weich und kuschelig – und ging ins Wohnzimmer, wo ihr Handy noch immer auf dem Tisch lag. Sie öffnete ihren Posteingang und las erneut Ravens Nachricht. Wieder kribbelte es in ihrem ganzen Körper. Wie sollte sie ihm nur morgen gegenübertreten, wenn sie schon bei dem Gedanken an ihm so dermaßen ausflippte?
In dieser Nacht wurde Shania von einigen aufwühlenden Träumen verfolgt. Sie träumte wieder von dem Tag, als ihre Mutter starb und sie das kleine hilflose Mädchen war, dass an dem blutüberströmten Körper rüttelte. Dann veränderte der Traum sich und sie träumte von dem gleichen Wolf, der ihre Mutter angegriffen hatte, doch diesmal griff er jemand anderes an. Er zerfleischte und zerfetzte die Person und warf sie schlussendlich in die Tiefen der Themse. Shania sah den geschändeten Leib des Clanoberhaupts der Raben vor sich.
Entsetzte Blicke der Clanmitglieder, die auf den Körper hinabsahen. Unter ihnen Kris, Rebecca und Raven.
Wieder veränderte sich der Traum. Raven stand vor ihr. Sein Oberkörper war nackt und die Haut war nass. In seinen Augen stand pures Verlangen. Dieser Traum war anders als die davor. Keine Bestie, die jemanden Zerfleischte, sondern nur pure Lust und Leidenschaft. Es war so intensiv, dass Shania seine Berührungen beinahe auf ihrer Haut spüren konnte.
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Verschwitzt wachte Shania am nächsten Morgen auf.
Schnell verdrängte sie die Gedanken an den Traum. Sie konnte es nicht gebrauchen, dass ihr diese Vorstellungen im Kopf rumschwirrten, wenn sie sich nachher mit Raven traf.
Sie ging zum Kleiderschrank und öffnete die silberfarbenen Schiebetüren. Was sollte sie bloß anziehen? Sie zog einen schwarzen Minirock hervor. Nein. Viel zu aufreizend.
Jeans? Zu langweilig. Sie holte einen langen Rock heraus und warf ihn auf das nebenstehende Bett. Sie wollte schließlich nicht ausschauen wie ein prüdes Mädchen.
Eine halbe Stunde später waren all ihre Klamotten auf dem Bett verteilt und Shania saß verzweifelt am Boden, kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Das konnte doch nicht sein, dass sie nichts zum Anziehen hatte. Ihr Blick schweifte durch den Raum und fiel auf die Tür. Hinter der Tür an einem Kleiderhaken hängte eine luftige kurze Stoffhose. Ihre Miene erhellte sich. Die Hose war schwarz und sehr schön geschnitten. Sie würde ihre Figur sehr schön betonen.
Schnell sprang sie auf und eilte zur Tür, um das Kleidungsstück an sich zu nehmen. Sie wusste auch schon, was sie darauf anziehen konnte. Sie kämpfte sich durch den Klamottenberg, der sich auf ihrem Bett angehäuft hatte und 35
zog siegreich ein lockeres lilafarbenes Shirt hervor, das durch seinen weichen Stoff sehr angenehm zu tragen war.
Eilig hastete sie ins Bad und schlüpfte in die Klamotten.
Noch schnell Zähneputzen, Make-up auftragen und Puder ins
Gesicht
und
schon
war
sie
startklar.
Sie holte ihre Unterlagen mit den Testergebnissen aus dem Labor und dann war sie auch schon aus der Tür draußen.
Leider war es anscheinend nicht ihr Glückstag, denn sowohl der Bus als auch die Tube fuhren ihr direkt vor der Nase davon.
Als sie dann endlich in der Tube saß, vibrierte es in ihrer Tasche. Sie hatte das Handy über Nacht leiste gestellt, damit sie nicht plötzlich hochschreckte, wenn ihr Saya eine Nachricht schreiben würde. Sie holte das Telefon aus der Tasche und hob ab, ohne auf das Display zu schauen.
>>Hallo?<< Ihre Haare stellten sich auf und ein elektrisierender Impuls durchfuhr sie, als sie die wohlig raue Männerstimme am anderen Ende erkannte. >>Hallo Shania, Raven hier. Ich wollte mich nur erkundigen, ob Sie schon auf dem Weg zu mir sind?<< Schnell schluckte sie den Kloß, der in ihrem Hals steckte, herunter. >>Ja.<< Eine recht knappe Antwort. Sie musste noch etwas hinzufügen.
>>Ich bin in etwa zehn Minuten da.<< Ein tiefes Hauchen.
>>Gut. Ich erwarte Sie bereits.<< Allein schon die Art, wie er das Gesagte betonte, raubte Shania den Atem. >>Ok. Bis dann!<< Hastig stammelte sie diese Worte und legte auf.
