Voller Vorfreude zog er sich in das Innere des Hauses zurück, stellte die Dusche an und wusch sich ausgiebig den Schweiß von seinem Körper.
Ich kann mir auch gut vorstellen, sie beide zu bedienen, dachte er, während sich der Schaum von seinem Körper auf den dunkelroten Fliesen sammelte und dann gurgelnd im Schlund des Abflusses verschwand. Gut gelaunt, wählte er die Kleidung für den Abend, ein weißes Hemd, Leinenhose, ein guter Kontrast zu seinem braungebrannten Körper und machte sich auf den Weg zum Bootssteg. Bevor er nach unten ging, wagte er noch einen letzten Blick zur Badestelle, natürlich rekelten sich die zwei Frauen nun in der Sonne. Ein fröhliches albernes Lied vor sich hin pfeifend, steckte sich Voßkuhl abermals seine Zigarre an und freute sich auf die kommenden Stunden.
So trat Gerhard zu Friedemann. Elektrisiert, frisch geduscht, elegant gekleidet und einem Hauch Spott in den Augen.
„Wo sind sie?“, sagte er und klopfte seinem Assistenten aufmunternd auf die Schulter. „Sie mögen zwar einen ganz ordentlichen Archäologen abgeben, als Hirte taugen Sie jedoch höchstens für Bäume.“
In diesem Augenblick betraten Tanja und Susanne den Bootssteg. Sie waren einfach am Ufer entlang gegangen und hatten sich den Umweg durch den Garten gespart. Susannes Haar troff noch wie ein nasses Handtuch. Sie hatte ihre kleinen Schwänzchen geöffnet. Jetzt lag das Haar in feuchten Strähnen auf ihren Schultern und durchtränkte ihr T-Shirt am Rücken. Tanja hüpfte heran und reichte Gerhard die Hand. Friedemann schien sie vollkommen zu ignorieren. Der betrachtete verlegen die Nägel in den Brettern des Bootssteges.
„So einer sind Sie also! Erst lassen Sie uns stundenlang warten und dann schelten sie auch noch diesen armen Jungen. Hüter! Hirte! Aha. Sind wir etwa in Ihren Augen so etwas wie zwei Schafe, die man ein bisschen umhegt, bevor man sie schlachtet.“ Die Worte waren scharf, aber Gerhard merkte sehr wohl, dass sie nicht wirklich brüskiert war. Susanne hingegen schien schon jetzt von ihm hingerissen zu sein. Sie hing an seinen Lippen und schien ihn förmlich anzuhimmeln.
Das wird ein vortrefflicher Abend, dachte er und machte sich sogleich daran, dem kleinen Kratzbürstchen die Krallen zu stutzen. Natürlich nur so, wie es Erfolg versprach: mit Charme.
„Oh, meine Dame, da haben Sie mich aber grundlegend missverstanden. Wissen Sie, auf diesem kleinen gottgesegneten Flecken Erde hier, lauern einige Unannehmlichkeiten. Wir haben hier allerlei kleines Getier, die schon so manchen forschen Besucher zur heillosen Flucht veranlasst haben. Wie Sie wissen, befinden wir uns hier quasi in einem Naturschutzgebiet, und wir haben überdies auch noch die seltene Freude, dass sich in unserem Garten in diesem Sommer ein paar Kreuzottern niedergelassen haben und sich hier sehr heimisch fühlen. Nur stören sollte man sie nicht, da sind sie furchtbar empfindlich.“ Susanne sprang mit einem kleinen Schrei ein paar Schritte nach vorn und Gerhard lächelte vergnügt. „Deshalb habe ich meinen lieben Freund damit beauftragt, ein Auge auf sie zu werfen oder wenn Sie so wollen: Sie zu behüten. Hat er Ihnen etwa nicht von unseren rührenden Untermietern erzählt?“ Friedemann senkte schuldbewusst den Kopf.
„Dazu bin ich nicht mehr gekommen.“
Tanja schien besänftigt und wandte sich bedauernd an Friedemann.
„Oh, dann liegt es wohl an uns, Sie um Verzeihung zu bitten“, sagte sie mit strahlenden Augen. „Aber der See war einfach zu verlockend.“
„Nicht wahr“, grub sich Gerhard weiter voran, „ein Traum diese Landschaft. Und weil es so ein wunderhübscher Tag ist, wollte ich Sie, natürlich nur wenn es Ihnen behagt, zu einer kleinen Spritztour mit meinem bescheidenen Boot einladen. Trinken und Essen ist an Bord. Wir können auf der Stelle den Anker lichten. Hier ganz in der Nähe gibt es ein paar zauberhafte Inselchen, an denen Sie gewiss Ihre helle Freude haben werden.“ Tanja drehte sich zu Susanne um, die bislang kein einziges Wort gesprochen hatte und schüttelte halbherzig ihren Kopf.
