Kirk Spader - Konrad
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Kirk Spader
Konrad
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Inhaltsverzeichnis
Titel Kirk Spader Konrad Dieses ebook wurde erstellt bei
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Impressum neobooks
1
Grünlich. Trüb. Trüb-grünlich? Nein, das traf es nicht. Schmutzig, algig, abgestanden, sauerstoffarm. Ja, das war es.
Ich verharrte regungslos vor dem dicken, gewölbten Glas und starrte gelangweilt nach draußen.
Es sah so aus wie gestern, wie vorgestern, wie …
„Ach was soll das“, rief ich mich selbst zur Ordnung. Dachte an den Entschluss, den ich vor drei Tagen gefasst hatte: Durchhalten, weiterleben. Es denen da draußen zeigen. Rache.
Ich drehte eine weitere Runde durch mein Gefängnis. Erinnerte mich daran, wie ich hier her gekommen war.
Das war vor zwei Jahren gewesen. Ich hatte vorher in einer Zoohandlung zusammen mit anderen meiner Art gelebt, in einem großen, geräumigen Aquarium. Mit Seestern und einer schicken Anemone, die ihre Tentakel in der Strömung der Frischwasserpumpe schwingen ließ. Glückliche Kindheit.
Bis zu dem Tag, als die Familie kam und mich kaufte.
„Guck mal, der sieht genau aus wie Nemo!“ hatten jeden Tag helle Kinderstimmen geschrien. Die Kinder hatten auf ein Aquarium neben unserem gezeigt.
Das Tropenaquarium mit den Anemonenfischen, hässliche Viecher in Müllmannorange mit Zebrastreifen.
Seit dieser Film in die Kinos gekommen war, kam Bert, der Besitzer des Zooladens mit dem Nachbestellen nicht nach. Jeder wollte einen Clownfisch. An manchen Tagen verkaufte er zehn oder mehr von denen. Ich konnte beobachten, wie Berts Grinsen von Tag zu Tag breiter wurde. Ständig bestellte er Neue: „Ja, ich nehm noch mal fünfzig von denen und zwanzig von den Blauen (Die Blauen hießen alle „Dori“).
Immer, wenn er neue Müllmannfische in das Tropenaquarium kippte, tauschte er direkt die Preistafeln aus. Bert war ein glücklicher Mann. Um den Verkauf weiter anzukurbeln, hatte er einen Fernseher aufgestellt, als der Film auf DVD zu haben war. Ich und die anderen sahen jetzt sechs mal am Tag „Findet Nemo“. Leider war ich kein Clownfisch, sondern ein stinknormaler, etwas zu kleiner Goldfisch. Ich wünschte mir Streifen, damit mich irgend jemand da rausholte und ich diesen Film nicht mehr sehen musste.
An einem Samstag telefonierte Bert mit seinem Fischgroßhändler und er wurde zusehends wütender:
„Was soll das heißen, ihr habt keine Anemonenfische mehr? WAS? Wie kann man die denn überfischen? Also ehrlich, Kurt, komm schon, sieh nochmal nach, WAS? Nein! Ich will keine roten Anemonenfische! Hast du den Film nicht gesehen? Die sind ORANGE! Verdammt!“ Er knallte das Telefon auf den Schreibtisch und fing an im Kreis zu gehen. Dabei brabbelte er ständig vor sich hin.
Die Klingel über der Eingangstür ließ ihr misstönendes Klimpern hören. Gestern war das noch Berts Lieblingsgeräusch gewesen, hatte ich schadenfroh gedacht, doch jetzt war Bert zusammengezuckt.
„Mist, was mach ich denn jetzt?“ fluchte er.
Dann tat er etwas, das so niederträchtig und gemein war, dass ich vor Wut gezittert hatte: Bert nahm sich einen Kescher, angelte ausgerechnet mich aus dem Goldfischaquarium, und ließ mich unsanft in das leere Tropenaquarium platschen.
Eine Familie mit zwei kleinen Kindern hatte den Laden betreten.
„Wir suchen einen Clownfisch.“
Ha, na klar, was denn sonst. Ich hielt die Leute für intelligent genug, einen Goldfisch von einem Anemonenfisch zu unterscheiden und freute mich darauf, gleich wieder bei meinen Freunden zu sein.
