Hans Bahmer
Vier Jahre Türkei
Beobachtungen
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Inhaltsverzeichnis
Titel Hans Bahmer Vier Jahre Türkei Beobachtungen Dieses eBook wurde erstellt bei
VORWORT
NOAHS BERG
EIN BESUCH IM HAMAM
EIN SCHNITT ALS EINSCHNITT INS LEBEN
WIE ZU NEROS ZEITEN
EIN BAUM LIEFERT ZAHNBÜRSTEN
AUGEN GEGEN DEN BÖSEN BLICK
RAUCHEN MIT DER BLUMENVASE
PALÄSTE FÜR VÖGEL
OPFER- UND SCHLACHTFEST
DIE LETZTEN IHRER ART
EIN HANDWERK VERÄNDERT DIE WELT
EIN KÄFER FÜR DIE LIEBE
SEIDENE LEICHENHEMDEN LIEFERN ROHSTOFF FÜR VERFÜHRERISCHE DESSOUS
BRÜCKE DES RUNDBLICKS UND DER HÄNDLER
DER ERCIYES - EIN ANATOLISCHER VULKAN
FAULER ZAUBER MIT ALTER ZAUBERPFLANZE
WEISSER SCHAUM AUS DUNKLER ERDE
VON DER ARBEIT AUF DER SEIDENHARFE
NACH GOLDE DRÄNGT, AM GOLDE HÄNGT DOCH ALLES
BOOTSFAHRT AUF EINEM SALZWASSERFLUSS
DIE GAR NICHT MIESE MIESMUSCHEL
WER MIT DEM BAUCH TANZT
EIN HAUCH VON MÄNNERSCHWEISS
TAUCHEN NACH SCHWAMMERLN
DIE BLUME AUS DEM PARADIES
ENDSTATION FRIEDHOF?
EINMAL SINGEN, TANZEN, SCHNEIDEN
DER KAMPF DER EINGEÖLTEN LEIBER
EINMAL SCHLAFEN WIE MATA HARI ODER INGE MEYSEL
DER SCHWIMMKATZE AUF DER SPUR
ZU HAUS BEIM NIKOLAUS
EINE KIRCHE, DIE ROSTET
DAS GOLDENE HORN UND DIE SÜSSEN WASSER EUROPAS
Impressum
VORWORT
Im Sommer 1977 betrat ich zum ersten Mal türkischen Boden und zwar im Sirkeci-Bahnhof in Istanbul. Ich reiste mit der Eisenbahn über Wien, Budapest, Belgrad, Sofia, Edirne nach Istanbul. Im Jahr darauf war ich schon wieder da. Wieder mit dem Zug, dermich bei dieser Reise bis nach Bagdad brachte. Mein nächster Besuch in der Türkei fand erst im Winter 1992 statt. Die ersten vierzehn Tage in der Stadt Istanbul, in der ich dann vom Sommer 1996 bis zum Sommer 2000 wohnte und arbeitete.
Während dieses letzten Aufenthaltes brachte ich etwa 40000 Kilometer mit dem Auto hinter mich, wanderte die beiden Bosporusufer ab und ging zu Fuß von der Bosporusmündung an der Küste des Schwarzen Meeres entlang bis zur türkisch-bulgarischen Grenze und wieder zurück. Mein nordwestlichster Punkt war Edirne, die georgische Grenze mein nordöstlichstes Reiseziel. Im Westen kam ich bis nach Assos, im Süden bis nach Kilis an der syrischen Grenze, und im Südosten war die Reise in Cizre zu Ende. In der Höhe schaffte ich es mit der Besteigung des Ararat bis auf 5165 Meter, und in einer Meerschaumgrube drang ich bis in zehn Meter Tiefe in das türkische Territorium ein. Zum Schrecken vieler war ich nicht nur im Schwarzen Meer, sondern auch im Bosporus und Marmarameer schwimmen. Ich habe gefüllte Miesmuscheln, frittierte Miesmuscheln, kaltes Lammhirn, legendäres Kokoreç, gebratene Leber, Widderhoden, Schafskopf und Kutteln in allen Variationen gegessen. Wobei die Kutteln nach dem Propheten „die Königin der Mahlzeiten“ sein sollen. Alles hat mir immer ausgezeichnet geschmeckt und ist mir gut bekommen. So viel zur Statistik meines Aufenthaltes.
Trotzdem muss ich erkennen, noch wenig von der Türkei gesehen zu haben, zumindest von dem, was man unter den klassischen Sehenswürdigkeiten versteht. Ich habe mich jetzt weniger mit ionischen oder korinthischen Säulen beschäftigt, die aus Trümmerfeldern der Vergangenheit herausragen, sondern eher mit der Gegenwartskultur, wie sie sich zum Beispiel in den Schornsteinaufsätzen der verschiedenen Gegenden niedergeschlagen hat. Wem aufgefallen ist, dass diese Gebilde kleinen, kunstvollen Skulpturen gleichen und sich teilweise noch von Landstrich zu Landstrich unterscheiden, wird vielleicht auch an meinen „Beobachtungen am Rande“ Gefallen finden.
