»Ich weiß nicht, wieso ich Sie überhaupt mitgenommen habe, Tuggle. Sie sind unglaublich unfähig und noch dazu hässlich wie die Nacht. Und fahrlässig unaufmerksam obendrein. Gehen Sie und finden Sie das Armband, dass Sie verlegt haben – und zwar sofort!«
Die arme Zofe hatte bereits ein hochrotes Gesicht unter ihrem mausbraunen Haar und sah betreten auf den Boden. Viel Mühe hat sie sich mit Ihrem Aussehen wirklich nicht gegeben, dachte Becky. Die Frau trug einen wadenlangen grauen Rock aus einem dicken Wollstoff, dazu eine passende hochgeschlossene Jacke inklusive eines Schals, dicke graue Strümpfe und robuste Schuhe. Dazu hatte sie ein sehr englisches Gesicht. Sie versuchte, zu einer Antwort anzusetzen, aber die Gräfin schnitt ihr mit einer weit ausholenden Armbewegung das Wort ab.
»Papperlapapp. Ich bin Ihre Entschuldigungen wirklich mehr als leid. Finden Sie das Armband. Wenn Sie vergessen haben, es einzupacken, werden Sie dafür sorgen, dass ich es aus dem Hotel geschickt bekomme. Muss ich Ihnen denn alles erklären, Tuggle?«
Becky beugte sich zu Miro hinüber und hauchte ihm ins Ohr: »Na, das wird ja ein schöner Flug. Ich glaube nicht, dass ich das lange ertrage. Versuche bitte, mich davon abzuhalten, ihr irgendwann mal einen Teller an den Kopf zu werfen, ja?«
»Ach, ich weiß nicht«, flüsterte ihr Mann zurück, »vermutlich würde ich mitwerfen. Aber in einem hat sie Recht: Eine Schönheit ist Miss Tuggle tatsächlich nicht.«
»Stimmt, sie wirkt leider ein wenig farblos und, nun ja, maskulin, in diesen Kleidern. Aber«, fügte Becky mit unerschütterlichem Optimismus hinzu, »man könnte bestimmt etwas aus ihr machen mit ein wenig Make-up.«
Miller, der erste Offizier, war inzwischen auf die Neuankömmlinge aufmerksam geworden und erklärte: »Mr. und Mrs. Berlioz, setzen Sie sich ruhig, wo es Ihnen beliebt. Im Sinne des gemeinsamen Kennenlernens gibt es auf der Demetrio keine feste Tischordnung.«
»Wie überaus modern – und unangenehm«, mischte sich die Gräfin von Brauntroet ungefragt in das Gespräch ein. Sie sieht nicht nur aus wie das vorige Jahrhundert, befand Becky, sie benimmt sich auch so.
»Ich finde, es ist eine charmante Idee«, konterte sie zuckersüß. »Da wir eine so ausgesuchte Gruppe von Reisenden sind, wird es sicher ungemein interessant werden ...«, leise fügte sie in Miros Richtung hinzu, »...und wir können so vermeiden, neben ihr zu sitzen.«
Die Gräfin schnaubte daraufhin nur sehr unadelig und machte eine Handbewegung, die ihren Sitzplatz an der langen Fensterseite der Gondel und den ihres Sekretärs einschloss. »Sie haben ja keine Vorstellung davon, wie schwierig es für meinen Sekretär war, mir einen Platz zu suchen, an dem es nicht aus irgendeiner Ecke zieht, wie sonst überall auf diesem Schiff. Und an dem ich mir kein dummes Geschwätz von irgendwelchen Kindern oder ahnungslosen Dummköpfen anhören muss.«
Jakob Bleibtreu, ihr Sekretär, schien sich nicht an den schlechten Manieren der Gräfin zu stören. Er betrachtete während ihres Lamentos gelassen den Raum. Vermutlich ist er es gewohnt, überlegte Becky.
»Meinst du, er hat sie dorthin gesetzt, damit er sie schneller aus dem Fenster werfen kann?«, fragte Becky ihren Mann leise mit einem Augenzwinkern.
»Falls er Hilfe braucht, assistiere ich ihm gern. Diese Frau ist wirklich unmöglich.« Miro schüttelte den Kopf.
Inzwischen betraten Annett und ein abenteuerlich aussehender Hüne in einem etwas zu großen Smoking mit einem leuchtend roten Halstuch die Gondel .
»Ah, Annett und Mr. Norris«, sagte Miro erfreut und winkte die beiden heran. »Lassen Sie uns gemeinsam einen Platz suchen. Die modernen Sitten haben hier Einzug gehalten, wie wir gerade erfahren haben.«
Becky verkniff sich ein Lächeln und handelte.