Tiefes Aufatmen. Sie war erleichtert, das Gespräch hinter 36
sich gebracht zu haben. Nur stand ihr jetzt noch etwas Schlimmeres bevor. Sie war auf den Weg in die Höhle des Löwen. Allein mit ihm, gefangen in einem Haus am Stadtrand. Womöglich war es das einzige Haus im Umkreis.
Wer weiß, was er vor hatte. Vielleicht wollte er sie ja verführen und über sie herfallen, wie ein wildes Tier. Also, um genau zu sein, war er ja sogar ein Tier.
Ach, was machte sie sich schon wieder für Gedanken. So schlimm würde es schon nicht werden. Es sagte ja schließlich keiner, dass sie dort allein wären. Vielleicht lebte er ja mit seinem Bruder zusammen. Selbst wenn nicht, bestand immer noch die Möglichkeit, dass Ratsmitglieder des Rabenclans anwesend wären, da es ja um das Oberhaupt des Clans ging. Ja, so würde es sein, dachte Shania und machte sich Mut.
Grinsend legte Raven das Telefon beiseite. Er hatte Shania mit seinem Anruf ganz schön ins Schwitzen gebracht. Wenn sie schon am Telefon so reagierte, wie würde es dann erst sein, wenn sie in wenigen Minuten vor ihm stand? Ja, sie war ihm vollkommen ausgeliefert und er würde diese Gelegenheit sicher nicht auslassen. Er hatte schon immer bekommen, was er wollte und das würde auch diesmal so sein. Außerdem hatte er selbst so ein großes Verlangen, dass er sich kaum beherrschen konnte. Es quälte ihn regelrecht.
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Plötzlich fiel ihm ein, dass er eigentlich mit ihr über den Mord an seinem Vater sprechen wollte. Wie konnte er das bloß vergessen? Er hatte nur noch Augen für diese unverschämt heiße Frau und hatte keinen Gedanken mehr an die Dinge verschwendet, die für ihn, als Sohn des Clanoberhauptes und stellvertretenden Anführer der Raben, Priorität haben sollten. Er müsste sich wirklich schämen. So ein Verhalten gebührte sich einfach nicht als zukünftiges Oberhaupt. Nein. Es gebührte sich ganz und gar nicht. Nun, er hatte es als Vorwand benutzt, um Shania herzulocken, allerdings gab es da vielleicht wirklich Informationen, die ihr weiterhelfen konnten. Er musste sie in die ganze Situation einweihen. Sie wusste ja bereits, dass die Wölfe und ihr Clan seit einigen Jahren zerstritten sind, aber er musste ihr das Ausmaß dieses Streites näherbringen, damit sie die Motive und die Verdächtigungen verstand. Warum die beiden Clans mittlerweile so verfeindet waren, wusste er selbst nicht genau. Er hatte seinen Vater danach gefragt gehabt, hatte allerdings keine Antwort bekommen. Sein Vater war sogar ziemlich wütend und aggressiv daraufhin geworden. Ob es was mit diesem Fall zu tun hatte? Er musste unbedingt Forschungen anstellen und herausfinden was dahinter steckte. Der Grund für den Hass der beiden Clans aufeinander war ganz sicher der Schlüssel. Kein Gestaltwandler würde es einfach so wagen, ein Mitglied eines anderen Clans anzugreifen, gar zu töten und schon erstrecht nicht, wenn es sich dabei um des Oberhaupt handelte. Jeder wusste, dass die Mitglieder jedes einzelnen 38
Gestaltwandlerclans dann keine Gnade kannten. Sie würden den Täter bis aufs Blut jagen, ihn dann foltern und quälen, bis sie ihn endlich töteten. Dieses Risiko würde kein Wesen einfach so eingehen. Es musste mehr dahinter stecken.
Bevor Raven noch weiter darüber nachdenken konnte, ertönte die Türklingel. Er zog sich das schwarze Ed Hardy T-Shirt über, das auf dem Sofa lag, fuhr sich mit der rechten Hand durchs Haar und trottete lässig den Flur entlang zur Tür.
Nun stand sie also vor der Tür des Teufels. Naja, Teufel nur im übertragenen Sinn, aber der Kerl sah wirklich teuflisch gut aus. Wild kramte Shania in der viel zu großen Tasche, die sie um die Schulter trug. Wo hatte sich denn nur wieder ihr Lippenstift versteckt? Rascheln. Endlich fand sie ihn in der hintersten Ecke der Innentasche. Schnell trug sie ein bisschen davon auf ihre Lippen auf und verstaute den Lippenstift wieder in ihrer Tasche, als ihr die Tür geöffnet wurde. Vor ihr stand verschmitzt lächelnd Raven, der lässig am Türrahmen lehnte und in seiner roten Punk Hose und seinem schwarzen Ed Hardy T-Shirt einfach umwerfend aussah. Stopp! Sie musste sich jetzt auf ihren Job konzentrieren und nicht ständig daran denken, wie toll dieser Kerl aussah, ermahnte sie sich –zum wievielten Mal jetzt eigentlich? – und lächelte Raven freundlich an. >>Nun, da 39
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