Langsamkeit ist dabei das Stichwort. Neue Kulturen kennenlernen, Bereitschaft, nicht zu viel zu verplanen. Viel wert für das Unerwartete. Wir erklären unserem Kind, dass wir selber noch nicht wissen, in welchem Hotel wir am Abend übernachten werden, weil wir noch nie dort gewesen seien. Von meiner besten Freundin, die vor mir Kinder bekommen hat, wusste ich, dass es den Kindern eigentlich egal ist, wo sie ihren Urlaub verbringen, Hauptsache mit den Eltern. Wieso sollte ich mich für eine für mich langweilige Destination entscheiden? Es gibt absolut keinen Grund. Wenn die Eltern glücklich sind, gefällts dem Nachwuchs auch. Gilt auch umgekehrt: Gefällts den Kindern, sind auch die Eltern zufrieden.
Wohin wollen wir also? Australien? Neuseeland? Südafrika? Südafrika- Swasiland-Lesotho-Namibia-Botswana-Simbabwe-Südafrika-Rundreise? Wir haben siebeneinhalb Wochen. Verwandte in Kapstadt. Eine Freundin in Buenos Aires. Vietnam - Kambodscha - Laos - Thailand? Können wir auch einzeln haben. Sehr ausschlaggebend. Jedes Jahr ein anderes Land. Wenn wir schon über 7 Wochen am Stück haben, wäre es schade, nicht eine Destination zu wählen, die man sonst nicht bereisen würde.
Eigentlich ist es egal wohin man fährt. Kann auch mit dem Eselwagen durch Frankreich sein. Da unsere Auszeit in den Monaten Oktober/November ist, fällt Skandinavien weg, ebenso Sibirien. Zu kalt. Zentralasien? Grad gewesen, obwohl alle Freunde aus Teheran, Isfahan, Lorestan, Aschgabat, Samarkand und überall in Kirgistan fast täglich per whatsapp fragen, wann wir denn wieder kämen. Wir brainstormen.
Und entscheiden uns für Südamerika.
Ich recherchierte wochenlang Campervans in Neuseeland, da melden sich Freunde aus Deutschland, die noch in Uruguay hocken. Meine Freundin aus Buenos Aires schreibt aus ihrem Hundeschlittenurlaub in Lappland. Ich bekomme Fotos aus Patagonien, aus dem Torres del Paine. Renne zu meinem Chef rüber, der grad in Südamerika war. Der hört nicht mehr auf zu schwärmen: Die Landschaften dort seien nicht von dieser Welt! Die Schönheit eines Perito Moreno Gletschers! Fitz Roy!! Salar de Uyuni!!! Die A n d e n!!!! Die Weiten der Atacama-Wüste!!!!!
Mein Herz schlägt höher. Mariana, meine argentinische Freundin, drängt schon seit Jahren, ich solle sie endlich besuchen kommen. Sofort rufe ich sie an. Die Entscheidung ist gefallen. Meine Mutter hat jetzt schon Angst. Südamerika. Mafia. Drogentote, Militärdiktaturen… Neuseeland und Australien verblassen. War eh schon dort (1993 und 1997). Jetzt kann die Planung beginnen! Eine Reise zwischen Anden und Pazifik, bis ans Ende der Welt.
In der Bibliothek hole ich Reiseführer über Bolivien, Chile und Argentinien. Buche Flüge nach Buenos Aires. www.swiss.comoder Lufthansa, KLM oder grad bei skyscanner.ch oder travelgenio.com. Frage Marita, meine deutsche Reisefreundin, die ich 2005 in den südafrikanischen Drakensbergen kennengelernt habe, nach ihrer genauen Reiseroute. Meinen Chef Claudio nach seiner. Füge Bolivien dazu. Er findet mir eine Fähre, die in den chilenischen Fjorden umherzieht. Vier Tage, drei Nächte, Dreierkabine mit Bad! Buchbar bei Hans Liechti, Agencia TravelAid, Ansorena 425 local 4, Pucón - Chile, Fonofax: (56) 452 444040, Celular: (56) 9 9353 6886, www.travelaid.cl. Verdammt, muss hin und herschieben, bis es passt. Das Schiff fährt nur Sonntags. Ändere ein Dutzend Mal meine Reiseroute.
Akklimatisieren in den Höhen der Anden. Sucre liegt auf 2810 Meter, Potosi auf 4070 Metern, Uyuni auf 3650 Metern.
Unser Reisestil? Flashpacking!
“Flash“ ist englisch für chic. Ein richtiger Backpacker - das war ich einmal. Heute lieber Himmelbett als Hängematte, lieber Klimaanlage als Kakerlaken! Frei nach dem sehr lesenswerten Buch von Sascha Tegtmeier “Ich nehm dann mal das Upgrade” ist dieser neue Reisestil genau mein Ding. Und ein globaler Trend geworden. Flashpacker. Wir sind eine Flashpackerfamilie!
