Habib saß vor ihnen in der Hocke. Er beugte seinen Oberkörper nach vorne und schien gleich umzufallen, so gespannt war er.
»He, ich muss gestehen, das ist eine gute Einstellung. Ehrlich gesagt, das hätte ich von so jungen Leuten, wie Euch, nicht erwartet. Was in unseren Moscheen, und wahrscheinlich ebenso in den Synagogen der Juden und auch in Euren Kirchen gesagt, gelesen und gehört wird, ist immer von Gott gekommen. Ja, ja, wir müssen sein Wort nur richtig auslegen und befolgen, jeder in seiner eigenen Religion und wir alle zusammen.«
Auf langem Hals wog sein schmaler Kopf mit dem kecken Kufi hin und her, was ein wenig komisch ausschaute. Offensichtlich dachte er angestrengt nach.
Cornelius erwartete wieder ein 'He' zur Einleitung seines nächsten Satzes, aber dieser Ausruf kam diesmal nicht.
»Ich möchte Euch von einer Sufi-Heiligen und deren Liebe zu Gott erzählen: „Man sah R?bi ah al-Basr? in den Straßen von Basra mit einem Eimer in der einen Hand und einer Fackel in der anderen. Gefragt, was das bedeute, antwortete sie: „Ich will Wasser in die Hölle gießen und Feuer ans Paradies legen, damit diese beiden Schleier verschwinden und niemand mehr Gott aus Furcht vor der Hölle oder in Hoffnung aufs Paradies anbete, sondern einzig und allein aus Liebe zu Ihm“.«
Das Schiff hatte in der Zwischenzeit unbemerkt abgelegt, die Segel waren gebläht und man kreuzte kräftig gegen die Wellen. Der Tag verlief im Nichtstun. Habib Belhadji blieb in seiner Kabine. Eine Unterhaltung mit der Mannschaft war nicht möglich, wie sie schnell herausfanden, denn die sprachen nur Arabisch. Also versuchten sie sich den Strahlen der Sonne so gut es ging zu entziehen, indem sie ihre Position immer wieder in den Schatten des Segels verlegten. Der frische Wind spendete angenehme Kühle.
Erst am frühen Abend wurden sie in die Kabine gerufen, in der inzwischen eine Laterne für ausreichend Licht sorgte und Gemütlichkeit verbreitete. Diesmal war vor ihnen auf dem Boden ein niederer, ausladender Messingtisch aufgestellt worden, auf dem in der Mitte mehrere bunt bemalte, noch geschlossene, tönerne Schüsseln standen. Sobald die hübschen, pagodenförmigen Deckel abgehoben wurden, verbreitet sich ein köstlicher Duft im ganzen Raum.
Fröhlich verkündete der Gastgeber: »Lasst Euch unsere Tajine, den leckeren Couscous und den Lahn Labou schmecken.« Dabei deutete er von einem Gericht zum anderen. »Es ist genug für uns alle da.« Er merkte, wie die beiden jungen Männer neugierig den Inhalt der Schüsseln beäugten und begann sich über deren Verhalten zu wundern, was an diesen, für ihn so alltäglichen Gerichten, so besonderes sein sollte. Auch Cornelius und Caspar fühlten sich nicht ganz wohl, denn ihre Gaumen waren nicht wirklich auf Überraschungen eingestellt. Sie realisierten immer deutlicher, wie eingesperrt sie im Ordenshaus gewesen waren. Die eintönige Küche dort hatte keine landestypischen Kulinarien hervorgebracht.
»Ihr benehmt Euch gerade so, als ob Ihr unsere einfache, einheimische Küche nicht kennt. Wie kann das denn sein?« Das Gesicht des Berbers spiegelte eine gelinde Mischung von Ungläubigkeit, Verwunderung, ja sogar einen Hauch von Misstrauen, was er sich allerdings nicht so recht erklären konnte.
»Also wisst Ihr« versuchte Cornelius zu erklären, »wir sind ja erst so kurz in Eurem schönen Land und unsere Eltern waren schon komische, altmodische Menschen, die glaubten, nur das Beste kommt aus der Heimat. Französische Küche geht ihnen über alles, vom Rest würde man, ihrer Ansicht nach, nur krank. Wir haben schon gemerkt, werter Herr, Ihr seid wirklich ein Menschenkenner. Euch bleibt auch gar nichts verborgen.«
Cornelius hatte die Augen gesenkt, denn er schämte sich seinen groß-zügigen Gastgeber fortwährend hinters Licht führen zu müssen. Er war nahe daran mit der ganzen Wahrheit herauszurücken. Beide mussten sich richtig hüten, dass sie sich nicht verrieten oder noch schlimmer, in einer überschwänglichen Stimmung, einem Anflug von Sentimentalität, ihre wahre Identität preisgaben.
