Das schwarze Etwas war ihnen gefolgt, es hatte riesige Flossen, mit denen es an den Strand watschelte, eine Harpune in der einen Hand und in der anderen das rote Tuch. Dann zog es seine Taucherbrille ab, schüttelte sein kinnlanges Haar und entschuldigte sich, da sein plötzliches Auftauchen offensichtlich der Auslöser für die Panik des Mannes gewesen sei. Luz del Mar lachte. Ein entzückendes Lachen. Der Taucher überreichte ihr das Tuch mit einer übertriebenen Verbeugung.
Karl war sauer. Es gab tausende Kilometer Strand an dieser Küste, wahrlich genug Platz, wo dieser Mann aus dem Wasser hätte steigen können. Musste es unbedingt vor seiner Nase sein. Dazu stand ihm das Bild eines Traummannes gegenüber. Ein Adonis, Herkules und Odysseus in einer Person. Eine fesche Strähne fiel in sein schönes, ausdrucksvolles Gesicht. Braungebrannt und voller Abenteuerlust und Stärke, furchtlos aus dem Hai verseuchten Meer entstiegen.
Karl fühlte sich wie ein leer geschüttelter Mehlsack. Diese Muskeln von dem Kerl, das musste nicht sein und diese lange Mähne. Ein Spät-Hippie, versuchte Karl abfällig zu denken. Adonis stellte sich vor, er hieß Marlon Krüger und war Deutscher. Auch das noch, dachte Karl schlechtgelaunt und bemerkte, dass Luz del Mar und dieser Marlon eine sekundenschnelle Augenverbindung miteinander aufgenommen hatten. Das missfiel ihm gewaltig. Sie gaben sich die Hand und eine Freundschaft schien besiegelt. Karl sah seine Felle davonschwimmen.
Natürlich sprach Marlon spanisch, natürlich sprach er besser spanisch als Karl, und natürlich ging er neben Luz vor ihm her, als seien diese beiden gemeinsam an den Strand gefahren, und Karl, der Fremde, trottete hinterher. Karl hatte sich, seit er in den Strudel des Selbstbetrachtungskultes geraten war, das Recht erteilt, zu den attraktiven Männern dieser Welt zu gehören. Schon alleine durch seine Körpergröße. Attraktiv und gutaussehend, fand er sich. Auch wenn er sich genauer besehen, nur knapp der mittleren Kerbe dieser unzuverlässigen Skala näherte. In Gegenwart dieses Tauchers schrumpfte die Selbsteinschätzung seines Äußeren in die Kategorie einer Kellerassel. Klein, grau und flüchtend.
Dieser Mann sah umwerfend aus, er bewegte sich umwerfend, lachte umwerfend, sprach mit einer umwerfend schönen Stimme. Ekelerregend umwerfend, fand Karl, und hinter seinem mit Intelligenz gepaartem Charme, lauerte eine Einzigartigkeit, die jede Frau zu Fall bringen musste. Luz del Mars Lächeln flatterte ihm ohne Zögern entgegen. Weit hinaus aus Karls Reichweite. Er lauschte unwillig dem Gespräch der Beiden. Dieser Mann schwappte wie eine gewaltige, sanft und gewinnend auftretende Übermacht in Karls Träume. Karl kapitulierte, bevor er auch nur einen einzigen Satz mit Marlon gewechselt hatte. Der hatte die Führung übergangslos übernommen. Luz schien ohne Zweifel gewillt zu sein, ihm zu folgen, egal wie lange er noch über den glutheißen Sand gegen die Heißluftböen anschreiten würde. Ja, er schritt, während sie ihn anmutig tänzelnd begleitete.
Karl hüpfte dagegen wie eine Bachstelze hinter den beiden her, seine Fußsohlen brannten, er fühlte sich klebrig und ausgetrocknet. Es sammelten sich nur wenige Tropfen Spucke unter seiner Zunge und die waren salzig. Salzig und verdorrt, wie ein Stockfisch an einem Haken auf dem Marktstand, aufgespießt. So fühlte sich Karl, während ihr bezauberndes Lachen vor ihm her gluckste. Hinter einem struppigen Buschwerk hatte dieser aufgeblasene Taucher seinen Rucksack liegen, dort hielt er endlich an. Wie kann man nur so einfältig sein, hier zu tauchen, keine Felsen, alles flach und langweilig. Karl versuchte verzweifelt diesen Mann abzuwerten.
Neben dem Rucksack lagen einige Aluminiumstangen und eine eingerollte Plane mit Schlaufen, als Schattenspender und Windschutz zugeschnitten. Während dieser Marlon mit Luz del Mar plauderte, sah er sie beinahe ununterbrochen an. Er baute den Schattenspender sozusagen blind auf, mit links. Er rammte die Metallstangen sehr tief in den Sand, als seien es Stricknadeln und hatte in wenigen Minuten, in der dem Wind abgewandten Seite, einen schattigen Ruheplatz gebastelt.