Wir ermutigen alle Ex-Backpacker und spätberufenen Komfort-Abenteurer den Rucksack zu entstauben und in die Welt zu ziehen. Wir möchten mehr Komfort und Luxus, haben ein wanzenfreies Bett verdient. Hygienisch fragwürdige Strandbungalows gibts noch reihenweise auf der thailändischen Hippie-Insel Koh Phayam, auch für 5 bis 10 Franken pro Nacht, sogar mit eigenem Badezimmer. Wir quartieren uns aber immer im Bamboo Bungalow ein, dem besten am Strand. 40 Franken pro Nacht. Sehr zur Freude von unserem Sohn sogar mit Frosch hinter dem Badezimmerspiegel. In Thailand gibts wunderbare Bungalowanlagen ab 40 Franken, für 90 wird's dann schon sehr schön (Hidden Resort in Ranong!), und für 150 sogar wunderbar luxuriös mit eigenem Swimming Pool (auf Koh Yao Yai das Glow Elixir)! Hotelsuche kann man lernen. Ich entwickle mich zu einem Genie mit einem sehr glücklichen Händchen.
Nach knapp über 20 fing ich an zu backpacken, war eine klassische Rucksackreisende. Wollte auf keinen Fall als “Touristin” bezeichnet werden. Den Pauschalreisenden und Gruppentouristen brachte ich die totale Verachtung entgegen. Heute, 30 Jahre nach den ersten Ferienreisen nach Südostasien, reise ich nicht mehr mit dem Tramperrucksack, sondern meist nur mit einem kleinen Rollköfferchen. Mit dem ich mich früher geschämt hätte. Während ich damals in mit Menschen voll verstopften Zweitklassabteilen in indischen Nachtzügen, in der Mongolei mit Einheimischen zwischen Kartoffelsäcken auf Lastwagen gereist bin, bevorzuge ich heute zum Beispiel in Sri Lanka einen Mietwagen mit Chauffeur (Akila Ruwan, silversuntours.com, akilaruwan@yahoo.com, phone +94 77 988 14 03 und +94 78 631 54 67). In Bangkok nehme ich ein Taxi vom Flughafen ins Hotel und in Usbekistan buche ich wunderschöne Boutiquehotels in alten Karawansereien anstatt Billigstunterkünfte. Vor allem seit ich einen Sohn habe, gönne ich mir viel mehr Luxus. Ich habe den Rucksack gegen den Rollkoffer getauscht und bin nicht mehr bereit, unser Hotelzimmer mit Viechern oder einen Schlafsaal mit betrunkenen oder schnarchenden Mitreisenden zu teilen (habe ich zwar nur sehr selten gemacht, kam jedoch vor).
Ich blättere zwar noch in den Broschüren und Prospekten vom Junge-Leute-Abenteuer-Reisebüro, buche dann aber alles selber. Pauschalarrangements sind mir ein Gräuel. Ausserdem bin ich zu alt für die klassischen Leiden eines Backpackers. Muss auch nicht mehr jede Sehenswürdigkeit abklappern. Klar gehört der Borobudur zu Indonesien, der Taj Mahal zu Indien, Angkor Wat zu Kambodscha, der Royal Palace zu Bangkok etc. Aber man kann durchaus nach Paris ohne den Eiffelturm bestiegen zu haben… Drum: Angesichts strassentechnisch besonders heikler Strecken können wir für wenig Geld auch fliegen und uns 24 Stunden im Bus ersparen.
Zwei meiner grössten Horrorerlebnisse waren auf langen Überlandstrecken. Das schlimmste führte von Pokhara nach Delhi. Rechts und links gings hunderte Meter tief ins Grauen, und die indischen Busfahrer lieferten sich ein Rennen! Wir hatten nicht fliegen wollen, weil man sich das als Backpacker nicht getraute/nicht erlaubte. Das zweite war in Nordpakistan, von Gilgit nach Rawalpindi. Wir konnten gar nicht mehr aus dem Fenster schauen, so bang war uns ab der Fahrweise des Idioten am Steuer. Dann zwei Platten, stundenlanges Herumwarten auf den Ersatzbus, in der Dunkelheit. Weil uns die 150 Dollar für ein Jeep-Taxi gereut hatten. Auf einer der spektakulärsten Routen der Welt, dem Karakorum-Highway! Wie blöd kann man wohl sein? Ist ein schmerzloser Komfort denn nicht erlaubt? Darf man das am Abend in der Hotelhalle den anderen Reisenden gegenüber zugeben? Ja, man darf! Vielleicht nicht so gern dem typischen Lonely Planet-Tramper, aber dem versuchen wir seit Jahren eh aus dem Weg zu gehen.
Wir müssen uns nichts mehr beweisen. Während dann die anderen von ihrer total mystischen und magischen 30-stündigen Busfahrt berichten, haben wir unseren Reisestil gefunden. Wir erleben das riesige Abenteuer einer Rucksackweltreise mit schönen luxuriösen Hotels mit Bad und Swimming Pools. Flashpacker wollen beides: Abenteuer und Komfort, Dschungel und gutes Essen. Den Tag bei den Einheimischen verbringen und auf Eseln reiten, am Abend saubere Unterkünfte, Waschservice, Klimaanlage, warme Dusche und Heizung in höheren (kälteren) Lagen. Wir müssen keine Antworten mehr auf fundamentale Lebensfragen finden. Uns schon gar nicht. Wir haben uns bereits gefunden. Keine spirituellen Aufgaben, kein Kasteien in buddhistischen Klöstern und hinduistischen Ashrams, kein Veganerselbstfindungstrip. Luxus und Abenteuer schliessen sich nicht aus. Eine Chance für Ex-Backpacker-Draufgänger.
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