche, »do-nothing-garden« als Titel des Erdhügels.
Dankbarkeit auf chinesisch
31. Mai | Ich bin dem Künstler Song Dong sehr dankbar und habe deshalb AK gebeten, meinen Dank für ihn ins Chinesische zu übersetzen. Ich weiß, dass sich Song Dong mit Übersetzungen beschäftigt und glaube, ich mache ihm damit eine Freude.
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