»Annett, Mr. Norris, kommen Sie, wir setzen uns dorthin, da haben wir einen schönen Blick.« Sie platzierte ihre kleine Gruppe gekonnt ein gutes Stück entfernt von der Gräfin und ihrem Sekretär am anderen Ende des Tisches. Sie hatte nicht umsonst jahrelange Erfahrung auf dem Parkett der Berliner High Society, das Vermeiden der Gräfin sollte da doch ein Kinderspiel werden!
Der Flieger nickte und warf sich mit einer solchen Vehemenz in den Stuhl, dass dieser ächzte.
»So, Bessie ist gut untergebracht. Ist aber eine Schande, dass sie ihren Atlantikflug huckepack machen muss!«
»Wer ist Bessie?«, fragte Becky neugierig.
»Na, mein Flugzeug natürlich. Wir Piloten geben unseren Flugzeugen immer Namen, genauso wie ein Schiffskapitän.« Quebec strahlte sie an.
»Könnte sie es denn schaffen, den Flug über den Atlantik meine ich?«, fragte Becky.
Quebec schüttelte seinen Kopf. »Nur wenn wir segeln würden. Nicht genug Sprit in den Tanks. Bessie hat zwar mehr Ausdauer als die meisten, ist aber immer noch ein flinker Vogel, kein umgebauter Bomber wie bei den Briten, die den Atlantik vor vier Jahren überflogen haben.«
»Von Neufundland nach Irland«, erinnerte sich Miro. »Wir starten in San Francisco und fliegen nonstop nach Berlin. Das sind einige hunderte Meilen mehr, möchte ich meinen.«
»Das Benzin wurde seitdem verbessert und die Flugzeuge auch«, sagte Quebec.
»Brown musste damals aus dem Cockpit aussteigen, um einen der Motoren zu enteisen. Auf einem Luftschiff eine leichte Übung, da die Motorgondeln über Leitern zu erreichen sind; bei einem Flugzeug ein ganz schönes Abenteuer.« Miro sah immer noch skeptisch aus.
»Luftschiffe sind doch was für Schönwetterflieger! Die Demetrio muss jedem Gewitter aus dem Weg gehen, weil sie sonst von den Winden herumgezerrt wird. Mit einem Flugzeug kann man durch ein Gewitter durchfliegen, braucht sich um ein paar Lüftchen nicht zu scheren. Deswegen sind Flugzeuge ja auch schneller.«
»Was ist mit dem Luxus, mon ami?«, fragte Miro und machte eine ausholende Geste. »In keinem Flugzeug werden Sie jemals so bequem reisen können wie hier. Mit Speisesaal, Promenadendeck, Duschen und einer Bar.«
»Bisher nicht«, hielt Quebec dagegen. »Aber die Flugzeugbauer sind noch lange nicht am Ende ihrer Ideen. Ich habe Pläne gesehen von Flugzeugen mit gigantischer Spannweite und acht Motoren. Die haben doppelt so viel Leistung wie die Demetrio und werden mehr Menschen transportieren, als wir uns vorstellen können – und wer weiß, wie die Passagiere dann reisen? Vielleicht gibt es auch auf diesen Riesenflugzeugen einen Speisesaal und Duschen. So ein Luftschiff«, meinte der Kanadier und schlug auf die Armlehne, »ist einfach zu anfällig, nichts weiter als ein großer Ballon. Und was für eine Platzverschwendung! Von dem gigantischen Rumpf wird doch nur ein kleiner Teil genutzt von den Gästen und der Crew.«
»Es kommt nicht immer nur auf die Effizienz an«, erklärte Miro. »Wenn dem so wäre, würden nur noch Schnellboote auf den Meeren fahren. Die Leute wollen ihre Reise genießen, sie soll ein Erlebnis sein.«
Ein Steward kam zu ihrem Tisch »Welche Getränke darf ich den Herrschaften als Aperitif servieren?
»Eine Limonade, bitte«, sagte Annett.
»Einen Singapore Sling für mich«, bestellte Becky.
»Whisky«, kam es knapp von Quebec Norris.
Miro nickte zustimmend. »Dem schließe ich mich an.«
Der Steward räusperte sich ein wenig verlegen. »Verzeihung, aber wir servieren keine alkoholischen Getränke, bis wir das Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten verlassen haben.«
Becky sah den Mann an. Blinzelte, als ihr die Tragweite dieses Satzes bewusst wurde. »Sie meinen: während wir hier festgemacht haben?«, vergewisserte sie sich.
»Nein, tut mir Leid, Miss. Die Demetrio darf solange keinen Alkohol ausschenken, bis wir die Fünf-Meilen-Zone hinter uns gelassen haben.«
»Grundgütiger«, entfuhr es Becky. Sie warf ihrem Mann einen verzweifelten Blick zu. »Hast du das gewusst?«
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