Zwar ergaben sich meine Themen meist durch Zufall. War ich aber erst einmal darüber gestolpert, beschäftigte ich mich schon intensiv damit. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen, die mir bereitwillig mit Informationen geholfen und mir ihre Arbeit erklärt haben, ganz herzlich bedanken.
Seit meinem Betreten des Bahnhofsvorplatzes in Istanbul im Jahre 1977 bis heute hat sich ein ungeheurer Wandel auf allen Gebieten vollzogen. Sicher ein nicht aufzuhaltender Prozess und wichtiger Gewinn für die moderne Türkei, der aber mit einem Verlust an orientalischer Atmosphäre einhergeht. So werden vielleicht viele der noch von mir gemachten Beobachtungen bald der Vergangenheit angehören und das Land Türkei Burger King Restaurant ersetzt und die Stadt Istanbul sich von anderen Regionen immer weniger unterscheiden. Meine Garküche jedenfalls wurde bereits durch ein. Wenn man eines Tages feststellt, dass es kein Kokoreç mehr gibt, ist es bereits schon zu spät!
NOAHS BERG
Als ich den schneebedeckten Ararat zum ersten Mal sah, war es Mai und die weiße Pracht bedeckte die Berghänge noch weit bis in das Tal hinab. Der isoliert herumstehende Berg im Osten der Türkei erinnerte unter der Schneedecke an ein überdimensionales Möbelstück, das von seinem für längere Zeit verreisten Besitzer zum Schutz mit einem weißen Tuch abgedeckt wurde. Der einsame, verlassene Berg machte mich neugierig, weckte die Lust ihn zu besteigen. Die Tour versprach ein paar Tage Einsamkeit. Aber es sollte ganz anders kommen. Um den Gipfel des 5165 Meter hohen Vulkans zu besuchen, benötigt man eine Genehmigung und einen Führer. Der Bergführer brachte noch zwei Freunde mit, damit ihm die Einsamkeit der Landschaft nicht zu sehr auf das Gemüt schlug. Also waren es schon drei Begleiter. Der junge Bergführer wurde noch von seinem Vater begleitet. Damit erhöhte sich die Zahl der Mannschaft auf vier Personen. Der Vater kam nicht ganz allein, sondern hatte noch zwei Freunde eingeladen. Damit stieg die Teilnehmerzahl auf sechs. Einer der beiden Freunde des Vaters wiederum hatte noch seinen Sohn dabei. So waren es sieben Personen, die auf den Gipfel drängten. Zählt man noch den Führer der Lastpferde dazu, der vom Gipfelsturm nur durch seine Halbschuhe abgehalten wurde, waren es sage und schreibe acht Personen, durch deren Anwesenheit sich die schöne Bergeinsamkeit verflüchtigte, wie das Parfüm aus einem geöffneten Flacon. Am Anfang gesellten sich sogar noch 32 Soldaten dazu, die uns bis auf 2000 Meter Höhe eskortierten. Von Bergeinsamkeit keine Spur!
Wenn man von Van in Ostanatolien nach Dogubayazit fährt, schlängelt sich die Straße durch alte Lavafelder und schraubt sich auf einen Pass. Noch ein paar Kurven und plötzlich blickt man auf einen einzelnen Berg, der für einen Moment vergessen lässt, dass man mit 18 anderen Menschen einschließlich deren Gepäck in einem sogenannten Dolmusch, einem türkischen Verkehrsmittel, eingepfercht ist, verdrängt für einen Augenblick die hier im Kurdengebiet ständig stattfindenden Reiseunterbrechungen wegen lästiger Ausweiskontrollen.
Auch für den Erstbesteiger und gläubigen Christen Friedrich Parrot löste bereits der Anblick dieser Gebirgslandschaft starke Gemütsbewegungen aus: „Welche Gefühle müssen sich nicht in der Brust des Christen regen, wenn er seinen Blick dem heiligen Noahberge zuwendet, welcher alle Reize einer großartigen und gleichwohl so lange verschleierten Natur mit dem ganz eigentümlichen Interesse eines ganz uralten Denkmals und Zeugnisses von einer der größten welthistorischen Begebenheiten und unmittelbaren Veranstaltungen Gottes zur Erhaltung des Menschengeschlechts in sich vereinigt!“
Das auch heute noch beeindruckende Panorama ist nur kurz zu genießen, da um diese Tageszeit der obligatorische Staubsturm über das ausgedörrte Land zieht, jeden Blick in die Ferne verhindert und eher eine Weltuntergangsstimmung aufkommen lässt, als Gedanken an die Errettung der Menschheit, die sich hier nach christlichen Vorstellungen einst abgespielt haben soll.
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