1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 Quebec grinste erfreut. »Ja, meine einzig wahre Leidenschaft ist es, hinter einem knatternden Motor durch die Luft zu jagen. Das da«, er nickte zum Zeppelin, »ist mir zu brav. Allemal besser, als sich auf einem Schiff durchschaukeln zu lassen. In der Luft macht mir nichts so schnell Angst, aber ein paar Wellen und um mich ist es geschehen.«
Miro bekam ebenfalls einen Handschlag. »Die Demetrio hat vier Rolls Royce Motoren, jeder wohl stärker als alles, was in einem Ihrer Flugzeuge verbaut wurde.«
Quebec musterte ihn anerkennend. Erst dann sagte er: »Stimmt wohl, aber bei dem Luftwiderstand braucht sie auch jeden davon.«
»Was die wohl für einen Verbrauch haben?«
»Saufen bestimmt wie Matrosen auf 'nem Landgang. Gewartet werden müssen die auch, sogar während des Fluges. Wenn ich mir das vorstelle: Über mein Flugzeug klettern, nur um ein paar Schrauben festzuziehen.«
»Aber die Reichweite ist unschlagbar ...«
Während die beiden Männer in ihre Fachsimpelei vertieft weiter in Richtung Laderaum gingen, überlegte Becky kurz, ob sie sich einfach anschließen sollte. Doch sie war ebenso neugierig auf den Teil des Zeppelins, der den Passagieren zur Verfügung stand. Also hakte sie sich bei Annett unter und zog sie in Richtung der schmalen fahrbaren Treppe, die zum Eingang ins Schiff hinauf führte.
Ich werde Miro schon noch dazu bewegen, mit mir einen romantischen Ausflug in den Laderaum zu machen, dachte sie amüsiert. Und wenn nicht, halte ich mich eben an Mister Norris, der scheint ja ein netter Kerl zu sein.
Sie lächelte Annett voller Vorfreude an. »Bereit für ein Abenteuer?«
Streit, Strudel und Spiritisten
Sonntag, 22. April 1923, vor dem Dinner, San Francisco, Amerika
Miro Berlioz klopfte sacht an die Kabinentür, bevor er sie öffnete. »Da bin ich, mon cœur.«
»Na endlich«, rief Becky vom Frisiertisch aus, wo sie sich gerade die Haare feststeckte.
Sich des Halstuchs entledigend, erklärte Miro: »Tut mir leid, ich habe mit Quebec etwas gefachsimpelt. Netter Kerl. Und so ein junger Mann, Ben Truman, hat sich an uns gehängt, um sich die Lagerräume anzusehen. Neugieriger Bursche.«
Miro zog sein Jackett aus und sah sich um. Wie überall auf dem Passagier-Deck, lag auch hier ein jadegrüner Teppich aus, der gut mit den anthrazitfarbenen Wänden und hellen Aluminiumgriffen harmonierte. Die Kabine war spartanisch eingerichtet: Das schlichte Doppelbett aus Aluminium nahm den meisten Platz ein, es stand an der Wand gegenüber vom Frisiertisch.
Auf Bilder hatten die Einrichter ebenso verzichtet wie auf Fenster. Die Kabinen lagen innen und waren fensterlos. Anders als die öffentlichen Räumlichkeiten an Bord, die laut Prospekt über große Panoramafenster verfügten.
Besonderen Komfort bietet die Kabine nicht, aber viel Zeit werden wir hier drin ja vermutlich auch nicht verbringen, dachte Miro. Er war allerdings gespannt darauf, wie es auf dem darunterliegenden Deck und in den Waschräumen aussah. Höhepunkt des Zeppelins, sollte angeblich aber die Gondel sein. Sie war anders als Passagier- und Mannschaftskabinen unterhalb der Zeppelinhülle angebracht und rundherum verglast.
Offensichtlich hatte Becky seine Verspätung konstruktiv genutzt: Sie hatte sich in der Zweierkabine ausgebreitet, ihre kompletten Kleider und Utensilien auf allen frei zugänglichen Oberflächen verteilt und den größten Teil des Schrankes bereits mit Beschlag belegt – während Miros Koffer nicht angerührt waren und verschlossen am Fußende des Doppelbettes standen. Er würde sich also mit dem restlichen Stauraum begnügen, und sich – Gentleman der er war – darüber auch nicht beklagen.
