1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 Die letzten Wochen in Amerika waren in dieser Hinsicht so ganz anders gewesen. Bei den vielen Fremden und den verschiedenen Nationalitäten waren Miro und sie – ganz anders als sonst – gar nicht aufgefallen.
»Wir sind dran«, sagte Becky leise auf Französisch.
So traten sie Arm in Arm vor und einer der Zöllner fragte: »Name?«
»Rebeka Berlioz. Mit einem K, mein Vater hielt Doppelbuchstaben für Verschwendung.« Der Zöllner blickte kurz auf, grinste und fuhr dann fort. Da Miro sich gewissenhaft um alle Formalitäten gekümmert hatte, wurden die beiden schnell durchgewunken.
Miro öffnete den Koffer mit seinen Zauberutensilien, die Zöllner warfen aber nur einen kurzen Blick darauf. Becky sah, dass ihr Mann die beiden Streichholzschachteln mit leichtem Bedauern in einen Abfalleimer warf. Er hatte ihr jedoch mal erklärt, dass er in einem solchen Fall lieber auf einen Trick verzichtete, als ihn zu erklären.
Wie von Barker versprochen, wartete bereits ein junger Mann von ungefähr fünfzehn Jahren hinter dem Zollschalter auf sie. Er trug wie alle anderen Angestellten der Gesellschaft eine grüne Livree, auf der Brust prangte ein goldenes B in einem Federnkranz, das Symbol der Barker-Fluglinie. Er hatte rotblondes Haar und ein sommersprossiges Gesicht mit Stupsnase.
»Mister und Misses Berlioz? Miss Jennings? Sehr erfreut. Gus Noles, ich bin Ihr Kabinenboy auf diesem Flug. Wenn Sie irgendwelche Wünsche haben, ich bin immer für Sie da. Hier lang.«
Er führte sie einen vollgestellten Gang entlang, wobei er es schaffte, mit der Karre, auf der ihre Koffer standen, nirgendwo anzuecken. »Sie haben doch bestimmt schon viel von der Welt gesehen, Mister Berlioz? Wo sie doch eine Welttournee hinter sich haben.«
»Kann man sagen. Misses Berlioz ist allerdings auch weit gereist«, antwortete Miro.
»Darauf wette ich. Das sieht man den Koffern auf den ersten Blick an. Gute Qualität, nicht so ein schickes Zeug, das nur gut aussieht.« Er bog um eine Ecke und grinste sie über die Schulter an. »Aber so was haben sie noch nich' gesehen, darauf wette ich.«
Sie bogen nun ebenfalls um die Ecke und Becky, Annett und Miro verhielten im Schritt beim Anblick des schlanken Riesen vor ihnen.
»Wette gewonnen«, murmelte Becky, die sich als Erste wieder erholt hatte.
Das Bild, das sich ihnen bot, war atemberaubend. Die Halle, die sie von draußen für so unglaublich groß gehalten hatte, kam ihr nun, da sie den Zeppelin sah, fast klein vor. Seine riesige silberne Hülle füllte sie nahezu aus und der höchste Punkt schien an die Decke zu stoßen.
Die Form der Demetrio war schlicht, eigentlich sah sie aus wie eine überdimensionierte Zigarre mit Flossen am hinteren Ende. Allerdings war die Zigarre ungefähr fünfzehn Stockwerke hoch und so lang wie der größte Ozeandampfer. Nur sah man normalerweise von Schiffen nichts außer den Aufbauten und einem Teil des Rumpfes.
Hier war es, als stünde man unter einem Ozeanriesen, würde nicht nur die Decks, sondern auch den Rumpf über sich sehen. Obwohl Becky wusste, dass der Zeppelin nahezu komplett hohl war, gaukelte die Größe ihr vor, unter einem soliden Gebilde zu stehen. Einem Gebilde, das durch nichts abgestützt wurde. Es war unwirklich und majestätisch.
»Wie kann etwas so Großes bloß fliegen?«, fragte Annett.
»Helium«, murmelte Miro, in dessen Stimme Begeisterung mitklang.
Auch Becky war hingerissen: »Ich glaube, ich habe mich verliebt.«
»Also bitte Madame, schließlich sind Sie verheiratet.« Miro gab ihr einen kleinen Stups und lächelte.
Sie griff nach seiner Hand, betrachtete aber weiterhin den Zeppelin. Nur schwer löste sich ihr Blick von der gigantischen silbernen Zigarre. Die Arbeiter, die um sie herumliefen, erinnerten Becky von Größe und Betriebsamkeit an Ameisen. Und doch kann es fliegen, dachte Becky. Seit sie denken konnte, faszinierte sie alles, womit man zwischen den Wolken reisen konnte. Autos machten Spaß, Schiffe waren eine gute Gelegenheit, um zu entspannen, und Züge fand sie langweilig. Aber Fluggeräte jeder Art brachten sie zum Träumen.