Wenn sich auch Cornelius und Caspar etwas seltsam benahmen, was das Essen betraf, so waren sie Habib für ein gutes Gespräch doch zwei willkommene Gäste. Sie legten eine gewisse Lebensklugheit an den Tag und waren überraschend gut in religiösen Angelegenheiten bewandert. Freilich ahnte er nicht, dass vor ihm zwei auf Probezeit, durchgebrannte und frustrierte Ordensbrüder saßen.
Habib hatte Lust an das gemeinsame Gespräch vom Morgen anzuknüpfen und da war für ihn die Person Jesu ein favorisiertes Diskussionsthema besonders mit Christen. Er blickt seine beiden jungen Tischgenossen aufmerksam an und begann:
»Warum winkt Ihr Christen eigentlich so schnell ab, wenn wir Muslime auf ?s? ibn Maryam oder wie Ihr ihn nennt, auf Jesus, den Sohn Marias zu sprechen kommen? Dann habt Ihr sehr rasch das abwertende Argument zur Hand, wir halten ihn ja doch nur für einen von vielen Propheten und nichts anderes. Aber das stimmt ganz und gar nicht. Er bekam als einziger in unserem Heiligen Koran in nicht weniger als 15 Suren einen ganz besonderen Namen und Titel.«
»Da habt Ihr vollkommen Recht, pflichtete Cornelius alias Pierre bei. Ich weiß, Jesus ist bei Euch ein 'Rasul', ein Gesandter Gottes, wie Noah, Abraham, Moses und auch Muhammad, und nicht nur ein 'Nab?', ein Prophet.«
Habib schaut ihn erstaunt an. Cornelius hatte sich redlich mit dem Islam, dem Koran und der Geschichte Muhammads beschäftigt, nicht nur während seines Theologiestudiums, sondern weil ihn das Thema interessierte und besonders, seitdem er sich auf seine Aufgaben in Algerien für die Missionierung der Muslime vorbereitete.
»Was ist denn der Unterschied zwischen einem 'Nab?' und einem 'Rasul'?« wollte Jean alias Caspar wissen. Habib und Cornelius tauschten Blicke aus, so als wollten sie von einander wissen, wer antworten sollte. Dann fühlte sich aber Habib doch für den Autorisierteren.
»'Rasul', das ist der besondere Übermittler einer Botschaft. Ein 'Nab?' ist kein 'Rasul', denn er verbreitet nur eine Botschaft Allahs - gepriesen sei sein Name. Ein 'Rasul' ist immer ein 'Nab?', aber nicht jeder 'Nab?' ist ein 'Razul'. ?s? ibn Maryam, Jesus, der Sohn Marias ist ein 'Rasul', denn - Allah - gepriesen sei Er - hat ihm die Botschaft Eueres Evangeliums als besonderes Buch übergeben. Für uns Muslime ist es allerdings wichtig, dass unsere Heilige Schrift, der Koran, eine direkte, göttliche Offenbarung an Muhammad - Segen und Friede auf ihm – ist. Damit wurde unser Buch direkt von Gott selbst geschrieben und uns als sein wahres Wort übergeben. Im Gegensatz dazu sind die Thora und eure Evangelien nur von Gott inspiriert aber von Menschen geschrieben.«
Und Belhadji, der offensichtlich gut im Koran bewandert war, fuhr fort:
»Allah - der Barmherzige und sich Erbarmende - hat in seinem Heiligen Buch, unserem Koran ihn, ?s? ibn Maryam, als einzigen, Gottes Geist genannt. Da unser Koran das wahre und direkte Wort Gottes ist, wird das von uns niemals angezweifelt. Abraham ist der Freund Gottes, Moses, der von Gott Angesprochene und Muhammad – Friede sei mit ihm - der letzte Gesandte. Nur Isa wurde durch den Geist und das Wort Gottes erschaffen und war Maryam durch den Engel Gabriel verkündet worden. Er ist Gottes einmaliges und unmittelbares Geschöpf. Er wurde, wie Adam, nicht von Menschen, sondern von Gott geschaffen, um seine besondere Botschaft allen Menschen zu vermitteln. Er wollte für sein Volk, die Juden, der letzte 'Nab?' und 'Rasul' sein, um sie zurück auf den rechten Weg zu bringen. Unabhängig davon, werden wir alle durch die Worte und Taten ?s?s aufgefordert, uns bedingungslos Gott hinzugeben und ihm zu dienen. ?s? gebührt tatsächlich der Ehrentitel 'Sohn Gottes', denn er ragt heraus aus den vielen Söhnen und Töchtern Gottes, die Allah - gepriesen sei Er - im Himmel anbeten. Darum verehren auch wir Muslime ?s?, nur in einer anderen Weise als Ihr Christen, denn der Koran macht ihn für uns durch seine Botschaft der bedingungslosen Liebe zu Gott, zu einem einmaligen und besonderen Gesandten Gottes.«
Читать дальше