„Sicherlich haben Sie auch eine Flasche Sekt an Bord, wie ich vermute“, sagte sie, entschlossen dieses kleine Spielchen eine Weile mitzumachen.
„Aber natürlich. Eisgekühlt!“
„Ja, das ist jetzt genau das Richtige.“
Bevor Gerhard die Taue vom Steg löste, brachte er eine Flasche Sekt und vier Gläser. Susanne schaute ihm, während er die Gläser füllte, so tief in die Augen, als beabsichtigte sie, sich von ihm gleich an Ort und Stelle vögeln zu lassen. Tanja warf ihr rasch einen missbilligenden Blick zu und ging dann mit ihrem Glas zu Friedemann. Der hatte am Heck des Bootes Platz genommen und kauerte auf dem Boden wie ein Boatpeople, mit dem angstvollen Blick entweder zu ertrinken oder verhaftet zu werden.
„Sind Sie noch böse?“, fragte sie leise und gab ihrer Stimme den Klang einer Therapeutin.
„Nein!“, antwortete Friedemann und zog die Beine heran, so dass sein Kinn die Knie berührte und dachte, was für dreiste Gänse!
Da er sonst nichts weiter sagte, sprach Tanja weiter.
„Es ist so ein herrlicher Tag. Kommen Sie, schalten Sie für ein paar Stunden ab und genießen Sie unsere kleine Seefahrt.“ Tanja raffte ihr Röckchen ein wenig nach oben und setzte sich neben ihn. Dann hielt sie ihre Nase in den Wind und rief laut in Richtung Bug. „He Käpt´n, wann legen wir ab?“
„Eine Sekunde“, rief es zurück, „nicht so ungeduldig, junge Frau.“ Tanja spähte nach ihrer Freundin und entdeckte sie neben Gerhard, wie sie ihm half, den Anker einzuziehen. Ihre Körper berührten sich fast, so dicht standen sie beieinander. Ein leichtes Beben durchfuhr die Planken, dann hörte man ein gemütliches Gurgeln und der Motor lief. Ein Schwanenpaar schreckte aus dem Schilf auf, breitete die Schwingen aus und startete schwerfällig, um ein paar Meter weiter wieder ins Wasser zu gleiten. Friedemann nippelte an seinem Sekt und hielt das Glas dann gegen die Sonne.
„Was machen Sie eigentlich?“ Es war die erste Frage, die er an eine der beiden Frauen richtete. Bislang hatte er botanische Vorträge gehalten. Alles in ihm widerstrebte dem, doch er beschloss, nicht der Spielverderber zu sein.
„Wie meinen Sie das?“ Tanja kniff die Augen zusammen und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Der Sekt prickelte in ihrem Bauch. Sie fing an, sich zu entspannen und ungemein wohl zu fühlen.
„Nun beruflich, meine ich natürlich. Ich nehme an, Sie studieren.“
„Ja“, antwortete Tanja gähnend. Natürlich hätte sie jetzt sagen können: ich studiere Kunst, werde aber der Kunsthochschule wahrscheinlich bald den Rücken kehren, weil es manchmal im Leben Gelegenheiten gibt, die einmalig sind, und zwischen ihr und Friedemann wäre möglicherweise ein ganz brauchbares Gespräch zu Stande gekommen, aber sie hasste nun einmal diese Art von Einleitungsfloskeln. Und weil ihr schon vor der übernächsten Frage graute, die dann in der Regel mit einem erstaunten „Oh“ oder „Ah“ eingeläutet wurde, tat sie das, was sie in solchen Situationen immer zu tun pflegte - sie verbarg sich hinter einer Wand Groteskerie. Nicht um zu beleidigen, das lag ihr fern. Sie wollte nur der aufkommenden Langeweile entfliehen. Deswegen antwortet sie auf die erwartungsgemäße Frage, was sie studieren würde:
„Meliorationstechnik, Landwirtschaft, wenn Sie verstehen, was ich damit meine.“ Tanja öffnete kurz die Augen, um eine Reaktion zu erhaschen. Richtig! Friedemann nickte bedeutungsvoll den Kopf und zermarterte sich das Gehirn, über was man mit einer Bewässerungstechnikerin ein Gespräch führen konnte. Über Wasser! stand ihm im Gesicht geschrieben. Natürlich!
„Dann müssen Sie ja beim Anblick dieser herrlichen Seen geradezu in Flammen stehen. Was?“, sagte er und machte eine Handbewegung wie ein Museumsführer. Man bist du dämlich, dachte Tanja enttäuscht. Die Provokation war vorprogrammiert.
„Oh, Sie können sich gar nicht vorstellen, welch unbeschreibliche Lust es ist, mir auszumalen, wie man hier Hunderte kleiner Kanälen bauen könnte, um all die vielen Felder in ganz Mecklenburg zu bewässern. Jede Menge Beton wäre natürlich erforderlich. Aber was soll ´s.“ Wie erwartet, rümpfte Friedemann angewidert die Nase. Tanja hätte gewiss sofort eingelenkt, weil ihr der eigene Spott vor allem selbst am meisten wehtat, aber Friedemann hatte sich derart brüsk abgewandt, dass sie gar keine andere Möglichkeit sah, als ihr boshaftes Spielchen fortzuführen.
