Jo Hilmsen
Rethra
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Inhaltsverzeichnis
Titel Jo Hilmsen Rethra Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1 Kapitel 1 Manche Erinnerungen sind wie ein Lächeln, andere verursachen ein Frösteln oder lassen einem die Schamesröte ins Gesicht schießen. Es gibt Erinnerungen, die schmecken süß, andere bitter. Manche möchte man für immer verbannen, manche ewig kosten. Keine Ahnung, aus wie vielen Erinnerungen ein Menschenleben bestehen kann. Und wozu sie eigentlich nützen. Und doch kommen sie manchmal wie von selbst. Die Bilder. Die Erinnerungen. Die Gespenster. Ich war töricht und naiv. Und verliebt. Mehr vielleicht, als ich es damals zugegeben hätte. Noch immer bleibe ich stehen, wenn mir eine Frau begegnet, die eine Ähnlichkeit mit ihr hat und sei es nur eine ganz kleine. Zorn oder gar Wut empfinde ich nicht mehr. Vielleicht wird man mit der Zeit tatsächlich versöhnlicher. Vielleicht ist das der eigentliche Sinn von Erinnerungen – Frieden zu schließen, sich mit der Vergangenheit zu versöhnen. Wer weiß? Was ich weiß, ist, dass es mich fröstelt, wenn ich ihren Namen denke. Einfach so. Vittoria. Ich bleibe stehen, wenn mir eine Frau begegnet mit einer kleinen Ähnlichkeit und denke: Vittoria. Mehr nicht. Und dann kommt das Frösteln und dann ist es meistens auch gleich wieder vorbei. Der kalte Hauch einer Vergangenheit streift mich, wie ich es nenne. Dabei besteht diese Vergangenheit im Grunde nur aus ein paar Wochen. Und genauer betrachtet aus Tagen, einigen Stunden. Also gemessen an der Zeit, aus kaum mehr als Nichts. Manchmal hilft Laufen, manchmal Starren, manchmal nichts.
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Impressum neobooks
Manche Erinnerungen sind wie ein Lächeln, andere verursachen ein Frösteln oder lassen einem die Schamesröte ins Gesicht schießen.
Es gibt Erinnerungen, die schmecken süß, andere bitter. Manche möchte man für immer verbannen, manche ewig kosten.
Keine Ahnung, aus wie vielen Erinnerungen ein Menschenleben bestehen kann. Und wozu sie eigentlich nützen. Und doch kommen sie manchmal wie von selbst. Die Bilder. Die Erinnerungen. Die Gespenster.
Ich war töricht und naiv. Und verliebt. Mehr vielleicht, als ich es damals zugegeben hätte. Noch immer bleibe ich stehen, wenn mir eine Frau begegnet, die eine Ähnlichkeit mit ihr hat und sei es nur eine ganz kleine.
Zorn oder gar Wut empfinde ich nicht mehr. Vielleicht wird man mit der Zeit tatsächlich versöhnlicher. Vielleicht ist das der eigentliche Sinn von Erinnerungen – Frieden zu schließen, sich mit der Vergangenheit zu versöhnen. Wer weiß?
Was ich weiß, ist, dass es mich fröstelt, wenn ich ihren Namen denke. Einfach so.
Vittoria.
Ich bleibe stehen, wenn mir eine Frau begegnet mit einer kleinen Ähnlichkeit und denke: Vittoria. Mehr nicht. Und dann kommt das Frösteln und dann ist es meistens auch gleich wieder vorbei.
Der kalte Hauch einer Vergangenheit streift mich, wie ich es nenne. Dabei besteht diese Vergangenheit im Grunde nur aus ein paar Wochen. Und genauer betrachtet aus Tagen, einigen Stunden. Also gemessen an der Zeit, aus kaum mehr als Nichts.
Manchmal hilft Laufen, manchmal Starren, manchmal nichts.
Es war im letzten Jahr meines Volontariats beim „Mitteldeutschen Tageblatt“ in Halle an der Saale. 1997.
