’Aha, also doch’, dachte Tamara, ’er sieht nicht nur verdammt gut aus, sondern das mit dem himmlischen Beschützer ist auch seine Masche, zu mir ins Bett zu kommen.
Das wird wohl mein erster One-Night-Stand. Warum eigentlich nicht!’
„Okay, gehen wir jetzt zu mir!“, entschied sie kurzerhand.
Auf dem Weg zu ihrer Wohnung, hakte sich Tamara wieder unter, diesmal schmiegte sie sich jedoch etwas fester an ihn, was Luc anscheinend gerne zuließ. Nach zehn Minuten erreichten sie die Eingangstür, gingen vier Stockwerke nach oben, wo sie alsbald gemeinsam das kleine Appartement betraten.
Die Wohnküche, welche direkt nach dem kurzen Flur folgte, war gemütlich eingerichtet. Während Luc sich in den einladenden Schwingsessel lungerte, dabei wohlig seufzte, kochte Tamara einen kräftigen Kaffee.
Bereits der Duft des Bohnenaromas ließ Luc jauchzen.
„Das riecht aber gut!“, schwärmte er.
Daraufhin schlürfte er den heißen Kaffee einmal pur, einmal mit Milch, zuletzt mit Milch und Zucker. Jedes Mal schien er einen neuen Genusshöhepunkt, einen weiteren, ungeahnten Gipfel des Glücks zu erleben.
Tamara grinste von einem Ohr bis zum anderen, was ihre gleichmäßigen Zähne voll zur Geltung brachte. Gefühlsmäßig schwebte sie längst wie auf Wolken, war voller Glücksgefühle, hatte sich in ihn verliebt, ohne sich zu fragen, warum sie ihn so überraschend begehrte.
Ihre anwachsende Sehnsucht wurde trotz allem hinausgezögert, zumal Luc wieder ernst wurde. Er griff die Diskussion über Himmelsboten erneut auf.
„Ich denke“, kam er unverzüglich auf den Punkt, „ich bin dir noch eine Erklärung schuldig.
Die zwei Kerle, welche dir auflauerten, sind zwei üble Schurken. Ich konnte deren Anwesenheit spüren.
Sei dankbar, dass ich so schnell zur Stelle sein konnte, ansonsten wäre dir Schlimmes widerfahren. Zum Glück geschah es auch heute und nicht vor einigen Wochen, sonst hätte ich dir nicht helfen können.
Erst vor Kurzem bin ich aus einer 5000 Jahre dauernden Verbannung zurückgekehrt. Es war meine Strafe, weil ich mich damals gegen SIE stellte.
Indem ich dir heute in der Not beistand, kann ich IHR zeigen, dass meine Freilassung gerechtfertigt war und ich eine zweite Chance verdiene.“
Tamaras Augen wurden groß vor Erstaunen:
„Soll das heißen, du bist über 5000 Jahre alt? Und du willst mir jetzt erzählen, du seist wirklich ein Engel?“
„Eigentlich“, redete Luc weiter, „wollte ich dir nur als Erdenbürger erscheinen, ich meine, ohne Flügel, ohne dieses in der Luft schweben oder den ganzen Hokuspokus, schließlich wollte ich dich nicht erschrecken.
Leider musste ich in deiner Notsituation schnell handeln, weshalb keine Zeit blieb, darauf Rücksicht zu nehmen.“
Er zuckte mit seiner Schulter, machte eine Miene, wie ein Lausejunge.
„Letztendlich konnte ich nicht anders. Ich kann meine Mission unmöglich verleugnen.
Ich bin ein, besonders aber dein unmittelbarer Schutzengel.“
Mit diesen Worten stand er auf, entfaltete, wie aus dem Nichts, in weniger als einer Sekunde seine sechs schwarzen Flügel, die eine funkelnde, zauberhafte Aura umgab. Er war dabei sehr vorsichtig, weil aufgrund deren Größe in dem Zimmer sonst Einiges hätte zu Bruch gehen können.
Tamara war zuerst unfähig, etwas zu äußern, starrte ihn sprachlos mit großen Augen und offen stehendem Mund an, nahm voller Entzücken sein beeindruckendes, kraft- wie machtvolles Aussehen in sich auf. Überwältigt von diesem Moment, fand sie mit verträumtem Blick kaum die richtigen Worte:
„Das ist ja der helle Wahnsinn. Ich habe meinen eigenen Schutzengel.
Wow!“
Sie riss sich von ihrem Sitz los, schaffte es aufzustehen, machte einige Schritte auf ihn zu und berührte seine Federn. Ohne es zu bemerken, sprach sie in ihrer Begeisterung ihre Gedanken flüsternd aus.
