„Tja, aber Tonscherben können einem so viel erzählen, Inspektor. So ist sie nun mal, die Archäologie.“
„Sie meinen das aber nicht ernst, oder?“
„Was?“
„Belzoni.“
„Das ist mein Name. Serafina Belzoni.“
„Aber Sie sind nicht …“
„… mit ihm verwandt? Dem großen Belzoni?“ Sie grinste. „Doch, allerdings bin ich das.“
„In den Grabungsunterlagen steht dieser Name nicht, sondern da steht als Grabungsleiter …“
„Serafina.“
„Ja.“
„Das bin ich. Ich wollte kein Aufsehen erregen.“
„Das ist gegen die Regeln.“
„Es ist gegen die Regeln, kein Aufsehen erregen zu wollen?“
„Nein, aber sich nur mit dem Vornamen anzumelden.“
„Meinetwegen. Dann ist es eben gegen die Regeln. Sonst noch was? Oder können wir jetzt hier weitermachen?“
Ihre kühle Dominanz machte ihn hilflos und wütend zugleich. Zorn stieg in ihm auf.
„Sind das Tonscherben von Krügen oder von Tontafeln?“ Mühsam beherrscht deutete er in die Grube.
„Wonach sieht es denn aus?“
„Datierung?“
„Etwa 1300 vor Christus.“
„Geht es etwas genauer?“
„Nein.“
„Sie haben doch angeblich Papyri gefunden.“
„Ja, aber die haben wir natürlich nicht angerührt, sondern sofort ins Labor gebracht.“
War da gerade eine leichte Unsicherheit zu merken? Irgendetwas an ihrer Körperhaltung oder ihrer Mimik hatte sich verändert – nur für einen ganz kurzen Moment, sie hatte sich schnell wieder im Griff. Doch Nur ed-Din ahnte, dass sie ihm etwas verheimlichte. Von wegen „nicht angerührt“! Bill Sheridan hatte sich die Papyri sehr wohl angesehen! Er wusste also, was drinstand, und Serafina Belzoni wusste es ebenfalls. Sie log ihm frech mitten ins Gesicht!
Nur ed-Din beschloss mitzuspielen. Plötzlich überkam ihn eine eisige Ruhe. Belzoni? Wer war denn Belzoni? Bill Sheridan, ja, der wäre ein Kaliber gewesen, bei dem hätte er vorsichtig sein müssen. Doch bei dieser blutjungen Archäologin, die niemand kannte, brauchte er keine Rücksicht zu nehmen. Er konnte mit ihr tun, was er sich bei Bill Sheridan niemals zu tun getraut hätte: Er konnte sie fertigmachen.
„Sie haben die Papyri in Ihr eigenes Labor gebracht. Das ist gegen die Regeln.“
„Genau, aber so war es das Beste.“
„Das war nicht rechtens.“
„So haben wir das immer gehandhabt, und bisher hatte Ihre Behörde nichts dagegen einzuwenden.“
„Sollte Ihnen wirklich noch nicht aufgefallen sein, dass sich die Zeiten gerade ändern?“
„Die Zeiten ändern sich andauernd“, erwiderte Serafina Belzoni schulterzuckend. „Das haben sie so an sich. Es ist gewissermaßen ihre Natur.“
„Ich bin gehalten, die Regeln künftig strikter auszulegen. Ihr Labor wird hiermit von der Liste der akzeptierten Labors in diesem Land gestrichen. Sie dürfen damit keine Aufträge mehr für Ihr Labor annehmen, und alle ägyptischen Artefakte, die Sie gerade in Bearbeitung haben, müssen in ein regulär anerkanntes Labor überführt werden.“
Er sah das Entsetzen in ihren Augen und war zufrieden. Das Blatt hatte sich mit einem Schlag gewendet. Das war in der Tat eine der Maßnahmen, die Tedritov mit ihm besprochen hatte, um ausländische Aktivitäten in Ägypten zurückzudrängen. Er griff ihrer Verkündung nur ein wenig vor.
„Auf welcher Grundlage beruht diese Entscheidung?“, fragte sie fast zahm.
„Auf der Grundlage meines Willens!“, brüllte er sie urplötzlich mit der vollen Kraft seiner Stimme an, und sie erschrak tatsächlich und zuckte zusammen. „Ihr Labor wird von Ungläubigen geführt!“
„Von …“ Serafina brach in ein nervöses, heiseres Lachen aus. „Von Ungläubigen? Welche Rolle hat der Glaube zu spielen, wenn es um wissenschaftliche Fragen geht?“
„Von heute an eine große Rolle.“
„Das ist unglaublich!“ Sie schien verunsichert, doch dann lachte sie verächtlich und sagte: „Sie haben das nicht zu entscheiden. Unser Labor ist in Luxor, und Luxor liegt nicht in Ihrem Bezirk.“
„Sie bekommen in den nächsten Tagen Post vom Direktorat“, versetzte er. „Eigenmächtige Entscheidungen von Ungläubigen werden nicht mehr geduldet. Sie sind lediglich Gäste in einem islamischen Land, das bald zur islamischen Republik werden wird. Dann ist es sowieso vorbei mit Ihrer Anmaßung.“
„Wer ist hier anmaßend?“
„Warum waren Sie eigentlich nicht vor Ort, als diese Grube gefunden wurde?“
Der abrupte Themenwechsel verunsicherte Serafina Belzoni erneut.
„Weil ich in Luxor war.“
„Sie haben Ihre Männer allein arbeiten lassen?“
„Unter der Aufsicht eines bewährten, vertrauenswürdigen Vorarbeiters. Ich bin davon ausgegangen, dass auf diesem Areal nichts mehr auftauchen würde. Der Tempel ist ja vor hundert Jahren schon einmal komplett freigelegt worden. Es ging nur darum sicherzustellen, dass durch unsere künftigen Bohrungen nichts beschädigt wird.“
„Es ist egal, wovon Sie ausgegangen sind“, versetzte Nur ed-Din scharf. „Sie sind Grabungsleiterin, Sie hätten vor Ort sein müssen. Dieser Regelverstoß wiegt noch schwerer als die Entfernung der Papyri. Ich werde dafür sorgen, dass Sie nie wieder eine Grabung leiten werden.“
Er sah, wie Wut in ihr aufstieg, wie ihr Körper sich spannte, als setze sie zum Sprung an, und der Eindruck drohender Gefahr verstärkte sich, doch Nur ed-Din ließ sich nicht die geringste Spur von Furcht anmerken.
„Sie werden an diesem Fundort bis heute Abend fertig“, ordnete er an. „Das dürfte leicht zu schaffen sein. Sollten Sie wider Erwarten noch etwas von Bedeutung in der Grube finden, erwarte ich sofortige Benachrichtigung. Das wär’s. Wir sind fertig mit der Inspektion. Ich schicke nachher Leute zur Kontrolle vorbei. Machen Sie es gut.“
Er verzichtete darauf, ihr die Hand zum Abschied zu reichen, obwohl es eine schöne, erniedrigende Geste gewesen wäre, und drehte sich ohne ein weiteres Wort um. Sofort begann er zu grinsen. Dem jungen, hochgewachsenen Mann mit dem Rucksack, der am Rand der Osireion-Grube stand und ihn prüfend ansah, lachte er gar triumphierend ins Gesicht.
Das war ein guter Anfang, fand er. Nun würden die Dinge ihren Lauf nehmen.
Er sah auf die Uhr. Fast halb vier.
Jetzt wäre er gern in Amarna.
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