„Und was macht ihre Freundin, wenn ich fragen darf?“ Friedemann war in der Tat so unbeholfen wie ein Pinguin auf Glatteis. Die künftige Germanistin baggert gerade deinen Kumpel an, um ihn ordentlich durchzuvögeln, du Vollidiot, dachte Tanja.
„Och, die ist Verkäuferin in einem Supermarkt. Aldi! Kennen Sie bestimmt.“
„Gewiss kenne ich Aldi. Der österreichische Bergkäse, den die dort verkaufen ist wunderbar und dabei spottbillig. Auch die Weine sind ganz passabel. Der Ruf der Aldi-Kette ein qualitätsloser Billigmarkt zu sein, ist schlechter als sein Sortiment erlaubt. Bedauerlicherweise werden sogar die Konsumenten immer mit einem bestimmten sozialen Kontext assoziiert. Ich jedenfalls, kaufe gern bei Aldi,“ stotterte er, bemüht um Konversation. Das Unwohlsein stand ihm buchstäblich im Gesicht geschrieben. Friedemann haderte noch einen Augenblick mit sich, stand dann auf und ging zu Gerhard hinüber. Er tuschelte eine Weile mit ihm, während Susanne die Schiffsseite wechselte und sich neben Tanja platzierte. Kurz darauf wurde das Boot gewendet. Gerhard fuchtelte mit den Armen und tat furchtbar unglücklich.
„Es tut mir leid. Wir müssen noch einmal anlegen. Friedemann ist eingefallen, dass er heute einen wichtigen Termin im Landratsamt hat. Entweder wir gehen zurück ins Haus, oder Sie nehmen mit mir alleine vorlieb. Nun?“ Susanne zögerte nicht eine Sekunde.
„Ich will Boot fahren!“, verkündete sie, und Tanja wollte sich, trotz eines kurzen mitleidvollen Schwalls schlechten Gewissens, keine Blöße geben und rief übermütig:
„Ich auch!“, wobei sie der Freundin vor lauter Überschwang den Ellenbogen in die Seite knuffte. Obgleich Gerhard mit dem Rücken zu den Beiden stand, hätten sie leicht feststellen können, dass ihm vor heimlichen Entzücken ein wenig die Unterlippe zitterte. Aber sowohl Tanja als auch Susanne hatten ihre Köpfe über die Reling geschoben und betrachteten nun schwärmerisch die kleinen silbrigen Wellen, die am Rumpf des Schiffes hin und hereilten wie flinke Tierchen.
Kurz darauf berührte das Boot den Holzsteg und Friedemann floh, als hätte ein Galeerensklave unverhofft seine Freiheit wiedergewonnen.
Auf der anderen Seite des Sees rief ein Blesshuhnweibchen aufgeregt nach ihren Jungen – kleine quirlige Wattebällchen, die mit rudernden Beinen aus allen Richtungen heran geschnellt kamen, um sich sofort schutzsuchend in einer geraden Linie hinter der Mutter zu formieren. Das Licht über dem Wasser wechselte bereits langsam von metallenem Glanz zu zartem Orange und jetzt, nach dem sie den Breiten Luzin zweimal umrundet hatten, vorbei am Mönkenwerder, Scholverberg und Schapwaschbucht, und nun behäbig wieder im Haussee vor sich hindümpelten, wirkte der Buchenwald an der Westspitze des Schlichter Ufers in der Abendsonne wie das Grand Finale in einem spektralen Bilderbuch. Gerhard steuerte in eine kleine Bucht, die an einem Steilufer mündete. Vis-a-vis zur Liebesinsel - aber dies war derweil nur noch ein lokales Attribut.
Eigenartigerweise hatte sich seit der kopflosen Flucht Friedemanns so etwas wie ein Schleier von Ernsthaftigkeit, freundlicher Distanz und Melancholie auf die Zurückgebliebenen gelegt. Selbst Gerhard, der noch Minuten vorher ein wahres Hormongewitter in seinen Lenden gespürt hatte, empfand plötzlich mehr Lust dabei, seinen Blick auf das stille Gewässer zu lenken und sich dabei seinen Gedanken hinzugeben, die nun ganz anderer Natur waren, als zu kokettieren, Charme zu versprühen oder sich wenigstens gedanklich einen praktikablen Plan zu erarbeiten, der ihn seinen Gelüsten ein kleines Stück näher brachte. Er ahnte etwas, wusste aber nicht genau was. So stand er fast unbeweglich am Ruder und tat im Grunde nichts anderes, als auf seinen Herzschlag zu achten. Tanja und Susanne hingegen hatten jegliche Scheu verloren. Längst waren sie entblättert und genossen schweigend und nackt das ruhige Vibrieren des Motors, die Sonne und den Blick auf die Natur.
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