„Ich weiß nicht recht. Was meinst du? Sollen wir diesem charmanten Wüstling auf sein Boot folgen oder nicht?“.
„Mit Verlaub, wenn ich ein Wüstling bin, dann ist dieser junge Mensch hier ein Don Juan. Im Augenblick leider nur ein wenig verschüchtert. Vielleicht helfen die jungen Damen ihm ein wenig, die Scheu zu verlieren. Schließlich sind Sie ihm ja regelrecht davongeeilt.“ Tanja schien an dieser kleinen Konversation Vergnügen zu finden und lächelte nun auch in Friedemanns Richtung.
„Oh, das tut mir leid. Aber Sie waren so konzentriert mit der Betrachtung und Beschreibung der verschiedenen Heilpflanzen beschäftigt, dass es uns geradezu unhöflich erschien, Sie dabei zu stören.“
„Schon gut!“ knurrte Friedemann und begab sich aufs Boot. Susanne folgte ihm.
„Das wollte ich schon immer“, sagte sie, und Gerhard warf ihr einen Blick zu, „eine wunderschöne romantische Bootsfahrt auf diesen Seen genießen. Vielleicht können wir irgendwo vor Anker gehen und die Nacht draußen verbringen.“
„Wie Sie belieben. Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause“, antwortete Gerhard unschuldig und reichte Tanja seine Hand.
„Da bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mich anzuschließen“, meinte Tanja und ließ es zu, dass Gerhard ihr beim Klettern auf den schwankenden Schiffskörper behilflich war.
„Erzählen Sie mir etwas über die Slawen. Wie ich gehört habe, gelten Sie diesbezüglich als Koryphäe.“
„Nun ja“, winkte Gerhard geschmeichelt ab. „Die Leute reden allerlei. Außerdem umfasst die Völker der Slawen ein riesiges Territorium. Ganz Osteuropa bis hin zum Balkan zählt dazu. Mein bescheidenes Wissen beschränkt sich ausschließlich auf die Völkerschaften der Westslawen oder Wenden. Und dabei speziell die Völker, die sich im Lutizenbund zusammen schlossen.“
„Steht ihm seine Bescheidenheit nicht gut?“, ließ Susanne verlauten und drehte sich so in Gerhards Richtung, dass ihr entblößter Bauchnabel ihn buchstäblich ansprang.
„Danke“, antwortete Gerhard, Charme versprühend wie ein Rasensprenger und erwiderte Susannes aufmunternden Blick in ähnlicher Weise, indem er kurz die Lippen schürzte. „Wussten Sie, dass die Wenden ihre Toten nachdem man zur Erdbestattung übergegangen war, mit dem Gesicht nach unten beerdigten? In manchen Fällen wurden die Leichen sogar festgenagelt?“
„Was für krude Barbaren!“, entrüstete sich Tanja.
„Nun, so streng darf man über sie nicht denken. Es war der Vormarsch des Christentums, der sie zwang, ihre Toten nicht mehr einzuäschern, so wie sie es jahrhundertlang vorher praktizierten. Und dennoch bewirkte dieser Einfluss nicht, dass sie ihrer traditionellen Geisterwelt abschwörten. Jede Familie hatten ihre eigenen Hausgeister, Irrlichter oder sogenannte Penaten. Man akzeptierte bestimmte religiöse Rituale, ohne die eigenen fundamentalen Überzeugungen zu vernachlässigen. Manch frommer Missionar biss sich an ihnen die Zähne aus, oder endete besser gesagt als geköpfte Trophäe auf einem Pfahl vor den Toren Rethras. Das Festnageln der Leichname war reine Vorsichtsmaßnahme, damit ihre Verstorbenen auch den Weg ins Jenseits fanden, sich nicht verirrten oder viel schlimmer, als Untote zurückkehrten. In die Münder der Toten wurden einige Zeit auch die sogenannten Charonspfennige gelegt, ähnlich wie bei den Griechen, um den Fährmann über den Hades bezahlen zu können. Ein bisschen brutaler ist da wohl, dass beim Tod eines Fürsten seine Witwe oder eine Sklavin ihn auf den Scheiterhaufen begleiten musste.“
Obgleich sie dieses Gespräch durchaus interessierte, durchschaute Tanja Grahlmann sofort, dass Gerhard beabsichtigte, Eindruck zu schinden. Sie wusste auch, das ihre Freundin Susanne vollkommen berauscht von diesem angeblich so berühmten Wissenschaftler war, der sich auch noch dazu herabließ, sie beide in seine Villa einzuladen. Welch Privileg! Lieber gleich als später würde die sich auf den Rücken werfen, und die Beine breit machen. Wart´s ab, mein Täubchen, dachte sie, geringschätziger als es normalerweise ihre Art war, und schnüffelte an der hauchzarten Welle Parfüms, das von Gerhards Körper zu ihr herüberströmte. Einer scheinbaren Mixtur aus Limone und Granysmith auf der Basis von Johnny Walker.
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