In dem Tropenaquarium war es viel zu heiß und die Languste, die ihre Fühler aus einer Felsspalte streckte, sah mich seltsam hungrig an.
„Tja, da haben sie aber Glück, einen habe ich noch da, hier ist das Prachtstück!“ Er schob die Familie zu dem Aquarium und ich sah in zwei Paar Kinderaugen, die mich enttäuscht musterten.
„Der hat ja gar keine Streifen!“ maulte der Junge und das Mädchen sagte knapp: „Boah, ist der häßlich.“
Ich zuckte zusammen, das ging jetzt zu weit.
„Die Streifen bekommt er noch, wenn er etwas größer ist,“ versuchte es Bert, „das ist der letzte Clownfisch in der Stadt, habe eben noch mit dem größten Händler in Deutschland gesprochen. Neue kommen erst nächsten Monat wieder rein.“
„Horst, kann ich dich mal sprechen?“ sagte die Mutter zu dem dicken Vater.
„Können Sie den Kindern bitte mal die … Meerschweinchen zeigen?“ wandte sich Horst an Bert, der die beiden Kinder mit in die andere Ecke des Raumes nahm, wo zwei adipöse Fellbündel wie tot in einem Käfig lagen.
Die Mutter sah zu mir ins Aquarium, dann zu ihrem Ehemann.
„Horst, den Fisch können wir nicht kaufen. Der Typ will uns doch einen Bären aufbinden! Das da ...“, sie tippte mit ihrem Finger gegen die Scheibe, „ist ein stinknormaler Goldfisch! Wir haben Lissy versprochen, einen echten Clownfisch zu kaufen, wie in dem Film.“
Horst sah mich an. „Ja, aber, Moni, überleg doch mal: Für einen Clownfisch bräuchten wir ein Tropenaquarium, ein Großes, Teures. Außerdem gibt es in der Stadt keinen einzigen verdammten Clownfisch mehr. Wir waren doch schon in fünf Läden! Auch wenn das hier keiner ist, Lissy könnte ja erst mal mit dem hier üben, ob sie überhaupt mit so einem Fisch klar kommt. Ich meine, sie muss ihn füttern, das Aquarium sauber machen und so. Du kennst sie, in zwei Wochen schwimmt Goldlöckchen dann sowieso mit dem Bauch nach oben. Wenn sie es hinkriegt, können wir ihr ja immer noch einen Echten kaufen.“
Was? Was waren das denn für Menschen? Ich sollte so eine Art „Probefisch“ werden und wenn ich verhungert war …
„Dann kippen wir ihn in die Toilette und aus dem Aquarium machst du eine nette Vase ...“
„Horst! Nicht so laut, Lissy und Frederic hören dich sonst!“ zischte Moni.
Dann dachte sie angestrengt nach. Ich drängte mich rückwärts zu der Languste in die Höhle. Sollte die mich doch fressen, besser als bei diesen Irren zu landen.
„Mama, Papa, wir wollen lieber die Meerschweinchen haben!“ riefen Lissy und Frederic von der anderen Seite des Ladens.
Jaaa! Nehmt die fetten Wollmäuse! Bingo, ich war gerettet. Ich umarmte die verdutzte Garnele und schwamm ein paar Loopings. Das Leben war wundervoll. Gleich wäre ich wieder bei den anderen gewesen.
Doch mein Leben war gegen mich. Als Bert die Meerschweine aus dem Käfig nahm, fing er an zu stammeln: „Oh, na, ihr seid aber müde. Gestern Nacht zuviel Party gemacht, was? Haha. Äh, ich glaube, ich bring die beiden vorher nochmal zum Tierarzt, nur zur Vorsicht.“
Ja, die Viecher waren tot. Alle beide. Wie lange konnte man nur ahnen.
Und so kam es, dass ich mich in einer wassergefüllten Plastiktüte wieder fand. Horst hatte meinen Preis gedrückt, indem er einen vagen Hinweis auf das Gesundheitsamt in die Verhandlungen einstreute. Um Bert zu ärgern, hatte die Familie mit dem interessanten Namen „Schreckbeer“ nicht mal ein artgerechtes Aquarium gekauft. Ich landete in meiner neuen Heimat, einem Goldfischglas, Erbstück von Oma Ehrentrud. Wie viele meiner Vorfahren hatten in diesem Glasbottich wohl ihr Leben vorzeitig ausgehaucht?
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