Seine Frau lächelte ihn an, als sie sich zu ihm umdrehte und stellte sich in Positur: Für den Abend hatte sie einen weißen zweiteiligen Abendanzug von Chanel gewählt, mit tief sitzender Taille und weit geschnittener Hose. Eines muss man dieser neuen Mode ja lassen, dachte Miro, auch wenn ein Anzug eigentlich ein Kleidungsstück für einen Mann ist, sehen Frauen darin ungemein weiblich aus. Das mochte wohl durchaus auch an dem Smaragdcollier liegen, dass seine Frau zum Anzug trug; oder daran, dass die schmale Jacke und die weiten Hosen genau die richtigen Körperteile betonten.
»Nimmst du mich so mit?«, fragte Becky.
»Ich denke, ich würde gern jetzt schon zum Dessert übergehen.« Miro ging zu ihr hinüber und legte ihr den Arm um die Hüfte.
Seine charmante Bemerkung wurde umgehend mit einem langen Kuss belohnt. Dann schob ihn Becky sachte Richtung Koffer. »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Dein Smoking ist noch im Koffer.«
»Nun denn, bereiten wir uns auf unseren ersten Auftritt an Bord vor!«, sagte er mir einem kleinen Seufzer.
Staunend betrat Becky den Speisesaal des Luftschiffs, der in der Gondel untergebracht und nur über zwei schmale Treppen zu erreichen war und dem Speisezimmer in einem Luxushotel in nichts nachstand: Beherrscht wurde er von einem langen Tisch, der stilvoll gedeckt war mit edlem Porzellangeschirr und glitzernden Kristallgläsern. Der ganze Raum hatte die Form eines lang gezogenen Ovals. Im vorderen Viertel gab es eine kleine Bar, daneben stand ein Grammophonschrank. Für die leichte Unterhaltung zwischendurch, oder falls die Gäste keine Gesprächsthemen mehr finden, dachte Becky. Dazwischen lag eine unauffällige Tür, die, wie sie vermutete, zum Aufgang in die Küche führte.
Sie sah hinauf und erblickte an der Decke eine gemalte Weltkarte. Ausgewählte Städte waren hervorgehoben, so auch ihr Start- und ihr Zielort: San Francisco und Berlin. Kleinere Varianten des großen Kristallleuchters in der Mitte hingen als Wandleuchten an den Verstrebungen zwischen den Fenstern, die rund um den Tisch jedem Gast den Blick nach draußen ermöglichten. Mit so viel Prunk hatte sie wahrlich nicht gerechnet.
»Das muss ein unglaublicher Ausblick sein, wenn wir in der Luft sind.« Miro sah seine Frau an und deutete mit einer eleganten Armbewegung auf die Panoramafenster. »Ich freue mich schon aufs Frühstück.«
»Lass uns erst einmal das Abendessen genießen«, erwiderte Becky, wurde aber von seiner Begeisterung angesteckt und trat nun näher an die Scheiben. »Du hast Recht, der Ausblick muss grandios sein ... und ist auch jetzt schon nicht zu verachten.« Sie blickte hinunter auf die Lichter und die dunklen Punkte, die sich am Boden bewegten. Becky kam sich vor wie in einem besonders luftigen Hochhaus. Sie drehte sich wieder um und nahm den Tisch genauer in Augenschein. Rundherum standen Aluminiumsessel mit grün-weiß-gestreifter Polsterung, auf einigen saßen bereits Gäste, andere waren noch leer.
Die alte Dame, die beim Zoll so unangenehm aufgefallen war, fiel Becky als Erste ins Auge. Eine Gräfin, wie der Zollbeamte gesagt hatte, mit einem ziemlich auffälligen Namen. Wie war er nochmal gewesen – sie überlegte – ach ja, von Brauntroet.
Die Kleidung der Gräfin war auch jetzt sehr formell, bestand aus Unmengen Crêpe de Chine und war ausgesprochen schwarz. Sie schien in Trauer zu sein – allerdings schon eine ganze Weile, ging es Becky durch den Kopf. Die Kleider zeigten Zeichen von Abnutzung, wenn auch nur an wenigen Stellen, die leicht zu übersehen waren. Anders die Juwelen, die jeden freien Zentimeter der Gräfin schmückten: Sie funkelten, als wären sie frisch poliert. Mehr Schein als Sein, dachte sie. Allerdings schien sie dem Sprichwort »Hunde, die bellen, beißen nicht« eher nicht zu entsprechen. Die Gräfin würdigte nämlich die Neuankömmlinge keines Blickes, sondern redete laut und erregt auf ihre Zofe ein, die mit betreten dem Boden zugewandtem Gesicht neben ihr stand.
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