Luz del Mar zog ihr noch feuchtes T-Shirt aus und setzte sich zu dem wildfremden Mann in den Schatten. Sie lächelte zu Karl, der noch stand, hinauf und schlug leicht mit der flachen Hand neben sich. Karl plumpste wie ein gehorsamer Köter neben sie und schwieg. Dann rauschte aus der Ferne seine Rettung heran.
Zuerst sah man nur eine ungeheure Staubwolke und wenige Minuten später ihren Verursacher. Ein schnell fahrendes Auto zog dieses breite Staubband hinter sich her und stoppte oberhalb des Schattenplatzes auf dem Weg. Eine junge, sehr attraktive Frau stieg aus, winkte, lachte, kam mit einem Kleinkind auf dem Arm durch den heißen Sand balanciert und schlüpfte unter das Schattendach. Der Deutsche stellte seine Familie vor, Helen seine Frau und Regina das Kind. Karl atmete auf und begann sich am Gespräch zu beteiligen. Luz del Mar hatte sich inzwischen beide Fußrücken verbrannt, was alle Anwesenden, bei einer Peruanerin, für sehr ungewöhnlich hielten.
Deine Melanin Produktion stimmt nicht, sagte die Frau in gebrochenem Spanisch und reichte ihr eine Creme, die man bei Sonnenschäden auftragen sollte. Karl riss ihr eilig die Tube aus der Hand und salbte hingebungsvoll und vorsichtig die geröteten Fußrücken seiner Angebeteten ein. So kam er in etwa auf seine Kosten. Sie ließ ihn gewähren. Karl war ihr vertraut und sie wollte ihn, mit der Abweisung ihre Füße zu berühren, vor den Anderen nicht bloßstellen. Marlon holte einen Korb, gefüllt mit Schlemmereien, die seine Frau, nachdem sie ihn hier vor etwa zwei Stunden abgesetzt hatte, in der Stadt besorgt hatte. Er schaffte einen mit der Autobatterie betriebenen Kühlkasten heran und zauberte kalte Getränke hervor, Früchte, Snacks und eine Flasche mit kaltem Kakao gefüllt. Keine gegrillten Meeresfrüchte. Niemand sehnte sich nach einem Grillfeuer. Auch Karl nicht mehr.
Er hatte gehofft ein Hotel zu benötigen, vielleicht mit Luz del Mar in den Sonntag hinein zu feiern, um das Wiedersehen zu zelebrieren. Ein kurzer Traumgedanke. Seine Kraft und Wünsche gingen unter, sie versanken unter dem Charme dieser beiden Menschen, mit denen Luz del Mar, seine schüchterne kleine Luz, sich so offen und unkompliziert unterhielt.
Eine halbe Stunde nach dem Kennenlernen des Tauchers stellte sich heraus, dass er kein Filmschauspieler war, sondern Lehrer. Im Auftrag einer deutschen Firma leitete er eine Schule für Kinder in einem Bau-Camp. Ein Staudamm-Projekt, knapp zwei Stunden von hier entfernt, am Jeque de Peque, sagte der Lehrer fröhlich.
Nach dem ersten Erstaunen wurde die Frage laut, warum man sich nicht schon früher begegnet war. Karl meinte, dass kinderlose Junggesellen die Lehrer einer örtlichen Schule meist nicht zu Gesicht bekommen. Das hatte er in Spanisch gesagt.
Damit lade ich Sie herzlich ein, an meinem Spanisch Kurs für Erwachsene teilzunehmen, nach langem Hin und Her von der Camp-Leitung, genehmigt, meinte Marlon an Karl gewandt. Ich hoffe, Sie bringen die Zeit dafür auf.
Warum wurde Luz del Mar von dem Kerl geduzt und ihn, Karl, sprach er mit Sie an. In Deutsch. Außerdem missfiel Karl der plumpe Hinweis auf seine mangelhafte Grammatik im Spanischen, das war unsensibel, äußerst unpassend. Karl tat sich schwer mit den verschiedenen Vergangenheiten, aber das war sein eigenes Problem und nicht das eines Wildfremden. Besonders mit dem Subjunktiv lag er im Streit.
Marlon meldete sich zu Wort. Man hat gestern nicht, keine Kartoffeln gegessen, sondern man aß sie gestern nicht. Heute hat man keine gegessen und morgen würde man sie nicht, nicht gegessen haben, sondern, dass man sie nicht äße, sei gewiss. Was fiel dem Taucher ein, hier den Boss zu spielen.
Karl überhörte lächelnd das Angebot der Sprachhilfe und antwortete, den Lehrer nicht eher kennengelernt zu haben, würde er verkraften, aber dass er diese bezaubernde Frau nicht früher zu Gesicht bekommen habe, das bedaure er zutiefst. Er wies schmunzelnd auf die Gattin des Lehrers.
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