Die Aussicht auf eine Stelle als Redakteur war, realistisch gesehen, ähnlich wahrscheinlich, wie Claudia Schiffer bei McDonalds zu treffen. Leute, die weitaus besser waren als ich, standen fürs Zeitungsschreiben Schlange, und ich zog bereits in Erwägung, mich in naher Zukunft eine Weile mit Kellnern oder irgendeinem anderen Job über Wasser zu halten. Doch ich wollte Artikel schreiben, recherchieren, wenn möglich Dinge aufdecken, die andere unter den Tisch kehrten. Ich wollte Journalist sein. Und ich wollte dafür kämpfen. Und dann bot sich diese Chance. Eine große Sache. Ein Aufblitzen an meinem beruflichen trüben Horizont. Aber vielleicht wäre es besser gewesen, hätte ich mich anders entschieden.
Als Günther Haas, mein damaliger Chef und Förderer, an jenem heißen Montagmorgen mein kleines Büro betrat, waren für mich die Würfel unumstößlich gefallen. Haas war mein Beschützer und fast so etwas wie ein Freund. Aber er war auch mein Verführer. Dünnhaarig, von kleiner Gestalt und ein bisschen grau im Gesicht. Sein, bereits aus der Mode gekommener, Strelson-Anzug wirkte knittrig und abgetragen, was ihn allerdings eher sympathischer machte.
Und ich ließ mich widerstandslos von ihm umschmeicheln und ködern.
„Ist das nicht ein Wetterchen?“, waren die ersten Worte, die Haas zu mir sagte, um dann erst einmal laut und unglaublich nass zu niesen.
„Gesundheit!“, wünschte ich und fingerte mir eine Zigarette aus meiner Schachtel. Wenn der Chef mich in meinem Büro besuchte, dauerte es meistens eine Weile, bis er wieder ging. Haas nieste abermals. Diesmal gelang es ihm rechtzeitig ein Papiertaschentuch aus seiner ausgebeulten Hosentasche zu zupfen.
„Dieser verdammte Heuschnupfen!“, fluchte er. „Glauben Sie mir, Leuttner, es gibt nichts Übleres in dieser Stadt als eine Scheiß-Akazienallergie. Wir sind ja hier quasi von diesem Gestrüpp umlagert.“
„Das sind Robinien“, flüsterte ich und zündete mir rasch die Zigarette an.
„Was?“
„Äh, die Bäume hier an der Straße sind Robinien. Wird auch die falsche Akazie genannt.“ Haas kniff die Augen zusammen.
„Oh, ein Pflanzenexperte sind Sie auch noch. Na wunderbar!“ Ich errötete.
„Nun ja, so würde ich das nicht nennen. Frau Siewert hat mich aufgeklärt.“
„Frau Siewert? Hat ein bisschen einen Narren an unserem Volontär gefressen, unsere Frau Siewert.“ Haas grinste.
Haas hatte an mir auch einen Narren gefressen, das wusste ich von Frau Siewert. Deshalb konnte ich mir Dinge erlauben, von denen Andere in meiner Position nur träumten. Und normalerweise wäre dies Anlass gewesen, ein bisschen zu plaudern, aber Haas schien etwas anderes zu wollen. Er räusperte sich und fixierte mich eine Weile, bevor er sagte:
„Vielleicht sollten Sie sich noch ein bisschen dem Pflanzenstudium widmen. Könnte Hapke beeindrucken.“
„Hapke?“, fragte ich verdutzt. „Wer ist Hapke?“
„Eine berechtigte Frage“, sagte Haas geheimniskrämerisch. „Deswegen bin ich hier. Bevor wir zu diesem Thema kommen. Haben Sie den Artikel über diesen dubiosen Nachbarschaftsstreit fertig?“
Ich reichte ihm mein Blatt Papier. Haas las die Zeilen, wischte sich die geschwollenen Augen und gab mir den Artikel sichtlich erfreut zurück.
„Gefällt mir, mein Lieber. Sehr gut! Was glauben Sie wie viele Kilo Akten bei den Gerichten darüber lagern, dass sich zwei Streithähne nicht über einen Gartenzwerg einigen können. Ihr Ton gefällt mir. Denke, die Leute mögen ein bisschen Zynismus zwischen den Zeilen. Und wie Sie ihn dosieren, finde ich ganz geschickt. Die Überschrift ist ein bisschen großkotzig für meinen Geschmack: Albrecht der Bär gegen Heinrich dem Löwen am Gartenzaun. Aber gut. Zumindest erweckt er Aufmerksamkeit. Nur, diesen konfuzianischen Schlusssatz sollten Sie besser streichen. Das Moralisieren können Sie sich für den Feierabend aufheben.“
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