»Das sind die Motoren«, sagte Miro und zeigte auf Gondeln, die etwa auf der Höhe des Äquators am hinteren Teil des Luftschiffs platziert waren. Sie hatten in etwa die Größe von Autos und große Propeller zeigten nach achtern. »Ohne sie wäre der Zeppelin nichts weiter als ein Ballon, dem Wind völlig ausgeliefert.« Miro zeigte auf die Unterseite des Rumpfes: Weit vorne hing etwas am Rumpf, in Größe und Form ähnelte es dem Passagierwaggon eines Zuges, wirkte jedoch im Gegensatz zum gesamten Gebilde winzig. Er erklärte: »Das hier vor uns ist, glaube ich, der Speisesaal. Unsere Kabinen müssen dann bei den Fenstern darüber sein.«
»Wir wohnen im Ballon?«, fragte Becky erstaunt. »Ist der denn nicht komplett mit Helium gefüllt?«
Es war Gus, der ihr antwortete, noch bevor ihr Mann es konnte: »Nein Ma’am, da drinnen sind zwar auch Kammern mit Helium, aber außerdem auch die Kabinen für Sie und die Crew, die Küchen, die Waschräume, Lagerfläche, Wassertanks und 'ne ganze Menge Stangen, damit das Ding stabil bleibt. Is nämlich 'n sogenanntes Starrluftschiff.« Er war sichtlich stolz auf sein Wissen – und sein Luftschiff.
Becky schüttelte verwundert den Kopf: »Es fällt mir schwer, mir das vorzustellen.«
Sie sah den Ballon entlang und ihr fiel auf, dass das Luftschiff mit Seilen festgemacht war, die Gondeln aber nicht den Boden berührten. Sie sah nach oben zu den Fenstern am Bauch des Zeppelins, vier Stockwerke über ihr.
Um sie herum liefen Passagiere, Arbeiter und Techniker durcheinander und riefen sich entweder staunende Kommentare oder kurze Befehle zu während Kanister, Koffer und Fässer eingeladen wurden. Ein junger chinesischer Arbeiter nahm sich ihrer Koffer an und schob sie in Richtung Laderaum weiter. Vor diesem Giganten wirkt alles wie Spielzeug, dachte Becky. Sie sah sich nach Annett um, der es anscheinend die Sprache verschlagen hatte.
»Das ist eine wirklich fette Lady!«
»Bitte?«, entfuhr es Annett, die sich bei diesen Worten umdrehte. Vermutlich hatte sie schon häufiger unpassende Bemerkungen über ihre Figur gehört, dachte Becky, es gehört sich aber trotzdem nicht. Sie sah sich nach demjenigen um, der den unhöflichen Kommentar abgegeben hatte.
Der große Mann in Lederjacke, der die Halle nach ihnen betreten hatte, schien jedoch nicht Annetts rundliche Figur gemeint zu haben, denn er wies an ihr vorbei auf die Demetrio . »Das Gerät da. Groß, klar, aber auch fett und langsam wie eine kalbende Seekuh.«
»Sie haben wohl keinen Blick für Ästhetik«, gab Annett etwas spitz zurück.
Das kann sie wohl auch nicht auf dem Zeppelin sitzen lassen, dachte Becky amüsiert.
»Mag sein. Aber in der Luft bevorzuge ich wendige, schnelle Flugzeuge. Diese Zeppeline sind doch jetzt schon museumsreif.«
Miro schaltete sich ins Gespräch ein. »Also für den Flug über den Atlantik nehme ich lieber ein Luftschiff …«
Der Mann kam zu ihnen, mit großen Schritten, den Kragen seiner wollgefütterten Lederjacke hochgestellt, ein breites Lachen auf dem Gesicht. Er war einen Kopf größer als Miro und kräftig gebaut. Das wellige Haar und der breite Schnurrbart waren rabenschwarz. Er trug ein grobes Hemd, Baumwollhosen und Stiefel; eine Garderobe, die nicht zu der der anderen Gäste passen wollte.
»Ach was, das würde meine kleine Lady schon schaffen.« Er zwinkerte Miro zu. »Aber sicher ist sicher und ich schwimme ungern, also steig' ich besser mal hier ein. Quebec Norris der Name.« Damit schüttelte er Annett kräftig die Hand. »Nett Sie kennenzulernen.«
Auch Becky wurde mit einem Handschlag begrüßt. Fest, aber nicht unangenehm. »Sie sind Flugzeugpilot?«, fragte sie interessiert.
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