„Sie sind ganz weich, zart, flauschig und…, und sie glänzen, dunkel, anthrazit, metallisch - wie ein Turmalin.“
Noch während Tamara bei ihm stand und unablässig seine Schwingen bewunderte, ließ Luc seine Flügel nach einiger Zeit ebenso schnell wieder in die Unsichtbarkeit zusammenfallen, wie er sie hatte entstehen lassen.
„Meine Liebe, glaubst du mir jetzt?“, fragte er eindringlich, dennoch sanft.
Sie nickte, während das bis jetzt unterschwellig vorhandene Misstrauen sich gänzlich in Luft auflöste, jeder Zweifel sich verflüchtigte. Sie ignorierte die gleichfalls existente, ungemütliche Ausstrahlung, verdrängte sie aus ihrem Bewusstsein, in dem einzig ihre Bewunderung Platz fand.
Alle Vorsicht über Bord werfend, beschloss sie, sich diesem Mann bedingungslos hinzugeben. Er hatte sie unter all den Milliarden von Menschen, die die Erde bevölkerten, ausgesucht, sie aus einer lebensbedrohlichen Gefahr gerettet.
Er war ihr Schutzpatron, der Hauptgewinn ihrer persönlichen Glückslotterie. Das würde ihr gewiss niemand glauben, gleichsam, das nahm sie sich vor, würde sie es niemandem erzählen.
Ihr grauenvolles Erlebnis gänzlich vergessend, fühlte sie sich leicht wie ein Vogel, der auf warmer Thermik in Kreisbahnen mühelos nach oben gleitet, war wie von flauschiger Watte umgeben, ihre Stimmung stieg. Während Luc Platz nahm, rückte Tamara zu ihm auf, um ihm ganz nahe zu sein, um sich seiner betörenden Wirkung hinzugeben.
Jeglicher Argwohn war verflogen. Sie himmelte ihn an, wobei ihr Gesicht lachte, ihre Augen strahlten, ihre Seele Feuer und Flamme für ihren außerirdischen Retter war.
„Mein Engel“, hauchte sie ihm sehnsuchtsvoll zu.
Zugleich gab sie dem Kosewort einen ganz anderen Sinn, zumal eine Prise Melancholie in ihrer Stimme mitschwang. Sie konnte noch nicht glauben, welches märchenhafte Schicksal der Zufall für sie bestimmt hatte, gleichsam wollte sie ihn festhalten, um ihn nicht sofort wieder zu verlieren.
Obgleich sie ihre Gefühle nicht mehr unter Kontrolle hatte, zwang sie ihr blitzgescheiter Verstand in einem letzten Aufbäumen, die Initiative zu ergreifen, die Gesprächsführung an sich zu reißen, die letzte offene Frage zu stellen:
„Wieso wurdest du eigentlich verbannt, was hattest du verbrochen?“
Luc sah sie an und machte ein ernstes Gesicht. Die Erinnerungen schienen unangenehm zu sein.
„Okay, du sollst es erfahren“, gab er der Frage nach, „ich werde dir die ganze Wahrheit erzählen.
Als Schutzengel hatte ich viele tausend Jahre lang die Aufgabe, über die Evolution der Menschen zu wachen, ihre Entwicklung zu begleiten, falls angebracht, bei Gefahren einzugreifen. Unterstützung bekam ich von einer großen Zahl weiterer Himmelswächter.
Wir waren ein gute, schlagkräftige Truppe.“
Luc nickte anerkennend.
„Mit der Zeit blieb es nicht aus, dass ich mich verliebte – ich lebte immerhin als Mensch unter ihnen, sah aus wie sie, fing an, wie sie zu denken, wie sie zu fühlen. Kurz und gut - ich verlor mich als Engel und fand mich als Mensch wieder.
Das konnte man mir sicher nicht verübeln. Sie hieß Samara, eine bildhübsche, ledige junge Frau.
Wir heirateten und bekamen drei Kinder, drei Jungs, lebten glücklich miteinander, bis – ja bis Samara starb. Daran musste ich mich erst gewöhnen.
Die Erfahrung, dass Menschen nur eine kurze Lebenszeit haben, war schmerzhaft. Jedenfalls taten es mir die anderen Himmelsgeschöpfe gleich.
Folglich wuchs, über Jahrhunderte hinweg, eine neue Rasse heran - halb Engel, halb Mensch -, die friedlich mit den übrigen Erdenbürgern zusammenlebte. Mehr noch, die genetische Weiterentwicklung unser Mischlingskinder, durch die Erbanlagen väterlicherseits bedingt, begünstigte einen sprunghaften Fortschritt der sozialen, kulturellen sowie wissenschaftlichen Fähigkeiten der zuvor ziemlich archaischen Gesellschaft.“
„Das klingt so romantisch“, schwärmte Tamara verklärt.
Читать дальше